Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0627
DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:Fischer, Rudolf: Im Garten der Vorurteile
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Zeichnung von Pankok
Japanische Ringkämpfer, die vor dem Kampfe gemästet werden
IM GARTEN DER VORURTEILE
Von
RUDOLF FISCHER
en Durchschnitts-Skeptiker erkennt man daran, daß er die Skepsis als
" Haltung nie unter die Lupe nimmt. Kein Jüngling liebt ein Mädchen
so unbesehen wie er seine Skepsis. Er hält sie für das Ende der Welt, für
die Vollendung schlechthin. Dahinter, meint er, kommt nichts mehr. Er,
der so stolz ist, keine Vorurteile zu hegen, gibt sich hier hemmungslos
diesem wirklich kannibalischen Vorurteil hin.
Was ist denn die Skepsis in neunzig von hundert Fällen? Der gute
Mann hat sich alle seine eigenen Dummheiten verziehen und ist ent-
schlossen, das auch fürderhin so zu halten. Das ist alles. Vielleicht blieb
ihm ein geschärfter Geruchsinn für den Odeur von tiefer Weisheit erhalten,
der stärker an einer Dummheit als an jeder Klugheit haftet. Das macht
ihn erträglich. Aber es geht mit der Skepsis wie mit der Libertinage: wo
sie schrankenlos herrscht, ist es aus mit der Freiheit.
Solche Skeptiker haben es so leicht, aneinander heranzukommen, sich,
wie sie sagen, zu „verständigen". Sie erkennen sich als die nämlichen,
deuten sich durch gewisse Geheimzeichen an, daß sie das Tier unterhalb der
erlauchten Skepsis in sich respektieren, und wollen sich nichts übelnehmen.
Beide haben sie die Überzeugung, daß sie die Mittel, mit denen sich
Auguren ihres Schlages über den Löffel balbieren, zu genau kennen, als
daß es sich lohnte, gegeneinander Gebrauch davon zu machen. Das ist
ihr Komment.
Sie haben keinen Sinn für die Erkenntnis, daß gut gewachsene Vor-
urteile Ausscheidungsprodukte von Charakter sind. Natürlich nicht jene,
die durch dumme Verallgemeinerungen entstanden sind. Zum Charakter
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