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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 5
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Schacht, Sven: Königin Privatsekretärin: Ein Märchen von Sven Schacht
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0376

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recht keck ist, einfach süß sozusagen. Halten wir sie an der Stirnlocke? Nein,
sic hält uns an der Glatze, denn während der ersten traumhaften Gedankenpause
hat sie uns unsere Locken nicht nur abgeschnitten, wie weiland Dalila dem
schlafenden Simson, nein, sie hat uns kahlgeschoren, und wir werden bald spüren,
wie der Wind pfeift. Der erste schwache Augenblick, mit ihm fings an. Bei uns,
bei ihr? Vermessener Gedanke, dabei der Königin auch nur eine leise Gemüts^
regung zutrauen zu wollen, hier hilft nur schonungslose Selbstzerknirschung:
bei uns, bei uns allein fing es an. Vir waren schwach. Und sie war vielleicht nie
stärker als in jenen ersten, ach so fernen Tagen, als sie noch bescheiden^melodisch
klopfte, oder hatten wir nur geträumt, daß sie im Anfang klopfte? Heute klopft
nur noch unser Herz, wenn sie sich vor uns hinstellt: „Was soll ich Ihrer Gattin
sagen, bezüglich ,Mausi' (sie spricht das Wort der uns in jeder Hinsicht Teuren
aus, wie eine Lokomotive schlechten Dampf ausstößt), ,dringende Sitzung', oder
,wissenschaftlicher Vortrag'?" Und die Gegenfrage nimmt sie sieghaft gewohnt
hin: „Darf ich Ihnen Karten fürs Kino besorgen lassen, oder für die Oper?"
¥
„Mausi" vergeht, die Königin besteht. Die Erscheinungsformen ihrer Majestät
sind es allein, die wechseln. Mein Freund, der Rechtsanwalt, hat eine gutgehende
Praxis in einem Bergstädtchen der Adria, denn Stadtluft macht frei bekanntlich,
und wie vermag man seine freie Zeit nützlicher zuzubringen, als einen Prozeß
zu führen, der Stimmung in die Bude bringt? Bei meinem Freund, dem Rechts^
anwalt, der kühlen Herzens die Prozesse um ihrer selbst willen führt, bringt die
Privatsekretärin die Stimmung in die Bude. Eben noch lehnt er am Aktenschrank,
die Zigarette in der Hand, und bläst Ringel in die Luft. Die ganzen sind gewonnene
Prozesse, die halben verlorene. „Mach doch mal einen ganzen Ring", muntere ich
ihn auf, „Symbol für deinen letzten, gewonnenen Prozeß." „Was brauch ich
gewinnen, ich gewinne immer", meint er gerade noch mit schütterem Gelächter,
als er jäh verstummt. „Miß Elektrika", haucht er gerade noch, „meine Private
sekretärin, nun gnad uns Gott." Die Tür sprengt ein gutgezielter Fußtritt und
ein Wesen in Reitstiefeln knattert uns den Gruß entgegen: „Servus, allerseits!
Hier nehmen Sie Ihren Wisch", meint sie verächtlich zu meinem Freund, „sowas
lasse ich nicht hinausgehen! Die Leute sagen sonst, die Firulla, das will eine
Rechtsbeflissene sein? Und ich muß mir schon verbitten — "und ihre Stahlbrillen^
bewaffneten Augen funkeln — „daß man von Ihnen, Herr Doktor jur., auf mich
schließt!" Mein Freund übersieht, daß ich ihm abwinke: „hat keinen Zweck,
verstehe ich, Ärmster", er will zeigen, daß auch der getretene Wurm sich noch
zu krümmen vermag. „Fräulein Firulla", beginnt er deshalb ruhig, „Richter
Rakull hat angerufen, die Beschimpfungen, die Sie eine halbe Stunde lang im
Amtszimmer gegen ihn vor Zeugen losgelassen haben, haben jetzt das Maß voll/
gemacht. Diesmal wird gegen Sie geklagt!" Miß Elektrika schnaubt auf: „Der
Rakull, o der Nichtswürdige, oh, der soll mich kennenlernen!" Und sie packt
vor unseren Augen den Telefonhörer, keucht nur noch: „den Rakull bitte, jawohl
den königlichen Amtsrichter Stephan Rakull, gerade den!" um dann als Königin
Privatsekretärin Worte des Ingrimms und Zornes zu finden, daß wir beide als
bloße Zuhörer uns ducken wie Fasanenmännchen im Sommerregen. „Hat der

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