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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 8
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Belloc, Hilaire: Aristokratie und Bürokratie
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0676

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ARISTOKRATIE UND BÜROKRATIE
Von
HILAIRE BELLOC

Eines Tages speiste ein Mann gemütlich und zufrieden im Cafe
Anglais, — das war noch in der Zeit, wo die Leute dorthin gingen.
Der Abend war gerade in vollem Gange, und er saß allein an einem
kleinen Tisch, als jetzt ein sehr großer Mann in einem dicken Pelz ein-
trat. Der große Mann blickte ärgerlich umher, weil kein Platz war, und
der erste Mann bot ihm sehr höflich einen Stuhl an seinem kleinen Tische
an. Sie setzten sich und tranken und sprachen über allerhand; darunter
auch von der Bürokratie. Der erste behauptete, daß die Bürokratie der
Fluch Frankreichs sei.
„Die Menschen werden von ihr wie Schafe beherrscht. Der Admini-
strator, auch noch so subaltern, ist stets ein Despot; die meisten laufen ihm
halbwegs mit einem Bückling entgegen — die kriecherischen Hunde, die
sie sind," sagte er. „Nein", versetzte der große Mann im Pelz, „ich möchte
lieber sagen, daß die Menschen einfach vom simplen menschlichen Gefühl
für Autorität beherrscht werden. Ich habe keine Theorien. Ich sage, sie
erkennen die Autorität und gehorchen ihr. Ob diese bürokratisch ist oder
nicht, bleibt eine bloße Formangelegenheit."
In diesem Augenblick kam ein länglicher, steifer Engländer in das Lokal.
Er lugte ebenfalls nach einem Stuhl aus. Die zwei Männer sahen den
Geschäftsführer auf ihn zutreten; ein paar Worte wurden gewechselt und
eine Visitenkarte überreicht — worauf der Geschäftsführer plötzlich
lächelte, sich verbeugte, herumschwänzelte und endlich mit der fragenden
Bitte an ihren Tisch trat, ob die Herren für den Herzog von Sussex noch
Platz hätten? Der Herzog hoffe, daß er die Herren nicht inkommodiere.
Sie versicherten, daß sie seine Anwesenheit, im Gegenteil, als eine Ehre
empfänden.
„Wir nehmen es als unser Vorrecht", sagte der große Mann im Pelz,
„als der Gastgeber — Paris unseren Gast zu unterhalten."
Sie wollten keinen Protest hören; sie bestanden darauf, daß der Herzog
mit ihnen diniere, und erzählten ihm, worüber sie soeben diskutiert hatten.
Der Herzog hörte sich ihre Theorien an mit einigem Dünkel, viel Spleen,
großem Phlegma, doch in vollendeter Höflichkeit, und sagte ihnen dann,
so gegen den Kaffee zu, in fließendem Französisch, wiewohl mit starkem
Akzent, seine eigene Meinung. (Er hatte acht exzellente Gänge gehabt:
Iquem zum Fisch, einen hervorragenden Chambertin und den wunder-
vollsten Champagner beim Dessert.) Er sagte folgendes, mit einem kleinen,
etwas harten Lächeln:
„Meine Ansicht mag Ihnen impertinent scheinen, aber ich glaube, daß
nichts auf die Menschen feiner und stärker einwirkt, als das Gefühl für
Aristokratie. Mißverstehen Sie mich nicht", setzte er, sehend, daß sie

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