Galerie Flechtheim [Mitarb.]: Der Querschnitt (16.1936)

REISEN

Die vier Temperamente des Reisens: der Fußgänger, der Radfahrer, der Auto#
fahrer, der D#Zug#Reisende.
Reisen nach einem festen Programm ist wie Speisen nach einem Gedeck: man
hat sich festgelegt und nun gibt es keine Überraschungen mehr.
Karte von einer Reise: „vorweg (als Suppe) den Vierwaldstättersee, als Zwischen#
gericht das Mittelmeer, als Hauptgericht die Cheopspyramiden und als Nachtisch
das Niederwalddenkmal. — Der Empfänger mußte leicht aufstoßen; es war ihm,
als hätte er dies Reise#Gedeck selbst verzehrt.
Man kann sich auch am Reisen übernehmen, solche Menschen sollten als Natron
etwas mehr Seßhaftigkeit zu sich nehmen.
Wer in der festen Absicht losreist, hinterher etwas erzählen zu können, ist
meistens von der Ausbeute enttäuscht.
Es kann jemand ein geborener Erzähler sein, ohne daß er je den Fuß vor die
Tür gesetzt hätte.
Es gibt Menschen, die zehnmal an der Riviera waren und nicht eine Einzelheit
zu schildern vermögen, und es gibt andere, die (nachweislich) niemals aus ihrem
Bau herauskamen, aber eine hinreißend#genaue Schilderung der Alpenwelt geben.
Es gibt AugemReisende und MagensReisende: für erstere wird selbst die ödeste
Speisekarte zur blühenden Landschaft; für die letzteren wird selbst die hin#
reißendste Landschaft zur Speisekarte.
Wie man sich bettet, so reist man: ein schlechtes Bett, eine schlaflose Nacht
unterwegs können zum beherrschenden Erlebnis werden.
Er brachte von seiner Reise nichts mit nach Haus als die Haarfarbe eines
Mädchens, das er unterwegs kennen lernte. Der Dom zu Venedig hatte nicht
einen annähernd so überwältigenden Eindruck auf ihn gemacht.
Wenn manche Globetrotter heimkehrend ins Zimmer treten, tun sie, als hätten
sie die Cheops#Pyramiden in der Reisetasche.

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