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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 9
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Stieber, Johans: Gastmähler wie sie jeder kennt
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0727

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Verteidiger beruft sich auf Schrenk-Notzing, Conan Doyle und seine
eigene Großmutter. Es meldet sich die Partei des „man kann nie wissen" . ..
Und siehe da, schon ist die schönste Diskussion im Gange. Dieses Thema
nutzt sich nie ab und kommt immer wieder. Hakt das Thema ein, so ist
der Abend gerettet. Wenn nicht, so ist es bedenklich! Denn sonst macht
sich bald jene fatalste aller Stimmungen bemerkbar, wo jeder den anderen
belauert, ob er nicht aufbrechen will. Steht nun einer auf und will sich
verabschieden, so erhebt sich wie auf einen Wink die ganze Korona der
Gäste, schaut sorgenvoll auf die Uhr und murmelt: „Leider, ich muß."
Dieser Massenaufstand ist stets ein Signal, daß der Abend ein Fehlschlag
war. Und ihm antwortet der Verzweiflungsschrei der Hausfrau: „Wie,
Sie wollen schon gehen? Und alle auf einmal!"
Andererseits können die Gäste auch zu lange bleiben, und da erhebt sich
die schwere Frage, wie man sie los wird? Einige rufen bei irgendeiner zu-
fälligen Bewegung des Gastes: „Ach, sie wollen schon gehen?!" Das ist
dann ein Zeichen. Im allgemeinen dürfte es jedoch genügen, wenn der Haus-
herr gähnt und demonstrativ heimlich nach der Armbanduhr sieht.
Leider muß es so sein, daß die Gäste schon auf der Treppe anfangen,
zu schimpfen. Selbst solche, die einander sonst fremd sind. Es muß sein,
weil sie sich so lange haben süß verstellen müssen, daß die verdrängte
Wahrheit überkompensiert wird. Das ist ein psychologisches Gesetz, und
da kann man nichts machen!
Das schönste aber an dem Besuch ist, daß beide, Gastgeber und Gäste,
jetzt wirklich froh sind. Die Gastgeber reichen sich auf der Wahlstatt ihrer
Wohnung die Hände zu einem erneuerten Ehebund: endlich allein! Und
jeder der Gäste denkt mit Frohlocken, wie schön es doch zu Hause ist.
Erholungspause. Der einst berühmte Riesenzirkus Barnum besaß einmal
als Hauptattraktion einen Zwerg — „General Tom Thumb" hieß er und
war das Tagesgespräch des amerikanischen Mittelwestens.
Der Zudrang des Publikums war ungeheuer. Eines Vormittags — der
Zirkus befand sich gerade unterwegs und hielt in einem großen Land-
hotel — schickte eine Dame aus der Nachbarschaft ihre Visitenkarte hinauf
und bat darum, den berühmten Zwerg-General persönlich sehen zu dürfen!
Die Karte wurde von einem anderen Mitglied der Truppe in Empfang
genommen, das sich zufällig in Tom Thumbs Zimmer aufhielt. Diese
Person war ein 6 Fuß hoher Riese. Er bat, die Dame heraufzuführen.
Sie klopfte an die Tür, und er ersuchte sie einzutreten.
„Ich möchte", sagte sie zögernd, „den General Tom Thumb sehen."
„Madam", sagte der Riese und stellte sich auf, „bitte, schauen Sie ihn
nach Herzenslust an."
„Aber um Gottes willen, Sie sind doch nicht der berühmte Zwerg?" rief
sie erschrocken.
„Madam", sagte er, „ich bin es. Aber ich hab grade Erholungspause." S. R.

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