Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0136
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Heft 2
DOI Artikel:Tietgens, Rolf: Indianer von Morgen
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Doch am Abend, wenn die Schatten an den Gebäuden hinaufkriechen und
die Sonne rot in der Steppe untergeht, stehen viele schweigend an den Fenstern.
Dort draußen, fern, wo die roten Tafelberge über der Wüste dunkle Silhouetten
bilden, liegen ihre Dörfer. Dort jagten ihre Väter und waren freie Männer. Sie
hatten nicht auf das Schrillen einer Klingel hin zu irgendeiner Arbeit zusammen^
zukommen. Sie wuschen nicht den Boden einer Küche, schliefen nicht hinter
vergitterten Fenstern, sangen keine New Yorker Negerlieder, sondern uralte, heilige
Gesänge, durch die sie die Götter freundlich stimmen konnten und die den Regen
brachten. Sie wußten die alten Sagen zu erzählen. Von der Riesenspinne im
Navajoland, die zwischen zwei Felsennadeln ihr Netz gespannt hatte und die
vorübergehenden Wanderer darin fing, wie die beiden Huruing'Wuhti im Westen
den ersten Menschen schufen, und vom Skelettmann, der schon lebte, als es noch
keine Sonne gab, wie die Alten bei ihm das Licht machten und viele Geschichten
mehr, die nun bald vergessen sind.
Im Frühjahr, wenn die Schule geschlossen wird, stehen die Eltern in bunten
Tüchern vor den Eisentoren und holen ihre Kinder ab. In den Lehmhäusern der
Pueblos, im Hogahn der Navajos oder den Zelten der Apachen und überall dort,
wo noch auf die alte Weise gelebt wird, erzählen sie von den Dingen, die der
„Weiße Mann" sie lehrt, und die Alten sitzen und schütteln den Kopf.
Dann nehmen sie ihre Pferde und ein buntes Kopftuch und Mokassins mit
silbernen Knöpfen und reiten singend gegen den Wüstenwind ihrer Heimat.
Die dumpfen Trommeln dröhnen durch die Nacht, und die Knaben, geschmückt
mit heiligen Adlerfedern, mit Silber und Türkis tanzen im gleichen Schritt mit
den Männern. Die Stimme des Chors erhebt sich über die Menge der schweigen den,
in Decken gehüllten Zuschauer, die um die Feuer hocken. Weißhaarige Medizin^
männer streuen heiliges Maismehl aus schön geflochtenen Körben und die Göttersind
aus ihren Wohnungen in den Bergen herabgekommen. — Unsichtbar sind sie nahe.
Die endlosen Wälder sind ausgeholzt. Die Prärie ist von Eisenbahnen durchs
quert, mit Telegraphenpfählen bepflanzt und mit Mais und Wellblechschuppen
bebaut. Um die Stationen liegen verrostete Automobile und recken ihre reifens
losen Radstümpfe in den leeren Himmel. Die einstigen Herren der Steppen und
Wälder führen in Reservationen ein friedvolles und kümmerliches Leben mit
einigem Vieh, wenig gutem und viel unbrauchbarem Land. Was der Acker an
Nahrungsmitteln nicht einbringen kann, und das ist vieles, ersetzen die Konserven
der Weißen. Die alten Gebräuche sind zum größten Teil vergessen und soweit
noch Tänze gehalten werden, haben sie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.
Doch trotz dem Einfluß der Zivilisation, die die Rasse und die alten Sitten
ausrottet, wachsen neue Menschen heran von der physischen Stärke und dem Adel
ihrer Väter. Aber sie haben keine Heimat und nirgends Halt und ihre Kräfte
erlöschen nach kurzer Blüte in lärmenden Fabriken und in der leeren Hoffnung
auf die materiellen Vorteile der Weißen.
Aus der Stille der großen Steppe war der Enkel des großen Häuptlings mit
einigen seines Stammes in die lärmende Stadt der Weißen gekommen, um auf
einer Ausstellung Geld zu verdienen. Nicht zu Pferde über die wogende Prärie
mit einer Feder im Haar, sondern im Expreßzug über glitzernde Schienen.
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die Sonne rot in der Steppe untergeht, stehen viele schweigend an den Fenstern.
Dort draußen, fern, wo die roten Tafelberge über der Wüste dunkle Silhouetten
bilden, liegen ihre Dörfer. Dort jagten ihre Väter und waren freie Männer. Sie
hatten nicht auf das Schrillen einer Klingel hin zu irgendeiner Arbeit zusammen^
zukommen. Sie wuschen nicht den Boden einer Küche, schliefen nicht hinter
vergitterten Fenstern, sangen keine New Yorker Negerlieder, sondern uralte, heilige
Gesänge, durch die sie die Götter freundlich stimmen konnten und die den Regen
brachten. Sie wußten die alten Sagen zu erzählen. Von der Riesenspinne im
Navajoland, die zwischen zwei Felsennadeln ihr Netz gespannt hatte und die
vorübergehenden Wanderer darin fing, wie die beiden Huruing'Wuhti im Westen
den ersten Menschen schufen, und vom Skelettmann, der schon lebte, als es noch
keine Sonne gab, wie die Alten bei ihm das Licht machten und viele Geschichten
mehr, die nun bald vergessen sind.
Im Frühjahr, wenn die Schule geschlossen wird, stehen die Eltern in bunten
Tüchern vor den Eisentoren und holen ihre Kinder ab. In den Lehmhäusern der
Pueblos, im Hogahn der Navajos oder den Zelten der Apachen und überall dort,
wo noch auf die alte Weise gelebt wird, erzählen sie von den Dingen, die der
„Weiße Mann" sie lehrt, und die Alten sitzen und schütteln den Kopf.
Dann nehmen sie ihre Pferde und ein buntes Kopftuch und Mokassins mit
silbernen Knöpfen und reiten singend gegen den Wüstenwind ihrer Heimat.
Die dumpfen Trommeln dröhnen durch die Nacht, und die Knaben, geschmückt
mit heiligen Adlerfedern, mit Silber und Türkis tanzen im gleichen Schritt mit
den Männern. Die Stimme des Chors erhebt sich über die Menge der schweigen den,
in Decken gehüllten Zuschauer, die um die Feuer hocken. Weißhaarige Medizin^
männer streuen heiliges Maismehl aus schön geflochtenen Körben und die Göttersind
aus ihren Wohnungen in den Bergen herabgekommen. — Unsichtbar sind sie nahe.
Die endlosen Wälder sind ausgeholzt. Die Prärie ist von Eisenbahnen durchs
quert, mit Telegraphenpfählen bepflanzt und mit Mais und Wellblechschuppen
bebaut. Um die Stationen liegen verrostete Automobile und recken ihre reifens
losen Radstümpfe in den leeren Himmel. Die einstigen Herren der Steppen und
Wälder führen in Reservationen ein friedvolles und kümmerliches Leben mit
einigem Vieh, wenig gutem und viel unbrauchbarem Land. Was der Acker an
Nahrungsmitteln nicht einbringen kann, und das ist vieles, ersetzen die Konserven
der Weißen. Die alten Gebräuche sind zum größten Teil vergessen und soweit
noch Tänze gehalten werden, haben sie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.
Doch trotz dem Einfluß der Zivilisation, die die Rasse und die alten Sitten
ausrottet, wachsen neue Menschen heran von der physischen Stärke und dem Adel
ihrer Väter. Aber sie haben keine Heimat und nirgends Halt und ihre Kräfte
erlöschen nach kurzer Blüte in lärmenden Fabriken und in der leeren Hoffnung
auf die materiellen Vorteile der Weißen.
Aus der Stille der großen Steppe war der Enkel des großen Häuptlings mit
einigen seines Stammes in die lärmende Stadt der Weißen gekommen, um auf
einer Ausstellung Geld zu verdienen. Nicht zu Pferde über die wogende Prärie
mit einer Feder im Haar, sondern im Expreßzug über glitzernde Schienen.
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