Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Kuhn, Alfred: Edvard Munch und der Geist seiner Zeit: anlässlich der grossen Munch-Ausstellung der Nationalgalerie zu Berlin
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0168

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Edvard Manch Landschaft mit rotem Haus. 1926
van Goghs und Munchs ist der notwendige Ausdruck dieser Entwicklung. Des
bürgerlichen Rationalismus müde, der 178g in Paris stabiliert, den Geist der
Welt mehr denn ein Jahrhundert beherrscht, stellte die germanische und sla-
vische das Irrationale, ihrem eigenen Wesen immer vor allem eigen, wieder
auf den Thron. An die Stelle des Maßes wurde das Grenzenlose gesetzt.
Der Beginn des ao. Jahrhunderts sieht die Nationalisierung des Geisteslebens
in ganz Europa. In Frankreich die Hochwertung Poussins als Vertreters der
klassischen Tradition, in Italien die »Valori Plastici«, anknüpfend an die große
Zeit des Quattrocento, in Deutschland im Anschluß an Munch und van Gogh
den Expressionismus der «Brücke«, nicht ohne Seitenblicke auf die Altmeister-
kunst vor Dürer. Die Überhitzung der Jahre ist die Erklärung für jene sich
überschlagende Entwicklung, von der wir oben gesprochen haben. So ist denn
auch das Tempo des Kunstverlaufes in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ohne
Beispiel gewesen.
Und jetzt? Wir stellen fest: Der Einfluß Dostojewskis ist ebenso sehr zurück-
gegangen wie jener Strindbergs. Nach den furchtbaren Erregungen eines De-
zenniums sehnt sich die Menschheit nach Ruhe und Heiterkeit. Nachdem
man genügend die Tiernatur des Menschen erlebt, hat man wenig Lust mehr,
in seine Seele hinabzusteigen, und sich darin umzusehen. Man bleibt lieber
an der Oberfläche. Der Krankheitsbilder Dostojewskis und der religiösen
Selbstquälereien Strindbergs überdrüssig, sucht man Gesundheit in Irdisch keit.
146
 
Annotationen