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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 11
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Waetzoldt, Wilhelm: Max J. Friedländer
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0358

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neren Wachsen aus einem hervorragenden Spezialisten ein universal gebildeter
Gelehrter, aus einem gelehrten Fachschriftsteller ein Meister der wissenschaft-
lichen deutschen Prosa, aus einem Kenner ein Geschichtsschreiber der Kunst
wird.
So groß die Einzelleistungen Friedländers sind: seine Funde, seine Bestimmun-
gen, seine Erwerbungen für die Berliner Museen, so Unendliches die Sammler-
welt und der Kunsthandel seinem Rat, seinem Urteil und seiner Kritik zu dan-
ken haben, bedeutsamer will uns die organische Entfaltung des Lebenswerkes
scheinen, jenes bedächtige, aber sichere Reifwerden der Persönlichkeit als For-
scher, als Organisator, als Schriftsteller und als Mensch.
Von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Einzelwerk ist Fried-
länder, wie jeder Museumsmann, ausgegangen, zu ihr haben ihn Neigung, Be-
gabung und Beruf immer wieder zurückgeführt. Die Fülle der verstreuten
Arbeiten für Kataloge, Sammelwerke, Handbücher, Zeitschriften, Lexika, Aus-
stellungs-, Sammlungs- und Auktionspublikationen läßt uns die fruchtbaren
Wechselwirkungen zwischen Forschertätigkeit und Sammlertätigkeit im Dienst
der Museen erkennen. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben sich
Erwerbungen, erworbene Stücke führen wiederum zu Forschungsergebnissen.
Dieses gegenseitige Sich durch drin gen beider Funktionen: der gelehrten und der
organisatorisch-verwaltenden gehört zur Physiognomie des deutschen Museums-
beamten. Gerade Friedländers Erfolge beweisen, wie unentbehrlich wissen-
schaftliche Produktivität der Sammlungsleiter für die Entwicklung und das An-
sehen der Sammlungen selbst ist. —
In vielen dieser Detailstudien für wissenschaftliche Publikationen aller Art liegen
die Keime für die größeren monographischen Arbeiten Friedländers. Nichts von
Wert ist in seinem geistigen Haushalt verlorengegangen. Als reifer Mann ist
er zu Themen seiner Jugendjahre zurückgekehrt (z. B. zu Altdorfer), nicht um
sich zu wiederholen oder selbst abzuschreiben, sondern um aus dem Abstand
der Jahre, verwandelt, erfrischt durch andere Eindrücke, bereichert durch Wissen,
das Altbekannte mit neuen Augen zu sehen. Die letzten neun Jahre haben ihn
ernten lassen, in rascherer Folge und in größerer Fülle, als Friedländer vielleicht
selbst es gedacht hat. Auf einmal ist der strenge Fachschriftsteller einer der ge-
lesensten kunsthistorischen Autoren geworden. Ohne dabei das geringste Zuge-
ständnis an die Angst des Publikums und mancher Verleger vor der »Wissenschaft-
lichkeit« zu machen. Er hat das ganze kritische Rüstzeug des Kenners sich be-
wahrt, aber er trägt es so selbstverständlich und so elegant wie einen Gesell-
schaftsanzug. Was nun diesen Büchern (dem »Dürer« und dem »Altdorfer«,
dem »Pieter Breughel« und dem »Liebermann«, den Arbeiten über den Genter
Altar, über Lucas van Leyden und über Grünewald) ihren besonderen Reiz
und Rang gibt, ist etwas Menschliches. Friedländer liebt die großen Künstler-
persönlichkeiten, weil sie ihm immer wieder Glück geschenkt haben, er ver-
steht sie aus menschlicher Lebenserfahrung heraus. Nicht allein das viele W issen
macht den bedeutenden Künstlerbiographen, sondern das Weisesein. Ohne In-
tuition, die Gnade, nicht Verdienst ist, ohne Erfahrung, die mit Schmerzen er-
worben wird, ohne psychologischen Takt, der nur wenigen gegeben ist, und
ohne Mitgefühl, das Wärme voraussetzt, kann niemand kunstgeschichtliche Bü-
cher schreiben, die sich mit großen schöpferischen Persönlichkeiten beschäftigen.
 
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