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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 2
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Schneider, Walter: Spukhäuser in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0148

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Jahre 1571 zur Regierung kam, war eine der ersten Handlungen des neuen Kur'
fürsten, die Favoritin seines Vaters auf die Festung Spandau zu bringen, wo sie
am 16. November i„y starb. Die Sage weiß jedoch zu berichten, daß die schöne
Gießerin im Jagdschloß Grunewald lebendig eingemauert wurde und daß sie,
wenn im Frühjahr und Herbst um Mitternacht rauhe Winde das Schloß umtoben
und die alten Wetterfahnen kreischen, als Geist in den Schloßräumen umher'
wandeln müsse, wobei die Türen auffliegen und die Kaminvorsätze mit Gepolter
umfallen. Dann wandelt auch der alte, gespenstische Kellermeister mit rasselndem
Schlüsselbund die große Wendeltreppe hinab, um schließlich in der gewölbten
Erdgeschoßhalle zu verschwinden. Die tatsächliche Existenz einer Treppe, die
unten vermauert und am oberen Ende durch eine Steinplatte verdeckt ist, mag
zur Entstehung dieser Sage geführt haben. Dem vielmals geäußerten Wunsche,
die vermauerte Treppe doch zu öffnen, um das Gerücht von der Eingemauerten
mundtot zu machen, ist das ehemalige Kaiserhaus eigentümlicherweise niemals
nachgekommen.
In Potsdam steht an der Schloß' und Hohewegstraße, hart an der Ecke, ein
zweistöckiges, palaisähnliches Haus mit dem charakteristischen Mansardendach
des beginnenden 18. Jahrhunderts. An der schrägen Hausfront nach der Hohe'
wegstraße zu erblickt man außer der durch zwei kunstvoll ausgehauene geflügelte
Löwen verzierten Giebelfläche noch ein Steinbild, den weisen Diogenes in der
Tonne darstellend. Es ist die symbolische Namensdarstellung für den General
v. Einsiedel, der einst Besitzer des prächtigen Hauses war. General v. Einsiedel
hatte im November 1744 den schwierigen Rückzug der preußischen Truppen
von Prag geleitet und sollte trotz redlichster Pflichterfüllung wegen dieser Niedere
läge vor das Kriegsgericht gestellt werden. Er ging, seiner absoluten Schuldlosig'
keit bewußt, dem Tage des Gerichts zuversichtlich entgegen. Als er nach Be'
endigung des Gerichts, tief gebeugt ob der Ungnade seines königlichen Herrn,
von Spandau nach Potsdam zurückkehrte und dort bald darauf starb, verbreitete
sich das Gerücht, der General sei im eigenen Hause heimlich hingerichtet worden.
— Die Hinzuziehung des Berliner Scharfrichters zu seiner Bestattung und die
in aller Stille erfolgende Beisetzung der Leiche in Wiepersdorf hatten dieser düstere
romantischen Sage einen Anstrich von Wahrheit gegeben. Die Legende von dem
enthaupteten General kam nicht eher zur Ruhe, als bis man im Jahre 1857 den
Sarg öffnete und die Haltlosigkeit der schrecklichen Geschichte bewies. Das
„Haus zum Einsiedler" wurde nun nicht mehr als Spukhaus, in dem der General
ohne Kopf sein Unwesen treiben sollte, gemieden, sondern dient heute einem
beliebten Hotel.

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