Galerie Flechtheim [Contr.]: Der Querschnitt (16.1936)

DIE „SANDBANK" VON 1900
Von
BORIS v. BORRESHOLM
Motto: Vir wollen endlich unsern Plüsch!
Als Wagner zu Ehren seines 60. Geburtstages eine komplette Plüschmöbeh
I. I garnitur geschenkt bekommen hatte, herrschte unter seinen Freunden eitel
Wonne. Denn das Plüschmöbel war das Ideal zur Zeit unserer Eltern. In gerechter
Erbfolge nahmen damals Kleinbürger, Mittelstandsgenießer, Provinzler, Bildungs^
kretins und all die Glücklich^Verdauenden ihren Sessel ein, um ihre Epoche des
Bunten^TapetenfStils zu inaugurieren. Nach dem Zeitalter der nationalen Kriege
und des ultramontanen Martyriums wucherte das Unternehmertum der Gründern
jahre verschwenderisch in die Höhe. Diejenigen, die den notwendigen Lebens^
bedarf erzeugten, hatten Mangel daran; bei denen, die ihn nicht erzeugten, war er
im Überfluß. Die Fortschritte der Zivilisation offenbarten sich in einer hemmungs^
losen Industrie, gewaltigen Spekulation und stillosem Luxus. Der Charakter der
Städte wurde kosmopolitisch; sie überboten sich einander in grenzenloser regele
mäßiger Häßlichkeit, indessen das Land sich eines gähnenden Friedens erfreute.
Das ist das erste Kapitel in Zolas „Nana", die Premiere der „Blonden Venus".
Ein Olymp von Pappe. Jupiter hadert mit Juno wegen der Abrechnung der Köchin.
Venus, üppig in weißer Tunika, schreitet lachend zur Rampe und trällert ihr
Couplet. Die Götter steigen inkognito zur Erde nieder, in eine Spelunke am
Fastnachtsdienstag. Jupiter ist der König Dagobert, der die Hosen verkehrt anhat
und mit einem Wäschermädchen Cancan tanzt, Phöbus der Postillon von Lonju^
meau, Minerva eine Amme aus der Normandie, Mars ein Schweizer Admiral mit
Schnauzbart, Neptun ein Herr mit Ballonmütze und Schmachtlocken, Vulkan ein
Schmied mit tätowierten Armen, Venus ein Fischweib, ein Tuch um den Kopf,
mit entblößtem Busen, Diana ein Bebe in Musselin. Schlußtableau. Hymnus zum
Preis der Venus. Klatschkatarakte im Parkett und in den Logen.

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