Ch. W. Schulenburg
MARGINALIEN
MACHEN KLEIDER FILME?
Daß Kleider Leute machen, hat sich
in den Reklameabteilungen der Kon^
fektion vom Sprichwort zu einem
Grundsatz der Weltanschauung ver^
dichtet. Bei der nahen Verwandtschaft
zwischen Konfektion und Film fällt es
daher nicht weiter auf, daß die Reklamen
abteilungen der Filmindustrie sich der
Weltanschauung der Konfektion be^
mächtigt haben und das Sprichwort in
abgewandelter Form als modernen
Bürospruch verwenden, wo er also lau^
tet: Kleider machen Filme. Um Miß^
verständnissen vorzubeugen, muß ge^
sagt werden, daß es sich dabei nicht um
die Kleider und Kostüme der Männer
und Frauen handelt, die als Helden
allabendlich auf der Leinewand auf
treten (obwohl neuerdings auch hier die
Kostüme manchen Film machen), son^
dern um die Bekleidung derer, die eim
geladen wurden, den Film zum erstens
mal zu sehen. Denn auf dieser Ein^
ladung pflegt zu stehen: Herren schwart
zer Anzug, Damen Abendkleid.
Nun gehört es zu den unbestrittenen
Vorzügen des Kinos, daß es während
der Vorstellung dunkel ist und die Zu^
schauer nur durch Geräusche zu einem
sinnlich wahrnehmbaren Gemeine
schaftserlebnis verbunden werden kön^
nen. Zu einem geselligen Ereig^
nis, geschweige denn zu einem ge^
sellschaftlichen, kann eine Filmvorfülv
rung an sich nicht werden. Frack und
Abendkleid verlieren in der Dunkelheit
ihre gesellschaftsbildende Bedeutung.
Aus diesem Grunde wird in solchen
Fällen dem Film ein Konzert vorange^
stellt, das den Zufrühgekommenen
wenigstens ermöglicht, festzustellen, wer
von den Zuspätkommenden sogar einen
Frack und nicht nur einen Smoking be^
sitzt. Der in dem Film auftretende Heb
dentenor singt den Schlager des Stückes
oder auch die Opernarie, welche das
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