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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 10
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Huxley, Aldous: Der Kult des Infantilen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0822

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Vater, wurde der Infantilismus etwas bewußt Gewolltes und so neckisch
und kokett, daß er einem das Blut gerinnen macht. Das Beunruhigende
daran ist, daß Peter Pan zweifellos ein allgemeines Bedürfnis befriedigte.
Die Menschen wollten in Infantilität schwelgen. Ja, die allgemein ver-
breitete Bewunderung für die Werte des Säuglingstums ist so groß ge-
worden, daß die katholische Kirche — bis dahin eine durchaus erwachsene
Institution — es für notwendig hielt, die Heilige Therese von Lisieux,
dieses Musterbeispiel moderner Infantilität, zu kanonisieren. Man braucht
die moderne Heilige Therese nur mit ihrer großen spanischen Namens-
schwester des XVI. Jahrhunderts (einer der großartigsten Gestalten in der
ganzen Geschichte des Frauentums) zu vergleichen, um zu begreifen, daß
mit dem Geist des Westens in neuester Zeit etwas sehr Seltsames und höchst
Beunruhigendes vorgegangen ist.
Besonders in Amerika, aber auch bei uns, hat die Verherrlichung kind-
licher Werte einen solchen Grad erreicht, daß das Leben der Erwachsenen
größtenteils dem Leben der Kinder geopfert wird. Im Familienkreis sind
es die Kinder, die den Ton angeben; die Älteren müssen gehorsam danach
tanzen. Von jeder Generation erwartet man, daß sie ihr Erwachsensein
auf dem Altar der nächsten Generation opfere. Wie unsinnig das ist, zeigt
schon die einfachste Arithmetik. Wir sind zwanzig Jahre lang Kinder,
aber während vierzig oder fünfzig Jahren reife Menschen. Die Verherr-
lichung infantiler Werte hindert uns, während mindestens zwei Dritteln
unseres Lebens so zu leben, wie es sich für Erwachsene schickt. Die Kind-
heit hat fraglos ihre Rechte, aber auch die Reife hat sie. Diese Rechte des
Erwachsenen sind mindestens ebensosehr wert respektiert zu werden, wie
die Rechte des Kindes.
(Berechtigte Übertragung von Herberth E. Herlitschka)
Die Strafe. Der Nachkomme eines sehr reichen und alten Geschlechtes
starb plötzlich und wurde geradewegs in die Hölle transportiert. Gleich
bei seinem Eintritt erblickte er seinen Kutscher Thomas, der inmitten der
Höllensträflinge wenig dekorative Grimassen zog. Thomas wunderte sich,
seinen Herrn mitten unter den Dieben, Mördern und Schurken jeder
Gattung zu sehen, trat einen Schritt zurück und rief:
Ist es möglich, Euch unter Luzifers Untertanen zu sehen? Euch, dessen
Freigebigkeit keine Grenzen kannte, dessen Gastlichkeit den ganzen Adel
im Hause versammelte, Euch, dessen ausgesuchter Geschmack eine ganze
Menge Baumeister beschäftigte!?
Ja, mein lieber Thomas — sagte darauf der Adlige — ich fand mich
hier ein, weil ich einer Witwe und ihren Kindern unrecht tat, und alles
meines Sohnes wegen, der keine Tugend kennt und voller Fehler ist. Aber
du, lieber Thomas, sage, weshalb bist du braver und treuer Junge hierher
gekommen?
Leider, Mylord, deswegen, weil ich der Vater dieses Sohnes bin.

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