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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 4
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Belloc, Hilaire: Die Kunst zu Langweilen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0309

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Eine Parallelmethode besteht im Herumraten nach einem Namen, den du
vergessen hast, und der von keinerlei Bedeutung für die Geschichte ist.
Ein dritter Tip (und ein sehr nützlicher) besteht im Hineinschmuggeln von
allerlei Sorten „Lokalkolorit" und schildernden Nebenzügen. Du mußt die
Sprechweise der Personen in deiner Geschichte so gut du kannst imitieren (und
das will nicht viel sagen!), du mußt anfangen mit einem Schwarm von Phrasen,
wie „Das war einer von diesen alten ..." — und dann stapel die Adjektive hoch.
Eine weitere Regel ist das Einzwängen von Abschweifungen, speziell ästhetischer
oder moralischer Sorte. Mach einen Stopp in der Mitte der Geschichte, und ver^
längere den Todeskampf des Gelangweilten, indem du erläuterst, daß du gar
nichts daran findest, wenn jemand sich besäuft, oder daß du etwas daran findest,
oder daß nichts gegen das Gebäude, welches du soeben beschrieben, einzuwenden
war, oder was nur immer: denn deine Privatansichten in Kunst und Moral sind
die exquisitesten Qdmaterien von der Welt, und du kannst nie genug davon bringen.
Dann darfst du nicht vergessen, daß es noch Spezialkunstgriffe zur Erhöhung
des Effekts gibt, sozusagen die letzten, raffiniertesten Glanzlichter des Anödens.
Bei weitem der feinste davon ist, daß du plötzlich das Ende deiner Geschichte
vergessen hast — gerade wie du es schon greifen wolltest! Ich kenne einen Fall,
wo ein Mann eine Flasche an den Kopf geworfen bekam, weil er das tat, und
keinen hübscheren Beweis seines Erfolges konnte es geben. Die schärfste Variante
davon ist, deinen Strudelteig von Langeweile schlau bis an die Frage hinzuziehen:
„Und was glauben Sie, was er da geantwortet hat —?" und dann pausier eine
Minute und sage: „Also — verdammt! Ich muß mich doch erinnern . .. Ich hab's
schon... sofort, sofort... Sehen Sie, der ganze Witz liegt in den genauen
Worten..." Und dann, wenn du alle Hörer in einer kleinen Hölle von dreißig
Sekunden gehalten hast, sag hoffnungslos, daß du dich nicht erinnern kannst
und laß es bleiben...
Der Mann, der als Langweiler glänzen will und diese Offensivtaktik mit Erfolg
und Freude anwendet, muß auch lernen, jeglichen Widerstand dagegen niedere
zuringen. Denn die Leute, welche das höhere Anöden zu erdulden haben und
noch etwas Energie fühlen, können ganz gut einen Kampf liefern — weshalb es
Pflicht jedes Langeweilebeflissenen ist, gegen solche Opposition auf dem Quivive
zu sein. So gibt es zum Beispiel jenen häßlichen Trick, den Langweiler zu untere
brechen und ihm lebhaft entgegenzureden. Beginnt der Langweiler zum Beispiel:
„Kennen Sie Rio! Schön — als ich einmal in Rio war, da..." — so kann das
Opfer plötzlich ein Maschinengewehrnest aufdecken und brüllen: „Rio! Aber
natürlich! Ob ich Rio kenne!", der dann einen solchen Schwall von Rio^Reminiszem
zen hervorzusprudeln, daß er das feindliche Feuer wie mit einem Spritzschlauch
glatt auslöscht. Es gibt bloß zwei Wege, dem zu begegnen. Entweder man beklagt
sich offen über die Unterbrechung und besteht darauf, in seiner Marter fortfahren
zu dürfen. Oder man läßt den andern Mann seine Munition ruhig verschießen,
um sodann in erneuter Energie zum Gegenangriff anzusetzen.

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