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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 3
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Kohlhaussen, Heinrich: Über eine gotische Lüneburger Truhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0111

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eines Künstlers mit Vergangenem bis zum planmäßigen, auf ästhetischer
Wertung beruhenden Sammeln, wie es für eine derartige Sammlung Vor-
aussetzung war, ist ein weiter Weg. Die einzigartige, auf tiefster Kennt-
nis beruhende Geschichte des Renaissance-Sammelns, die uns Julius von
Schlosser schenkte, läßt eine solche Sammelweise für jene Zeit unmöglich
erscheinen.
Vom Duc de Berry1 bis über Erzherzog Ferdinand von Tirol hinaus wurde
die ästhetische Wertung durch Kuriositäts-, Seltenheits- und Geschichtsinter-
essen verdunkelt. In diesen Wunderkammern dominierte das Künstliche,

und der Hauptanteil der
Goldschmiedekunst be-
zeugt den Nachdruck, den
man auf die Kostbarkeit
des Materials oder der —
in den meisten Fällen zeit-
genössischen — Arbeit
legte. Eine zweite Frage
ist die nach der Möglich-
keit derartiger Anhäufung
kirchlicher Bildwerke, wo-
zu damals vor der Refor-
mation jede Voraussetzung
fehlte. Auch fehlte jede
Möglichkeit,denn alle diese
Dinge wurden doch ge-
braucht.
Dagegen könnte mit dem
Hinweis auf das 100 Jahre
später erfolgte fanatische
Dürer - Sammeln Kaiser
Rudolf II. (durch den un-
ser Rosenkranzfest von Ve-
nedig nach Prag kam) und
das bald danach mit Leon-
hard Kern anhebende Ko-
pieren von Frührenais-
sancearbeiten als eines für
Sammler und Künstler
gleich geltenden Parallel-
falles geantwortet werden.
Jedoch, der Unterschied
liegt zutage: Mit Hin-
weis auf das oben Gesagte
kann nur wiederholt wer-
den, daß man im frühen

Abb. 5
Konsekrationsleuchter
Lübecker Messingguß
Um 1500

16. Jahrhundert nicht ko-
pierte. Man war schöpfe-
rischer Spannungen voll,
man mußte hemmen, den
Überreichtum in große
Linien bannen. Jetzt, im
17. Jahrhundert, in den
verzehrenden Nöten reli-
giöser Kämpfe, brauchte
man einen Halt, um nicht
in bloßer Routine zu er-
sticken. — Gewiß war es
wieder eine Reaktion. —
Aber in dem Augenblick,
in dem die Schöpfungen
des frühen 16. Jahrhun-
derts nachgeformt wurden,
erwachte der künstlerische
Atem, und inmitten aus-
ländischer Treibhauspflan-
zen sproßten deutsche Ge-
wächse, vielleicht nur Bau-
ernblumen; jedoch von hei-
matlichem Boden genährt
und ihm verpflichtet2.
1 Dessen im frühen 15. Jahr-
hundert entstandene Grabfigur
Holbein den Jüngeren rund
100 Jahre später (um 1520) zu
der herrlichen, in Basel auf-
bewahrten Zeichnung entzün-
dete.
2 Vgl. Max Sauerlandt, Unver-
öffentlichte Arbeiten I,eonhard
Kerns und seiner Schule Bel-
vedere, Bd. V. Wien, Januar
1924.

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