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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

DOI issue:
Heft 9
DOI article:
Haensel, Carl: Das Schaukelpferd von St. Michael
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0746

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diese Mauer noch? Der Stadtbaumeister meinte, das beste wäre es, nicht
an ihr zu rühren. Zur Zeit sei Mauer, Fels und Boden einig, wenn man
anfange auszubrechen und zu erneuern, wisse man nicht, in weldie ver-
wunschenen Nester und Hohlräume man stoße. Gerade als er seine Rede
schloß, legte sich ein von oben herunterkommender Steinblock zwischen
uns beide. Ich spüre den Luftzug noch im Gesicht. Unsere Hüte lagen am
Boden. Ich nehme nicht an, daß sie der Stein angerührt hat, aber wir
beide waren ins Wackeln gekommen. In einem Fensterloch verschwand der
Kopf der Hausverkäuferin und der sonst lachende Hund heulte wie eine
verlorene Seele.
Trotzdem unterschrieb ich am nächsten Tage den Kaufvertrag. Es war
in dem vergitterten und überwölbten Wohnzimmer der Hausherrin; es
roch nach faulenden Äpfeln und Spinngewebe. Die Federn kratzten wie
Teufelskrallen über das Papier. Niemand sagte ein Wort. Wir stehen auf.
Man schüttelt sich die Hand. Ich gehe vor. Da höre ich, wie längs des
stadttragenden Gewölbes die spitzen Worte auf mich herabfallen, die die
Zauberhexe zu meiner Frau sagte: „Nun ist er Ihnen, Ihr schöner
Witwensitz!"
Meine Hand war plötzlich so naß, daß mir die Klinke ausrutsdite und
die Tür fuhr wie ein Kanonenschuß ins Schloß. Ich war nicht fähig, etwas
zu sagen oder einen Entschluß zu fassen. Ich sehe nur noch vor dem Haus
einen hochgewachsenen Mann stehen im Gehrock und mit Ministerwürde,
der es ebenso verliebt ansah, wie ich früher und so viele andere außer uns.
Er grüßte meine Frau — weiß Gott, es war der Geheimrat X, der große
Internist aus Berlin.
Ich zog sie rasch mit mir hinunter nach dem Hafen. Wir warfen das
Boot los. Der Wind packte uns und trug uns in den freien Raum des
Schwabenmeeres hinauf. Wir machten nach zwei Stunden am anderen
Ufer fest. Ich hatte meine Fassung endlich wieder und telegraphierte an
die Zauberhexe meinen Rücktritt vom Kaufvertrag.
Ich habe das Haus nie mehr betreten.
Geheimrat X unterschrieb den Kontrakt an der Stelle, da mein Name
ausgestrichen worden war. Ein Vierteljahr später war er tot. Seitdem
wohnt kein Hausherr mehr in St. Michael.

Vorbildliche Höflichkeit. Ablehnungsschreiben einer Redaktion in China:
„Wir waren bezaubert, Ihr hochverehrtes Manuskript zu lesen. Wir schwören
beim Grabe unserer Vorfahren, daß wir niemals, niemals etwas so Erhabenes
gelesen haben. Literarische Perlen solcher Art werden alle 1000 Jahre nur einmal
geschaffen. Wenn wir dieses Manuskript in unserer schlichten Zeitschrift ver-
öffentlichten, würden wir nicht wagen dürfen, auch noch etwas anderes daneben
zu drucken. Denn wir könnten es unmöglich auf dieser Höhe halten. Aus diesem
Grunde nehmen wir uns die Freiheit, Ihnen Ihre erstaunliche Komposition zurüde-
zusenden."

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