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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 7
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Kießig, Martin: Der Dichter auf dem Meere
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Es muss einmal gesagt werden
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0595

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gebracht. Unten wiederholt sich das Kreuz und daneben steht mit vor Stolz ge^
blähten Buchstaben: „Hier wohnen wir" oder noch stolzer geschrieben: „Dieses
Hotel beherbergt uns." Und nun wissen wir's. Wenn alle Karten beisammen sind,
haben wir den ganzen Roman fein säuberlich vor uns.
Bei weitem die schlimmsten sind die schadenfrohen Karten, die aus ihrem
Hochmut kein Hehl machen. Auf jeder dieser mit unendlichem Besitzerstolz ge<
schriebenen Karten scheint in Klammern hinzugefügt: „Ätsch, warum bist Du
zu Hause geblieben!" „Haben wir dir nicht geraten mitzukommen!"„Sieh dir die
Ansicht an!" „Haben wir zuviel versprochen!" „Gestern haben wir den alten
Barbarossa in seinem unterirdischen Schloß besucht!" „Morgen sind wir in Rom!"
„Übermorgen an den CheopsTyramiden!" „Und zurück kommen wir natürlich
noch lange nicht!" Warum sollten sie auch zurückkommen? Dazu sind sie ja
schließlich fortgefahren. Und nun gehts los: Ein Maschinengewehrfeuer kleiner,
selbstbewußter Karten prasselt auf den hilflosen Empfänger los. Bald schickt man
ihm die Lorelei, anmutig auf dem vielbesungenen Fels hockend und immer noch,
wie vor Jahrtausenden, mit dem Kämmen ihres goldblonden Haares beschäftigt.
Bald schickt man ihm den Königssee mit dem verwegen dreinschauenden Watz^
mann, von bayrisch südlicher Sonne verschwenderisch überstrahlt. Es folgen in
schnellem Wechsel: Herr Krause vor dem Kyffhäuser, in Denkmals^Haltung, von
neugieriger Linse in selbstbewußter Pose originalgetreu festgehalten. Daran
schließt sich an: Ein Besuch in Tunis; dann ein Kamelritt, und endlich Krause
Arm in Arm mit einem Maharadscha, an jedem Finger einen Ring, der von Dia^
manten nur so funkelt. Und immer dieser unsichtbare Zusatz: Ätsch, warum bist
du denn zu Hause geblieben!
Man bekommt nicht eher wieder Ruhe, bis Herr Krause wieder zu Hause ist.
Richard Drews

ES MUSS EINMAL GESAGT WERDEN,
daß man nicht unbedingt ein junges Mädchen umarmen muß, wenn man mit
ihr in der Dunkelheit allein ist,
daß ein Mensch ohne Form ist wie ein Eimer Wasser ohne Eimer,
daß die Art des Schuhknüpfens auf den Charakter schließen läßt,
daß man auch Montags Glück haben kann,
daß man einen Groschen auspacken muß, wenn man mit einer jungen Dame
Wein getrunken hat,
daß es immer auf die Augen ankommt, ob ein Ding häßlich oder schön, banal
oder bezwingend zu finden ist,
daß das Genie im Menschen gern hinter einer unmöglichen Persönlichkeit ver>
borgen ist.

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