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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 4
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Hartmann, Walther Georg: Der Unfug des Bescheidwissens
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0297

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So sieht etwa ein Normalfall aus:
Montag
A.: ... mein Chef geht ja zum Ersten.
B.: (zum erstenmal aufmerksam) Ach? Warum denn?
A.: (der es nicht weiß, lächelt nun schnell geheimnisvoll).
B.: (noch aufmerksamer) Hm?
A.: (nun doch bedenklich) : Er soll schwer krank sein. Aber du sprichst nicht davon.
B.: (unaufmerksam, weil kombinierend): Klar!

Dienstag
C.: ... weil mein Chef noch krank ist.
B.: Moment 'mal, schon wieder einer
— das ist ja hochinteressant!
C.: Wieso?
B.: Krank?? Glauben Sie das?
C.: (glaubte es bisher; nun lächelt er
bitter wissend) — Aber woher wis^
sen Sie das?
B.: Gestern erzählte mir der A. das^
selbe: mein Chef ist „krank".
Heute, bei Ihnen ...

D.:... schließlich auch auffallend, daß
er gerade jetzt geht!
A.: Gestern sagt mir der B. auf den
Kopf zu: so und so . .., deshalb ...
D.: (ratlos aushorchend): Ist doch klar,
weshalb denn sonst.^
A.: (als Rückfall): Könnte doch auch
krank sein ... Oder versetzt wer^
den ... Oder sich verbessern ...
D.: (denkt fieberhaft über weniger bün
lich#private Gründe nach).

Mittwoch

A. mit E., B. mit F., C. mit G., D. mit H.
verspinnen in ähnlichen Gesprächen den bescheidenen Kern mit immer
fester werdenden Verdachtsmomenten und verscharren ihn zwischen hoch^

gegrabene Untergründe.

Da mag es denn zugleich auch preisgegeben sein, — des Bescheidwissens
schlimmstes Laster heißt Indiskretion. Schon Nietzsche sah ihn heraufkommen als

neuen Typ einer mittelmäßigen Verruchtheit: den indiskreten Menschen. Denn
es kann ja gar nicht anders ausgehen, — zum Sport, zum Wahn, zur Passion des
Bescheidwissens gehört die Sucht des Bescheidzeigens. Was nützte die Kenntnis
sonst und die hinreißende Deutung und der funkensprühende Kurzschluß, der
sich anbietet, sobald man die zwei abgelauschten oder anvertrauten Tatsachen
scharfsinnig verbindet, — was hätte man davon?
Frühere Weltstädter prunkten mit Palästen, mit Pferden, mit Kleidern, mit
Bedienten ... Die heutigen prunken mit Einblick. Soll dagegen die Hemmung
der Vertraulichkeit standhalten? Verlangen wir gegen die glanzvolle Kraft der
Passionen nicht zuviel von der bescheidenen Tugend des Menschen!
Ja richtig, — die Tugenden des Bescheidwissens — neben den Nützlichkeiten
der Verstandesschärfung, Kombinierungsgabe und Grunderforschung, — wie steht
es denn um die Tugenden?

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