Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Elegie auf das Biedermeier
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0460

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8

Als hätten damals Sinn und Lust zu leben
am guten Tun sich gütlicher getan.
Der Weltschmerz hielt das Herz in süßem Beben:
ein „papillon noir" aus Marzipan.
9
Man fühlte sich in freundlicher Verwandtschaft
mit der Natur, mit Blume, Baum und Bach,
und in der sanft, domestizierten Landschaft
ging man erhabenen Gedanken nach.
io
Die Wanderburschen trugen schwere Stecken
und große Hüte und gelocktes Haar;
und Pan, anstatt die Menschen zu erschrecken,
blies die Schalmei und schwieg, wenn Mittag war.
II
Die Kinder trugen schon erwachsne Kleider
und sahen meistens allzu artig drein.
Sie lernten viel und fleißig, aber leider
versäumten sie die Chance: jung zu sein.
12
Die Eltern lebten freundlich ihren Pflichten,
Verdienst und Plage übertrieben nie.
Die Großmama erzählte Spukgeschichten,
und Handarbeit und Hausmusik gedieh.
U
Die jungen Dichter waren selbstverständlich
voll Unzufriedenheit und Sturm und Drang:
was endlich war, war eben drum schon schändlich;
Lavendelduft war höllischer Gestank.
14
Du lieber Gott! ich kann es gut verstehen:
die Zeit war alt, die Dichter waren jung.
Die Gegenwart ist immer ein Versehen
für junge Dichter, denn ihr Weltgeschehen
ist Zukunft — meines ist Erinnerung.

332
 
Annotationen