Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0200
DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:Sammler-Philosophie
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SAMMLER-PHILOSOPHIE
Der tiefere Sinn des „Sammelns" irgendwelcher Dinge oder Gegenstände besteht
darin, daß man etwas durch und durch Unpraktisches, vernünftigen Leuten schlechtere
dings Unverständliches tut. Menschen, die zu einem vernünftigen Zwecke sammeln —
Briefmarken, weil es belehrend ist oder peu ä peu ein Vermögen anwachsen läßt; Autoe
gramme, weil man sie einmal gut zu verkaufen hofft — sind elende Dilettanten oder
Krämerseelen. Jedes Geschwätz über den „Wert" einer Sammlung beweist einen
schlechten Charakter.
Es kommt durchaus nicht darauf an, was man sammelt, sondern daß man sammelt.
Nur wer einen ausgewachsenen Spleen im Kopfe hat, besitzt eine Begabung zum
Sammeln.
Es gibt auch unter den Antiquitätenhändlern Sammler. Man erkennt sie daran, daß
sie nur höchst ungern etwas verkaufen. Meist helfen sie sich damit, daß sie ab und zu
einen Dilettanten mit einer Wertlosigkeit betrügen. Man kann davon leben.
Der Sammler, der seine Sammlung irgend jemand mit Stolz vorführt, ist noch ein
Anfänger oder bleibt unbegabt Zeit seines Lebens. Der echte Sammler lernt mit der
Zeit, daß es völlig wertlos und in der Regel enttäuschend ist, auf Verständnis oder etwa
gar auf Bewunderung anderer Menschen zu hoffen. Selbst Sammler sollten einander
lieber nicht verstehen. Jeder Vergleich der eigenen Sammlung mit einer anderen ist
wie ein schleichendes Gift, das den Spaß verdirbt.
Die Stücke meiner kleinen Sammlung, die ich am innigsten liebe, sind die, die man
als geradezu lächerlich unpraktisch bezeichnen muß. Sie sind nicht einmal „schön".
Ist es nicht herrlich, daß da vor etwa hundert Jahren ein biederer Handwerker, nur um
einmal einen „anderen" Leuchter zu fabrizieren als den gewohnten, natürlichen Kerzen^
halter, sich schließlich eine Lösung für die Kerzenbefestigung ausgedacht hat, die in
ihrer Umständlichkeit und Zwecklosigkeit nicht zu übertreffen ist? Welcher vernünftige
Mensch würde je daran denken, einen Leuchter so einzurichten, daß die Kerze sich
notwendigerweise vertropfen muß, weil bei der schönen Konstruktion leider kein Platz
mehr für den zweckmäßigen breiten Rand blieb, der bei jedem anderen halbwegs ver*
nünftigen Leuchter die Tropfen auffängt... Gunther Haupt.
Wer eine Geschichte des Sammelns schreiben wollte, von den Schatzhäusern
germanischer Könige herab, über die Handschriften des Mittelalters, die Münzen,
Bilder und Statuten der Renaissance, die Kunstkammern, geschnittenen Kirschkerne
und das Porzellan des siebzehnten Jahrhunderts, die Tulpenzwiebeln und Conchylien
der Holländer, bis zu den zahllosen Gegenständen des modernen Sammeleifers — der
könnte manches Traurige und vieles Heitere aus dem Gesamtstreben der Menschheit
zur Anschauung bringen . .. Gustav Freytag.
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Der tiefere Sinn des „Sammelns" irgendwelcher Dinge oder Gegenstände besteht
darin, daß man etwas durch und durch Unpraktisches, vernünftigen Leuten schlechtere
dings Unverständliches tut. Menschen, die zu einem vernünftigen Zwecke sammeln —
Briefmarken, weil es belehrend ist oder peu ä peu ein Vermögen anwachsen läßt; Autoe
gramme, weil man sie einmal gut zu verkaufen hofft — sind elende Dilettanten oder
Krämerseelen. Jedes Geschwätz über den „Wert" einer Sammlung beweist einen
schlechten Charakter.
Es kommt durchaus nicht darauf an, was man sammelt, sondern daß man sammelt.
Nur wer einen ausgewachsenen Spleen im Kopfe hat, besitzt eine Begabung zum
Sammeln.
Es gibt auch unter den Antiquitätenhändlern Sammler. Man erkennt sie daran, daß
sie nur höchst ungern etwas verkaufen. Meist helfen sie sich damit, daß sie ab und zu
einen Dilettanten mit einer Wertlosigkeit betrügen. Man kann davon leben.
Der Sammler, der seine Sammlung irgend jemand mit Stolz vorführt, ist noch ein
Anfänger oder bleibt unbegabt Zeit seines Lebens. Der echte Sammler lernt mit der
Zeit, daß es völlig wertlos und in der Regel enttäuschend ist, auf Verständnis oder etwa
gar auf Bewunderung anderer Menschen zu hoffen. Selbst Sammler sollten einander
lieber nicht verstehen. Jeder Vergleich der eigenen Sammlung mit einer anderen ist
wie ein schleichendes Gift, das den Spaß verdirbt.
Die Stücke meiner kleinen Sammlung, die ich am innigsten liebe, sind die, die man
als geradezu lächerlich unpraktisch bezeichnen muß. Sie sind nicht einmal „schön".
Ist es nicht herrlich, daß da vor etwa hundert Jahren ein biederer Handwerker, nur um
einmal einen „anderen" Leuchter zu fabrizieren als den gewohnten, natürlichen Kerzen^
halter, sich schließlich eine Lösung für die Kerzenbefestigung ausgedacht hat, die in
ihrer Umständlichkeit und Zwecklosigkeit nicht zu übertreffen ist? Welcher vernünftige
Mensch würde je daran denken, einen Leuchter so einzurichten, daß die Kerze sich
notwendigerweise vertropfen muß, weil bei der schönen Konstruktion leider kein Platz
mehr für den zweckmäßigen breiten Rand blieb, der bei jedem anderen halbwegs ver*
nünftigen Leuchter die Tropfen auffängt... Gunther Haupt.
Wer eine Geschichte des Sammelns schreiben wollte, von den Schatzhäusern
germanischer Könige herab, über die Handschriften des Mittelalters, die Münzen,
Bilder und Statuten der Renaissance, die Kunstkammern, geschnittenen Kirschkerne
und das Porzellan des siebzehnten Jahrhunderts, die Tulpenzwiebeln und Conchylien
der Holländer, bis zu den zahllosen Gegenständen des modernen Sammeleifers — der
könnte manches Traurige und vieles Heitere aus dem Gesamtstreben der Menschheit
zur Anschauung bringen . .. Gustav Freytag.
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