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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 4
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Campanile, Achille: Unfug der Zeitungsanzeigen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0320

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die Papiere fabelhaft in verschiedenen Karteien und Mappen geordnet. Da ist
ein gutgebundenes Buch, und es fehlt auch nicht irgendeine neckische Kleine
plastik. Der junge Mann, der in einem bequemen Sessel sitzt, ist tadellos angezogen,
trägt einen Anzug vornehmster Eleganz, der nicht das geringste Fältchen bildet.
Er raucht, und sein Blick schweift heiter in die Höhe, als folge er gleichsam be^
zaubernden Gebilden. Gibt es etwas Schöneres als ein solches Leben?! Alles um
ihn herum atmet Traulichkeit, Wärme, Stille der Sammlung. Wahrhaftig, ich bin
überzeugt, daß, wenn es mir gelänge, alle die günstigen Bedingungen um mich
zu vereinigen, unter denen der junge Mann da an seinem Schreibtisch sitzt, ich
nur lauter Werke höchster Poesie hervorbringen würde: bei so viel Ordnung,
Heiterkeit, Ruhe, und obendrein die bewußte Zigarette neuer Sorte zwischen
den Lippen, die, nach dem Gesichtsausdruck des Rauchers zu urteilen, ein Wunder
zarter Köstlichkeit sein muß! Ein solches Bild kann natürlich gar keinen anderen
Titel haben als: „Inspiration".
Und die Dame, die eine Tablette gegen Kopfschmerzen nimmt? Wie gern
möchte ich sie kennen, wie gern ihrem intimeren Kreis zugelassen werden. Ich
weiß, daß in der Wirklichkeit Damen, die an Kopfschmerzen leiden, eine Plage
zu sein pflegen. Aber diese da, die dies berühmte Heilmittel nimmt, das in, ich
weiß nicht wie vielen, oder besser gesagt, wie wenigen Minuten das ärgste KopE
weh vertreibt, ist immer jung und schön, trägt immer ein entzückendes, tiefaus^
geschnittenes Hauskleid. Ihr Blick ist gazellenhaft traurig und sanft, wie von
jemand, der in der Stille leidet. (Wie grundverschieden von dem jener migräne^
leidenden Damen, die mir wirklich begegnet sind!)
Für mein Leben gern möchte ich der Auserkorene sein, der ihr die Tablette
reichen darf.
Ich habe auch sehr oft über die Anpreisung des elektrischen Kammes meditiert,
der das Haar wellt und sein Wachstum fördert. Drei Zeichnungen, aber was für
Zeichnungen! Und es ist nicht einmal so sehr der Unterschied der Frisuren
(ärmlich, glatt die erste, wellig, üppig die dritte), der mich beeindruckt hat, als
vielmehr der Unterschied im Gesichtsausdruck. Auf der ersten Zeichnung ist
von Meisterhand die Trauer einer Frau dargestellt, die nicht zu reichlich mit
Haaren gesegnet ist. Ihre Züge drücken verzweifelte Hoffnungslosigkeit aus, und
ihre Trauer macht sie alt, füllt ihr Gesicht mit Runzeln, krümmt ihr die Schultern.
Auf der zweiten Zeichnung, wo der Gebrauch des elektrischen Kammes schon
begonnen hat, verschönert ein blasses Lächeln der Befriedigung die Lippen der
Enttäuschten, die bereits die erste günstige Wirkung des Instruments feststellt,
aber noch kaum ihren eigenen Augen traut. Auf der dritten Zeichnung erleuchtet
ein strahlendes Lächeln das Gesicht der Dame, deren Augen schöner und größer
sind als auf der ersten Zeichnung, und alles in allem erscheint sie viel reizvoller
als auf den beiden anderen Teilen des Triptychons. Daraus habe ich geschlossen,
daß der elektrische Kamm nicht nur die Haare wachsen läßt und sie dauerwellt,
sondern auch die Augen vergrößert, Nase und Mund verkleinert, den Zähnen
edelporzellanenen Schmelz verleiht, Runzeln entfernt, den Rücken strafft. Mit
anderen Worten, er macht Damen eines gewissen Alters um zwanzig Jahre jünger,
und so manches Mal, wenn ich eine Dame in kummervoller Betrübnis sehe, bin

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