Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0032
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Heft 1
DOI article:Schramm, Wilhelm von: Theater ohne Pause
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bereich zweier pausenlosen Stunden vorüber, in denen man sich selbst wie den
Nachbarn keine Rechenschaft abzulegen braucht.
So wie man von der Straße kommt, im Mantel, den Hut in der Hand, vielleicht
noch Pakete auf dem Knie und die Zeitung in der Tasche, so geht man in diese
sonderbaren Paläste, die doch nur Schaubuden und Passage^Panoptiken eines pausens
los vorüberziehenden Schattendaseins sind, was man ja durch die Respektlosigkeit
seiner Kleidung dokumentiert. Darüber kann ein lächerlicher Smoking bei Film^
premieren nicht hinwegtäuschen. Man hält Distanz und je mehr man bezahlen
kann, um so mehr hält man sich auch vor der auh und niederzuckenden Flimmers
leinwand entfernt. Die Schatten von Halbgöttern, Feen, Nixen und hochbezahlten
Zauberwesen in allerlei Gestalt ziehen über die weiße, flache, unfruchtbare Wand,
sie scheinen zu leben und sind doch nur Schemen; sie hassen, lachen, lieben, ver<
heiraten sich und sterben — und alles ist nicht etwa Spiel wie auf dem Theater,
sondern bloßer bewegter Schatten. Wenn es vorüber ist, dann ist doch nichts ge^
schehen oder soviel wie nichts, zwei Stunden sind eben verrauscht, es ist von der
Rampe kein wirkliches, einmaliges, unwiderbringliches Ereignis bis auf die Zu^
schauer übergegangen, sondern nur auf dem Weg der Akustik und Optik eine
Erregung der innewohnenden Triebe, Gefühle und Leidenschaften geschehen, die
in den meisten Fällen nur ein Gefühl der Leere hinterläßt...
Wer das Leben hat, sucht das höhere Leben: Die Kunst, dieselbe Kunst, die
stets heiter macht und gesellig — im pausenlosen Dunkel bewegen sich nur Ge^
schlechter, die eine Zeitlang vergessen und sich selber betäuben wollen. Das
Theater ohne Pause ohne Gesellschaft und ohne Geselligkeit ist eine Angelegene
heit zwischen dem Leben und den Zeiten. Es füllt selbst eine Pause aus und vere
trägt deshalb keine Pause. Es täuscht über eine Isolierung hinweg und greift im
besten Fall mit schattenhaften Wunschträumen nach vergangenen oder seinsollen^
den Zeiten und Gesellschaftsformen aus. Der Film ist eine Erscheinung des Zwie^
lichts, in seiner Art großartig, notwendig und derzeit unersetzlich, aber mit der
geheimen Tendenz, sich selber überflüssig zu machen und die Schattenspiele des
Lebens, die er allein zu geben vermag, bald durch echtes und vollblütiges Leben
jenseits der Isolierung des einzelnen zu ersetzen.
Die Augen der Welt
Karl Rössing
20
Nachbarn keine Rechenschaft abzulegen braucht.
So wie man von der Straße kommt, im Mantel, den Hut in der Hand, vielleicht
noch Pakete auf dem Knie und die Zeitung in der Tasche, so geht man in diese
sonderbaren Paläste, die doch nur Schaubuden und Passage^Panoptiken eines pausens
los vorüberziehenden Schattendaseins sind, was man ja durch die Respektlosigkeit
seiner Kleidung dokumentiert. Darüber kann ein lächerlicher Smoking bei Film^
premieren nicht hinwegtäuschen. Man hält Distanz und je mehr man bezahlen
kann, um so mehr hält man sich auch vor der auh und niederzuckenden Flimmers
leinwand entfernt. Die Schatten von Halbgöttern, Feen, Nixen und hochbezahlten
Zauberwesen in allerlei Gestalt ziehen über die weiße, flache, unfruchtbare Wand,
sie scheinen zu leben und sind doch nur Schemen; sie hassen, lachen, lieben, ver<
heiraten sich und sterben — und alles ist nicht etwa Spiel wie auf dem Theater,
sondern bloßer bewegter Schatten. Wenn es vorüber ist, dann ist doch nichts ge^
schehen oder soviel wie nichts, zwei Stunden sind eben verrauscht, es ist von der
Rampe kein wirkliches, einmaliges, unwiderbringliches Ereignis bis auf die Zu^
schauer übergegangen, sondern nur auf dem Weg der Akustik und Optik eine
Erregung der innewohnenden Triebe, Gefühle und Leidenschaften geschehen, die
in den meisten Fällen nur ein Gefühl der Leere hinterläßt...
Wer das Leben hat, sucht das höhere Leben: Die Kunst, dieselbe Kunst, die
stets heiter macht und gesellig — im pausenlosen Dunkel bewegen sich nur Ge^
schlechter, die eine Zeitlang vergessen und sich selber betäuben wollen. Das
Theater ohne Pause ohne Gesellschaft und ohne Geselligkeit ist eine Angelegene
heit zwischen dem Leben und den Zeiten. Es füllt selbst eine Pause aus und vere
trägt deshalb keine Pause. Es täuscht über eine Isolierung hinweg und greift im
besten Fall mit schattenhaften Wunschträumen nach vergangenen oder seinsollen^
den Zeiten und Gesellschaftsformen aus. Der Film ist eine Erscheinung des Zwie^
lichts, in seiner Art großartig, notwendig und derzeit unersetzlich, aber mit der
geheimen Tendenz, sich selber überflüssig zu machen und die Schattenspiele des
Lebens, die er allein zu geben vermag, bald durch echtes und vollblütiges Leben
jenseits der Isolierung des einzelnen zu ersetzen.
Die Augen der Welt
Karl Rössing
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