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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 10
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England - und was seine Besucher darüber wissen sollten
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0838

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Architektur
Bauten in England sind entweder ziemlich alt und ziemlich häßlich oder sehr
neu und sehr häßlich. Ein Haus gilt dann als künstlerisch, wenn es mit nach-
gemachten Holzbalken verkleidet und so kleine Fenster besitzt, daß kein Licht
hineingelangen kann; man bezeichnet das dann als „Elisabethanischen Stil". Das
Innere der Häuser ist gewöhnlich auch „Elisabethanisch", d. h. altmodisch, mit
unbequemen, aber schweren Holzmöbeln, Kaminen, die nicht wärmen, schmiede-
eisernen Lampen, in denen elektrische Birnen brennen, und Radio. Abgesehen von
ihrem Hang zum „Elisabethanischen Stil" verabscheuen die Engländer Schönheit
in der Architektur; sie gilt ihnen als „ausländisch".
Autoverkehr
Sehr populäre Beschäftigung. Der bescheidenste Engländer wird am Steuer
seines Wagens zum zweiten Malcolm Campbell. Es ist Ehrensache, jeden anderen
Wagen zu überholen, soweit das möglich. Dabei werden alljährlich 6000 Leute
getötet, meistens jedoch nur Fußgänger. Der Schutzheilige der Autofahrer ist
St. Christophorus. Die Fußgänger haben nicht einmal einen Schutzheiligen.
(Aus „Out of Doors Magazine")
Die Zeugin. Zur Klärung des Sachverhalts vor einem Londoner Gericht
fehlte nichts weiter als ein Augenzeuge, den die klagende Partei denn auch schließ-
lich in der Person einer alten Frau herbeiführte, die behauptete, alles genau so
gesehen zu haben, wie der Kläger es schilderte. Verzweifelt wandte sich der Ver-
teidiger an die Zeugin: Sie habe doch viel weiter vom Tatort entfernt gestanden
als die bisher vernommenen Zeugen, es sei ihm völlig unklar, wie sie sich auf
Gewißheiten versteifen könne, wo die, die näher gestanden, sich nur dunkel
zu entsinnen vermöchten. Die Zeugin blieb bei ihrer Aussage: genau so, wie sie
es schildere, sei es gewesen.
„Hoher Gerichtshof", sagte der Verteidiger, „diese Augenzeugin erinnert mich
an eine Frau, die ich kannte. Sie war kurzsichtig, behauptete aber immer, daß
ihre Augen ausgezeichnet seien. Eines Tages versteckte ein Nachbar eine Stopf-
nadel in seiner Scheune. Die Dame, die in einiger Entfernung stand, hatte die
offene Scheune vor ihren Augen. Der Nachbar fragte sie nun, ob sie die Stopf-
nadel aus der Entfernung noch zu sehen vermöchte. „Oh, gewiß", sagte die
Frau, „natürlich sehe ich die Nadel, aber wo ist die Scheune?""
Sitzenbleiben. Ein Befehl für die gesamte englische Flotte weist Offiziere
und Mannschaften an, sitzen zu bleiben, wenn das Wohl des Königs ausgebracht
wird. Dies gilt sowohl an Bord wie an Land.
Dann wird der Befehl verwickelt. Falls nach dem Königshoch die Nationalhymne
gesungen wird, dann hat alles aufzustehen. Wenn das Hoch auf ein anderes Staats-
oberhaupt ausgebracht wird, zugleich mit dem Hoch auf den König, dann muß
sich alles erheben.
Warum diese erstaunlichen zeremoniellen Anweisungen? Weil vor vielen, vielen,
vielen Jahren die Messen in den Holzschiffen häufig so niedrig waren, daß Offiziere
und Mannschaften einfach nicht aufstehen konnten. Und weil es einmal so war, so
ist es auch heute noch so, obwohl heute Raum genug ist. Und ein ordentlicher See-
mann fühlt sich immer an Bord, wenn er auf seinen König trinkt, ob er nun schau-
kelt oder an Land ist. Dies alles bestätigt der Befehl.

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