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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 4
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Belloc, Hilaire: Die Kunst zu Langweilen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0310

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Eine subtilere Verteidigung, und zwar eine sehr wirkungsvolle, wurde vor etwa
dreißig Jahren von einem hochgestellten Staatsbeamten erfunden. Sie besteht
darin, dem Langweiler aufmerksam zuzuhören bis knapp nach seiner Schlüße
pointe — oder, was er so nennt —, im selben Moment aber eine völlig entrückte
Miene aufzusetzen und dann erstaunt zu fragen, warum er denn nicht fort'
fahre? Die betreffende Formel ,,Na — und -— —?" kann unter Umständen
tödliche Wirkung haben. Um dieser Verteidigung zu begegnen, ist es gar nicht
übel, die ganze Geschichte wieder von vorne zu erzählen. Das wird ihm 'ne Lehre
sein!
Aber die stärkste Verteidigung — jene, die du am meisten zu fürchten hast —
ist, daß der Mann einfach weggeht. Die meisten Autoritäten in der Kunst des
Langweilens halten dieses für eine definitive Niederlage. Das muß nicht so sein.
Ich kenne jemand, von dem die Leute in der Mitte seines Langweiltrainings resolut
wegmarschierten. Aber er rang diese Taktik nieder, indem er hinter dem Aus^
brecher herging und ihn am Rock festhielt. Mit etwa fünfzigprozentigem Erfolg.
Doch nicht viele haben solch einen Mut.
Schließlich möchte ich noch zwei kleine Privatrezepte empfehlen. Das eine
sind Schweigepausen in den Intervallen des Anödens — denn es ist eine paradoxe
Wahrheit, daß sie die Wirkung unglaublich erhöhen. Die Pausen müssen nicht
so lang sein, daß das Opfer nach der Zeitung greifen könnte, sondern gerade
ausgedehnt genug, um seine Nerven zu erschüttern. Beobachte sein Gesicht, be^
lauere dessen stufenweis zunehmende Erschlaffung, und bemiß deine Zeit genau
für die Wiederaufnahme der Prozedur. Das andere Rezept besteht in kaum ver^
ständlichem Sprechen, Nuscheln, Brummeln und so weiter — dann, wenn der
Gelangweilte ungeduldig um Wiederholung bittet, tue es noch undeutlicher.
Das wirkt immer.
Aber schließlich und endlich sind alle diese Regeln doch bloß mechanisch.
Ein Mensch wird durch Papierregeln niemals der echte, der naturgeborene Lang<
weiler werden — ebensowenig, wie er ein Dichter werden kann durch Bücherlesen.
(Übertragung von Sigismund v. Radecki)


Liegende

Paul Scheurich

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