Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0476
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Heft 6
DOI article:Riedel, Paul Eugen: Der Menschenkenner
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das Lachen. Wieviel Rückschlüsse kann man nicht ziehen vom kultivierten, dezent
ten Lächeln bis zum einfältigen Gröhlen oder dröhnendem Gelächter. Herzhaft
lachen ist gesund. Also der Menschenkenner sieht auf das Wie, um seine Rück/
schlüsse zu ziehen. Der eine lacht z. B. über eine ulkige Angelegenheit eine ganze
Tonleiter hinauf und hinunter, während der andere bei gleicher Angelegenheit
nur ein überlegenes, mitleidiges Lächeln aufbringt. Weiter dient die Handschrift
zur Erforschung des menschlichen Charakters, deren Zuverlässigkeit ja allgemein
bekannt ist. Menschen, bei denen die oberen Schneidezähne etwas außer der Zahm
reihe sowie weit auseinander stehen, gelten als große Kritiker und geistige Revo/
lutionäre. Dann die Art und Weise, sich zu setzen. Ein Großindustrieller bekam
einmal den Besuch seines Neffen. Er bot seinem Besuch einen Stuhl an und be/
obachtete ihn dabei scharf, wie er sich niedersetzte. Nun zog er seine Brieftasche
und fragte seinen Neffen: „Wieviel brauchst du?" — „Aber lieber Onkel, woher
weißt du?" war die verblüffte Antwort des Erkannten. „Ja, mein lieber Neffe,
wenn jemand so zögernd und unbeholfen Platz nimmt wie du, sich dabei noch
auf die vorderste Kante setzt und Brust und Oberkörper nach vorne beugt, da gibt
es für mich keinen Zweifel mehr, daß die betreffende Person von mir Geld will!'
Die ,, Überraschungsmethode" wurde von einem bekannten Psychologen zur
Charaktererforschung seiner menschlichen Versuchsobjekte angewandt. Das Be^
nehmen in unvorhergesehenen Fällen, also bei Überraschungen, dienten diesem
Gelehrten zur Deutung des Charakters. Er sagte z. B.: „Ich habe Sie gestern ge/
sehen, wie man Sie auf die Polizeiwache führte!" — „Wie? Was fällt Ihnen ein!
Das ist ganz ausgeschlossen!" Und der Psychologe deutete: Unbeholfen, un/
erfahrener, kleinlicher Mensch. „Aber, Herr Professor, das dürfte sicherlich ein
ganz kleiner Irrtum Ihrerseits sein, der um so verzeihlicher ist, da Sie ja, wie Sie
öfters nebenbei erwähnten, etwas kurzsichtig sind." Und der Herr Professor deutete
diesen Ausspruch: Mensch mit Überlegung, erfahren, gesellschaftlich routiniert.
Endlich gibt es noch die Anrempelungsmethode eines anderen großen Psycho/
logen. Er rempelte seine Leute, die er erkennen oder beobachten wollte, einfach
auf der Straße an. Und auf Grund der Erregung bzw. der Grobheit des An/
gerempelten deutete er dessen Charakter. Er hatte die Worte, die seine Opfer in
der Erregung ausstießen, fein säuberlich in einem Regelbuch notiert, und daneben
standen die dazugehörigen Charakterdeutungen. Einmal schätzte er ein heran/
kommendes Versuchsobjekt folgendermaßen ein: Von dem bekommst du eine
Ohrfeige! Er rempelte den Mann an, und wirklich, der große Psychologe bekam
eine nicht gelinde Ohrfeige. Da rief er dem Angerempelten mit größter Liebens/
Würdigkeit zu: „Ich danke Ihnen vielmals, mein Herr! Sie haben mir meine
Menschenkenntnis sowie die Richtigkeit meiner Methode bestätigt." Da nahm
der andere Reißaus, weil er glaubte, der Geohrfeigte sei verrückt geworden.
Eines Tages wurde er selbst angerempelt. Voll Ärger und Aufgebrachtheit rief
er dem anderen zu: „Eine Unverschämtheit! Eine Frechheit! So etwas ist mir
noch nicht passiert!" Als er dann zu Hause in seinem Regelbuch nachsah, fand er
neben dem Ausspruch, der dem seinen auf ein Haar glich, folgende vielsagende
Deutung: „Hohlkopf, Kleinlichkeitsmensch, Egoist, unfertiger Charakter, sieht
nur die Fehler anderer."
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ten Lächeln bis zum einfältigen Gröhlen oder dröhnendem Gelächter. Herzhaft
lachen ist gesund. Also der Menschenkenner sieht auf das Wie, um seine Rück/
schlüsse zu ziehen. Der eine lacht z. B. über eine ulkige Angelegenheit eine ganze
Tonleiter hinauf und hinunter, während der andere bei gleicher Angelegenheit
nur ein überlegenes, mitleidiges Lächeln aufbringt. Weiter dient die Handschrift
zur Erforschung des menschlichen Charakters, deren Zuverlässigkeit ja allgemein
bekannt ist. Menschen, bei denen die oberen Schneidezähne etwas außer der Zahm
reihe sowie weit auseinander stehen, gelten als große Kritiker und geistige Revo/
lutionäre. Dann die Art und Weise, sich zu setzen. Ein Großindustrieller bekam
einmal den Besuch seines Neffen. Er bot seinem Besuch einen Stuhl an und be/
obachtete ihn dabei scharf, wie er sich niedersetzte. Nun zog er seine Brieftasche
und fragte seinen Neffen: „Wieviel brauchst du?" — „Aber lieber Onkel, woher
weißt du?" war die verblüffte Antwort des Erkannten. „Ja, mein lieber Neffe,
wenn jemand so zögernd und unbeholfen Platz nimmt wie du, sich dabei noch
auf die vorderste Kante setzt und Brust und Oberkörper nach vorne beugt, da gibt
es für mich keinen Zweifel mehr, daß die betreffende Person von mir Geld will!'
Die ,, Überraschungsmethode" wurde von einem bekannten Psychologen zur
Charaktererforschung seiner menschlichen Versuchsobjekte angewandt. Das Be^
nehmen in unvorhergesehenen Fällen, also bei Überraschungen, dienten diesem
Gelehrten zur Deutung des Charakters. Er sagte z. B.: „Ich habe Sie gestern ge/
sehen, wie man Sie auf die Polizeiwache führte!" — „Wie? Was fällt Ihnen ein!
Das ist ganz ausgeschlossen!" Und der Psychologe deutete: Unbeholfen, un/
erfahrener, kleinlicher Mensch. „Aber, Herr Professor, das dürfte sicherlich ein
ganz kleiner Irrtum Ihrerseits sein, der um so verzeihlicher ist, da Sie ja, wie Sie
öfters nebenbei erwähnten, etwas kurzsichtig sind." Und der Herr Professor deutete
diesen Ausspruch: Mensch mit Überlegung, erfahren, gesellschaftlich routiniert.
Endlich gibt es noch die Anrempelungsmethode eines anderen großen Psycho/
logen. Er rempelte seine Leute, die er erkennen oder beobachten wollte, einfach
auf der Straße an. Und auf Grund der Erregung bzw. der Grobheit des An/
gerempelten deutete er dessen Charakter. Er hatte die Worte, die seine Opfer in
der Erregung ausstießen, fein säuberlich in einem Regelbuch notiert, und daneben
standen die dazugehörigen Charakterdeutungen. Einmal schätzte er ein heran/
kommendes Versuchsobjekt folgendermaßen ein: Von dem bekommst du eine
Ohrfeige! Er rempelte den Mann an, und wirklich, der große Psychologe bekam
eine nicht gelinde Ohrfeige. Da rief er dem Angerempelten mit größter Liebens/
Würdigkeit zu: „Ich danke Ihnen vielmals, mein Herr! Sie haben mir meine
Menschenkenntnis sowie die Richtigkeit meiner Methode bestätigt." Da nahm
der andere Reißaus, weil er glaubte, der Geohrfeigte sei verrückt geworden.
Eines Tages wurde er selbst angerempelt. Voll Ärger und Aufgebrachtheit rief
er dem anderen zu: „Eine Unverschämtheit! Eine Frechheit! So etwas ist mir
noch nicht passiert!" Als er dann zu Hause in seinem Regelbuch nachsah, fand er
neben dem Ausspruch, der dem seinen auf ein Haar glich, folgende vielsagende
Deutung: „Hohlkopf, Kleinlichkeitsmensch, Egoist, unfertiger Charakter, sieht
nur die Fehler anderer."
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