Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0462
DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:Stendel, Wolfgang: "Hochwohlgeboren"
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0462
suchte. Hochwohlgeboren in der Abkürzung „H" war die gültige, von allen
Schichten respektierte Kennmarke für das „gebildete" Bürgertum, das den Stil
der Zeit prägte.
Die Formel hat den stolzen Klang von Traditionsbewußtsein, und das Nase>
rümpfen über den, der aus „kleinen Verhältnissen" kam, scheint ihn zu bestätigen.
Der Klang täuscht. Die Nasen rümpfen sich nur, solange die gesellschaftliche
Stellung eines Emporkommenden ohnehin strittig war. Ein akademischer Grad,
Offiziersrang oder eine fürstliche Ehrung konnten über Nacht das süße Lächeln
der Bewunderung auf indignierte Mienen legen. Diese Toleranz war erzwungen
durch die den Stolz der Zeit eigentlich begründenden Leistungen, die technische
Leistungen waren und von gesellschaftlichen Außenseitern kamen.
Die Zeit des gebildeten Bürgertums, die uns aus Großmutters Lebensweisheiten
so seltsam vertraut ist, hatte ein wirklich fleißiges Bildungsbedürfnis. Zu keiner
Zeit haben Zeitschriften so viele Reisebeschreibungen, sachliche, kenntnisreiche
Berichte aus fernen Ländern gebracht wie damals. Die Professorenromane der
Dahn und Ebers waren die allgemein begehrte Lektüre, und ihr wichtigstes Lob
war die kulturhistorische Zuverlässigkeit.
Der engherzige Bildungsdünkel dieser Zeit jedoch war kein Zeitlaster, sondern
die weibliche Erscheinungsform eines berechtigten männlichen Leistungsstolzes,
er war Hochnäsigkeit, die Geste der „höheren Töchter".
Das Leben der hochwohlgeborenen Tochter strebte über mangelhafte Private
schulbildung, ein Pensionatsjahr und zuwartendes Staubwischen einem Ehestand
mit Salon zu, in dem Email dreisilbig, Devrient französisch und Talleyrand
mouilliert ausgesprochen und im Zweifel mit Richelieu verwechselt wurde. Für
gebildet hielt sich die junge Dame nicht des Schulbesuchs, sondern der Musiki
mappe wegen, für hochwohlgeboren nicht dank Geburt, sondern durchs Pensionat.
Die an sich gar nicht abwegige Pensionatserziehung hatte zuviel nachzuholen,
um etwas zu leisten. Sie sollte die Gaumennasale des Schulfranzösisch verbessern
und sprach auch in der Schweiz Französisch als Fremdsprache. Sie sollte weltoffen
machen, und war an die Behütungsversprechen engbrüstigster Sittenstrenge ge^
bunden. Sie sollte Hausfrauen erziehen und wurde geleitet von einer verhinderten
Hausfrau, die mit einem wohlklingenden Namen eine wohlklingende Geschäfts^
tüchtigkeit verband. Und dazu kam noch die Forderung „Kunst im Hause".
Jene Zeit hatte das unbefangene Schmuckbedürfnis etwa eines jungen Mäch
chens, das sich plötzlich reif fühlt, und in diesem Blütestolz nicht unterschied
zwischen müßiger Handwerkelei und Kunst. Es ist rührend zu sehen, wie diese
beschäftigungslosen hochwohlgeborenen Töchter mit Gaisfuß und Punze, Flache
eisen und Brennstift bosseln, und wie sie alle ihre Eheerwartungen den Monogramm
men einer nach Zentnern wiegenden Ausstattung einversticheln, und wie sie sitten^
streng und zugleich so voll Neugierde sind. Das Briefwort eines jungen Dichters
jener Zeit nach seiner ersen Schrift: „Plötzlich haben mich die jungen Mädchen
sehr gern oder finden mich wenigstens interessant, weil sie glauben, daß zwischen
den Zeilen etwas Unpassendes steht", sagt alles. Sie haben sich ihr Gebildetsein
gar nicht leicht gemacht, diese jungen Mädchen mit eingeschnürtem Leib und
strengen Augen.
334
Schichten respektierte Kennmarke für das „gebildete" Bürgertum, das den Stil
der Zeit prägte.
Die Formel hat den stolzen Klang von Traditionsbewußtsein, und das Nase>
rümpfen über den, der aus „kleinen Verhältnissen" kam, scheint ihn zu bestätigen.
Der Klang täuscht. Die Nasen rümpfen sich nur, solange die gesellschaftliche
Stellung eines Emporkommenden ohnehin strittig war. Ein akademischer Grad,
Offiziersrang oder eine fürstliche Ehrung konnten über Nacht das süße Lächeln
der Bewunderung auf indignierte Mienen legen. Diese Toleranz war erzwungen
durch die den Stolz der Zeit eigentlich begründenden Leistungen, die technische
Leistungen waren und von gesellschaftlichen Außenseitern kamen.
Die Zeit des gebildeten Bürgertums, die uns aus Großmutters Lebensweisheiten
so seltsam vertraut ist, hatte ein wirklich fleißiges Bildungsbedürfnis. Zu keiner
Zeit haben Zeitschriften so viele Reisebeschreibungen, sachliche, kenntnisreiche
Berichte aus fernen Ländern gebracht wie damals. Die Professorenromane der
Dahn und Ebers waren die allgemein begehrte Lektüre, und ihr wichtigstes Lob
war die kulturhistorische Zuverlässigkeit.
Der engherzige Bildungsdünkel dieser Zeit jedoch war kein Zeitlaster, sondern
die weibliche Erscheinungsform eines berechtigten männlichen Leistungsstolzes,
er war Hochnäsigkeit, die Geste der „höheren Töchter".
Das Leben der hochwohlgeborenen Tochter strebte über mangelhafte Private
schulbildung, ein Pensionatsjahr und zuwartendes Staubwischen einem Ehestand
mit Salon zu, in dem Email dreisilbig, Devrient französisch und Talleyrand
mouilliert ausgesprochen und im Zweifel mit Richelieu verwechselt wurde. Für
gebildet hielt sich die junge Dame nicht des Schulbesuchs, sondern der Musiki
mappe wegen, für hochwohlgeboren nicht dank Geburt, sondern durchs Pensionat.
Die an sich gar nicht abwegige Pensionatserziehung hatte zuviel nachzuholen,
um etwas zu leisten. Sie sollte die Gaumennasale des Schulfranzösisch verbessern
und sprach auch in der Schweiz Französisch als Fremdsprache. Sie sollte weltoffen
machen, und war an die Behütungsversprechen engbrüstigster Sittenstrenge ge^
bunden. Sie sollte Hausfrauen erziehen und wurde geleitet von einer verhinderten
Hausfrau, die mit einem wohlklingenden Namen eine wohlklingende Geschäfts^
tüchtigkeit verband. Und dazu kam noch die Forderung „Kunst im Hause".
Jene Zeit hatte das unbefangene Schmuckbedürfnis etwa eines jungen Mäch
chens, das sich plötzlich reif fühlt, und in diesem Blütestolz nicht unterschied
zwischen müßiger Handwerkelei und Kunst. Es ist rührend zu sehen, wie diese
beschäftigungslosen hochwohlgeborenen Töchter mit Gaisfuß und Punze, Flache
eisen und Brennstift bosseln, und wie sie alle ihre Eheerwartungen den Monogramm
men einer nach Zentnern wiegenden Ausstattung einversticheln, und wie sie sitten^
streng und zugleich so voll Neugierde sind. Das Briefwort eines jungen Dichters
jener Zeit nach seiner ersen Schrift: „Plötzlich haben mich die jungen Mädchen
sehr gern oder finden mich wenigstens interessant, weil sie glauben, daß zwischen
den Zeilen etwas Unpassendes steht", sagt alles. Sie haben sich ihr Gebildetsein
gar nicht leicht gemacht, diese jungen Mädchen mit eingeschnürtem Leib und
strengen Augen.
334