Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0217
DOI issue:
Heft 3
DOI article:Bogeng, Gustav A. E.: Fortsas Auktionskatalog
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FORTSAS AUKTIONSKATALOG
Von
G. J. E. BOGENG
n einer seiner köstlichen Charakterkarikaturen zeichnete Jean Paul den armen
Mann, dem das Bücherland seiner Sehnsucht sich verschließt. Er kann sich
keine Bücher kaufen, ihr Angebot in den Meßverzeichnissen muß ihm ausreichen,
das Fieber seiner Leidenschaft zu besänftigen. Umsonst hat er die verlockendsten
Titel. Mit Bedacht, doch ohne nach dem Preise zu fragen, wählt er die besten Titel
des Jahres. Dann setzt er sich hin und schreibt sich die seiner Ansicht nach zu
diesen Titeln gehörenden Bücher selbst. Ein Bibliophile in der Phantasie, dem
sein Glück nicht durch die Unrast des Sammelns und Verlangens verleidet wird.
Der alle Bücher haben kann, weil alle Bücher, die und wie man sie haben
möchte, nur in einem Traumreiche sich verwirklichende Wunschbilder sind.
Der Bibliophile verweilt gern in Regionen, in denen schlichte Titel sich in den
Formen unerhörter Sammlerstücke zeigen. Bücher, die man finden könnte, weil
sie so, gerade so, vorhanden sein könnten. Ein in einem Kataloge vermerkter Titel
verweist auf ein vorhandenes Buch. Der nüchternste Beweis für sein Dasein wird
dadurch gegeben, daß es Geld, viel Geld kosten soll. Hier beginnt Logik und
Phantasie hört auf.
Nicht London, nicht Paris waren der Schauplatz der seltsamsten Bücherver^
Steigerung des 19. Jahrhunderts, sondern das belgische Städtchen Binche. Aus
ihm brachte die Post an einem schönen Julimorgen des Jahres 1840 den Büchern
sammlern ein dünnes Heft, das sie auf den Spaziergang verzichten und tätig werden
hieß: „Verzeichnis der außerordentlich kostbaren obschon nicht umfangreichen
Bücherei des verewigten Grafen J. U. A. de Fortsas, deren Versteigerung am
10. August 1840, II Uhr vormittags bei dem und unter Leitung des Notars
Mourlon, Kirchstraße 9, stattfinden wird." Der anständig und bescheiden auftre^
tende Auktionskatalog berichtete über diesen bisher seinen Mitsammlern unbe^
kannten Bibliophilen, er habe sein Leben verbracht mit dem Aufbauen und Ein^
reißen einer Büchersammlung, es fernab vom Kriegs^, Revolutions^ und Welt^
gewühle an die hohe Aufgabe setzend, das non plus ultra der Raritäten, Unifca,
zusammenzubringen. „Der Graf duldete auf seinen Bücherbrettern nur allen
Bibliographen und Katalogen unbekannte Werke. Das war sein unwandelbarer
Grundsatz. Man versteht, daß der Umfang einer in vierzig Jahren mit dem AuE
wande bedeutender Mittel nach diesem System konstruierten Bibliothek nicht
groß werden konnte. Aber es ist fast unglaublich, daß der Graf unbarmherzig alle
jene seiner mit Gold aufgewogenen Bände aus den Reihen seiner Bücher verstieß,
Bände, die der Stolz anspruchsvollster Bibliophilen gewesen sein würden, sobald
er in Erfahrung brachte, daß sie irgendwo als vorhanden katalogisiert wurden.
Für solche betrübende Entdeckungen hatte er sich in seinem handschriftlichen
Verzeichnisse eine eigene Spalte freigelassen, in der nun immer wieder zu lesen
steht: Da oder dort erwähnt, deshalb verkauft, verschenkt oder — so weit kann die
Leidenschaft eines exklusiven Bibliophilen gehen — vernichtet. Die Veröffenü
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Von
G. J. E. BOGENG
n einer seiner köstlichen Charakterkarikaturen zeichnete Jean Paul den armen
Mann, dem das Bücherland seiner Sehnsucht sich verschließt. Er kann sich
keine Bücher kaufen, ihr Angebot in den Meßverzeichnissen muß ihm ausreichen,
das Fieber seiner Leidenschaft zu besänftigen. Umsonst hat er die verlockendsten
Titel. Mit Bedacht, doch ohne nach dem Preise zu fragen, wählt er die besten Titel
des Jahres. Dann setzt er sich hin und schreibt sich die seiner Ansicht nach zu
diesen Titeln gehörenden Bücher selbst. Ein Bibliophile in der Phantasie, dem
sein Glück nicht durch die Unrast des Sammelns und Verlangens verleidet wird.
Der alle Bücher haben kann, weil alle Bücher, die und wie man sie haben
möchte, nur in einem Traumreiche sich verwirklichende Wunschbilder sind.
Der Bibliophile verweilt gern in Regionen, in denen schlichte Titel sich in den
Formen unerhörter Sammlerstücke zeigen. Bücher, die man finden könnte, weil
sie so, gerade so, vorhanden sein könnten. Ein in einem Kataloge vermerkter Titel
verweist auf ein vorhandenes Buch. Der nüchternste Beweis für sein Dasein wird
dadurch gegeben, daß es Geld, viel Geld kosten soll. Hier beginnt Logik und
Phantasie hört auf.
Nicht London, nicht Paris waren der Schauplatz der seltsamsten Bücherver^
Steigerung des 19. Jahrhunderts, sondern das belgische Städtchen Binche. Aus
ihm brachte die Post an einem schönen Julimorgen des Jahres 1840 den Büchern
sammlern ein dünnes Heft, das sie auf den Spaziergang verzichten und tätig werden
hieß: „Verzeichnis der außerordentlich kostbaren obschon nicht umfangreichen
Bücherei des verewigten Grafen J. U. A. de Fortsas, deren Versteigerung am
10. August 1840, II Uhr vormittags bei dem und unter Leitung des Notars
Mourlon, Kirchstraße 9, stattfinden wird." Der anständig und bescheiden auftre^
tende Auktionskatalog berichtete über diesen bisher seinen Mitsammlern unbe^
kannten Bibliophilen, er habe sein Leben verbracht mit dem Aufbauen und Ein^
reißen einer Büchersammlung, es fernab vom Kriegs^, Revolutions^ und Welt^
gewühle an die hohe Aufgabe setzend, das non plus ultra der Raritäten, Unifca,
zusammenzubringen. „Der Graf duldete auf seinen Bücherbrettern nur allen
Bibliographen und Katalogen unbekannte Werke. Das war sein unwandelbarer
Grundsatz. Man versteht, daß der Umfang einer in vierzig Jahren mit dem AuE
wande bedeutender Mittel nach diesem System konstruierten Bibliothek nicht
groß werden konnte. Aber es ist fast unglaublich, daß der Graf unbarmherzig alle
jene seiner mit Gold aufgewogenen Bände aus den Reihen seiner Bücher verstieß,
Bände, die der Stolz anspruchsvollster Bibliophilen gewesen sein würden, sobald
er in Erfahrung brachte, daß sie irgendwo als vorhanden katalogisiert wurden.
Für solche betrübende Entdeckungen hatte er sich in seinem handschriftlichen
Verzeichnisse eine eigene Spalte freigelassen, in der nun immer wieder zu lesen
steht: Da oder dort erwähnt, deshalb verkauft, verschenkt oder — so weit kann die
Leidenschaft eines exklusiven Bibliophilen gehen — vernichtet. Die Veröffenü
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