Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

DOI issue:
Heft 7
DOI article:
Walter, Grete: Wie erkennt man Verliebte?
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0563

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
WIE ERKENNT MAN VERLIEBTE?
Von
GRETEL WALTER
Erstens: man selber:
Es gibt da einen sehr merkwürdigen Zustand, den der Poet als „Himmel auf
Erden", der gewöhnliche Sterbliche aber einfach als Verliebtheit zu bezeichnen
pflegt. Eins der frühesten Anzeichen dafür ist eine gesteigerte Empfindlichkeit
für die Wetterlage. Wenn man die Sonne warm und zärtlich auf der Haut spürt,
Vögel zwitschern hört und Wolken ziehen sieht — oder melancholisch dem Regent
nieseln zuschaut und die niedere graue Decke des Himmels als Einengung der
persönlichen Freiheit empfindet, oder was dergleichen Empfindungen mehr sind,
für die man als abgestumpfter Großstädter sonst wenig Sinn hat — dann ist es
Zeit, aufmerksam zu werden und sich selbst mit einem gewissen Mißtrauen zu
beobachten.
Man wird dann vermutlich noch andere, nicht unverfängliche Symptome ent^
decken, die an und für sich nichtssagend erscheinen, aber in ihrem Zusammen^
hang ein deutliches Krankheitsbild ergeben. Zum Beispiel, daß man findet, daß
Theodor (oder Stephan oder Franz) ein ausnehmend sympathischer Name sei,
obwohl man sonst keineswegs eine besondere Vorliebe für diesen Namen hatte.
Man wird später bemerken, daß man diesen selben Namen gänzlich überflüssigere
weise mit der Feder auf Löschpapier, mit dem Schirm in den Sand, oder einfach
mit den Fingern der Seele in die Luft schreibt. Doch ist dies bereits das Zeichen
eines verhältnismäßig vorgerückten Stadiums der obenerwähnten Krankheit.
Frühere Symptome sind ein Hang zum Nichtstun, eine ziemlich ausgeprägte
Arbeitsscheu. Man liegt gern auf der Couch und denkt „an nichts", auch wenn
man sonst eine rastlos tätige Natur ist.
Schaufenster mit Hüten, Kleidern, Schals haben ihre Anziehungskraft noch
erhöht. Falls man nur über ein bißchen Geld verfügt, kauft man sich gern etwas
Neues — und auffallenderweise Dinge, für die man sonst gar nicht schwärmte.
Zum Beispiel einen knallroten Schal oder Strümpfe mit Zwickeln. Wenn man
dann den knallroten Schal trägt, hat man das peinliche Gefühl, daß alle Leute
einem nachschauen. Aber im Grunde ist einem das schnurzegal.
Überfüllte Straßenbahnen meidet man und geht gern lange Strecken zu Fuß.
Überhaupt entdeckt man einen neuen Hang zur Einsamkeit, zur verantwortungs^
losen Träumerei, in sich.
Im Kino findet man, daß der Held Ähnlichkeit mit Theodor hat. Nicht gerade
im Gesicht, aber im Wesen.
An körperlichen Erscheinungen sind vor allem die Atembeschwerden zu er^
wähnen. Sie treten mit Vorliebe auf, wenn Theodor einen begrüßt, oder wenn
man ihn im Gespräch mit anderen erwähnen muß. Besonders das letztere ist
sehr störend, weil man sich merkwürdigerweise sehr oft gezwungen sieht, Theodor
zu erwähnen. Sei es, weil man seine Meinung über Hühnerzucht anführen will,
oder auch, weil sich Gelegenheit ergibt, mitzuteilen, daß Theodor auch einmal
eine Blinddarmoperation durchgemacht hat.

407
 
Annotationen