Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0469
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Heft 6
DOI article:Finck, Werner: ich sitze zwischen zwei Stilen
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neben dem andern. Seize und Quatorze. Und wenn mir ein Stück besonders ver$
modert schien, dann sagte der Händler vermittelnd:
„Aber es ist aus der Zeit."
Es gibt in einem Antiquitätengeschäft nichts, was nicht „aus der Zeit" wäre,
und wenn es aus der Jugendzeit wäre. Es ist aber aus der Zeit. Die schönste Zeit
für den Antiquitätensammler ist die Renaissance. Aber auch die schwerste Zeit.
Hier wiegt alles nach Zentnern. Ein Schreibtisch hat das Gewicht einer Truhe.
Eine Truhe hat das Gewicht eines Ambosses. Und ein Amboß ist unbezahlbar.
Wenn er aus der Zeit ist.
Endlich wurde mir ein Sarg angeboten. Ich zauderte zunächst. Was soll ich mit
einem Sarg? „Sind Sie wahnsinnig", sagte der Händler, „dieser Sarg ist aus der
Zeit. Das Stück kriegen Sie nie wieder."
„Oh, Verzeihung", sagte ich und leistete eine Anzahlung. „Es ist eine Kleinig^
keit, diesen Sarg als antike Truhe zu benutzen", beruhigte mich der Händler. Ich
hatte nicht den Eindruck, daß er mich reinlegen wollte.
Unterdessen kam mein Geburtstag heran. Mein erster antiker Geburtstag. Eine
Auswahl, wen ich einladen wollte, hatte ich nicht. Ich mußte wohl oder übel vier
Experten zu mir bitten, deren Rat ich dauernd in Anspruch genommen hatte.
Zwei davon waren Kunsthistoriker, einer war Knopfsammler und der vierte
arbeitete an einem Schlagwortlexikon für Stilmöbel. Außer ihnen kam Horst.
Horst brachte ein Stück morsches Holz in Seidenpapier eingewickelt und legte es
mir auf den antiken Geburtstagstisch. In seiner bescheidenen Art fügte er hinzu:
„Quattrocento". Damit war mir jede Möglichkeit des Einspruchs von vornherein
genommen, der Dank war fällig. Edith, die danebenstand, kam mir zur Hilfe.
„Ich bezweifle, daß es Quattrocento ist", sagte sie. „Ich auch", unterstützte ich
sie. Denn ich glaube genau zu wissen, dieses Holz an einem der Gartenstühle von
Horst entdeckt zu haben. „Denn", fuhr Edith fort, „diese Maserung ist das
typische Kennzeichen des Quintocento."
Ich befinde mich z. Z. im Dickicht des Teutoburger Waldes. Jedesmal, wenn
ein Hund anschlägt, fahre ich zusammen. Jedesmal, wenn ich Schritte höre, krieche
ich tiefer in die Dunkelheit meines Verstecks. Ich hoffe, daß mein Hauswirt mich
nicht findet. Edith hat mir die moderne Klageschrift von ihm übermittelt, deren
ich mich zu verantworten habe. Die Löcher, die ich mühsam in meine Wände
geschossen habe, um sie verwittert zu machen, muß ich wiederherstellen. Die Tün
rahmen, die ich mit Kienfackeln vom Schleiflack ins 14. Jahrhundert hineinrußte,
müssen ersetzt werden. Außerdem sind drei Personen zu Schaden gekommen, weil
ich das Seil des Fahrstuhls mit feinen Messerchen bearbeitet habe, da es mir für
meine Experten nicht antik genug erschien.
Wer weiß, wie alles enden wird? Wer weiß, ob ich jemals wieder ein Möbeln
stück in eine Wohnung setzen kann. Vielleicht werde ich mich wieder antik ein>
richten. Denn Torheit schützt vor Alter nicht. Nur eines steht fest: ich werde
mich nie wieder zwischen zwei Stile setzen.
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modert schien, dann sagte der Händler vermittelnd:
„Aber es ist aus der Zeit."
Es gibt in einem Antiquitätengeschäft nichts, was nicht „aus der Zeit" wäre,
und wenn es aus der Jugendzeit wäre. Es ist aber aus der Zeit. Die schönste Zeit
für den Antiquitätensammler ist die Renaissance. Aber auch die schwerste Zeit.
Hier wiegt alles nach Zentnern. Ein Schreibtisch hat das Gewicht einer Truhe.
Eine Truhe hat das Gewicht eines Ambosses. Und ein Amboß ist unbezahlbar.
Wenn er aus der Zeit ist.
Endlich wurde mir ein Sarg angeboten. Ich zauderte zunächst. Was soll ich mit
einem Sarg? „Sind Sie wahnsinnig", sagte der Händler, „dieser Sarg ist aus der
Zeit. Das Stück kriegen Sie nie wieder."
„Oh, Verzeihung", sagte ich und leistete eine Anzahlung. „Es ist eine Kleinig^
keit, diesen Sarg als antike Truhe zu benutzen", beruhigte mich der Händler. Ich
hatte nicht den Eindruck, daß er mich reinlegen wollte.
Unterdessen kam mein Geburtstag heran. Mein erster antiker Geburtstag. Eine
Auswahl, wen ich einladen wollte, hatte ich nicht. Ich mußte wohl oder übel vier
Experten zu mir bitten, deren Rat ich dauernd in Anspruch genommen hatte.
Zwei davon waren Kunsthistoriker, einer war Knopfsammler und der vierte
arbeitete an einem Schlagwortlexikon für Stilmöbel. Außer ihnen kam Horst.
Horst brachte ein Stück morsches Holz in Seidenpapier eingewickelt und legte es
mir auf den antiken Geburtstagstisch. In seiner bescheidenen Art fügte er hinzu:
„Quattrocento". Damit war mir jede Möglichkeit des Einspruchs von vornherein
genommen, der Dank war fällig. Edith, die danebenstand, kam mir zur Hilfe.
„Ich bezweifle, daß es Quattrocento ist", sagte sie. „Ich auch", unterstützte ich
sie. Denn ich glaube genau zu wissen, dieses Holz an einem der Gartenstühle von
Horst entdeckt zu haben. „Denn", fuhr Edith fort, „diese Maserung ist das
typische Kennzeichen des Quintocento."
Ich befinde mich z. Z. im Dickicht des Teutoburger Waldes. Jedesmal, wenn
ein Hund anschlägt, fahre ich zusammen. Jedesmal, wenn ich Schritte höre, krieche
ich tiefer in die Dunkelheit meines Verstecks. Ich hoffe, daß mein Hauswirt mich
nicht findet. Edith hat mir die moderne Klageschrift von ihm übermittelt, deren
ich mich zu verantworten habe. Die Löcher, die ich mühsam in meine Wände
geschossen habe, um sie verwittert zu machen, muß ich wiederherstellen. Die Tün
rahmen, die ich mit Kienfackeln vom Schleiflack ins 14. Jahrhundert hineinrußte,
müssen ersetzt werden. Außerdem sind drei Personen zu Schaden gekommen, weil
ich das Seil des Fahrstuhls mit feinen Messerchen bearbeitet habe, da es mir für
meine Experten nicht antik genug erschien.
Wer weiß, wie alles enden wird? Wer weiß, ob ich jemals wieder ein Möbeln
stück in eine Wohnung setzen kann. Vielleicht werde ich mich wieder antik ein>
richten. Denn Torheit schützt vor Alter nicht. Nur eines steht fest: ich werde
mich nie wieder zwischen zwei Stile setzen.
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