Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

DOI Heft:
Heft 21
DOI Artikel:
Biermann, Georg: Um ein Hauptwerk von Degas
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0695

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
UM EIN EI A U P T W E R K VON DEGAS
VON GEORG BIERMANN

Man hat Degas den Maler der Tänzerinnen genannt, aber er selbst mag diesen
»Ehrentitel« nicht} denn er erklärte Herrn Vollard, man verstehe nicht, daß die
Tänzerin für ihn nur ein Vorwand gewesen sei, um schöne Stoffe zu malen und
Körper in der Bewegung wiederzugeben1. Das starke Erinnerungsvermögen
Vollards in Ehren, der ein entzückender Memoirenschreiber der Anderen ist:
an diesem Tag hat er bestimmt ein Wort überhört, das französisch »lumiere«
heißt und das den Hinweis auf die Bewegung entsprechend zu ergänzen hat.
Denn den Tänzerinnen »in der Bewegung« stehen vielleicht ebenso viele Tän-
zerinnen »in Ruhe« gegenüber, einerlei, ob es sich um die berühmten »Pausen
in der Ballettschule« oder um »die Toilette der Tänzerinnen« handelt, aber
kein Bild dieses Malers ist ohne das Licht zu denken, durch das die Körper erst
ihr »modele« erhalten und das dem Raum jene seltsame Atmosphäre vermittelt,
die sich wie Traumgesicht über die Erinnerung legt.
Auf figürlichen Einzelstudien freilich, die ganz auf die zeichnerische Form ein-
gestellt sind, wird man das Licht vergeblich suchen, aber sobald es sich um
Darstellung von Szenen oder Interieurs handelt, die durch lebendige Staffage
bewegt sind, gleich ist dies einzigartige Fluidum im Raum, das die dimensio-
nalen Kontraste schafft, die Gegenstände distanziert, die Menschen miteinander
verbindet oder auseinanderhält. Und ohne dieses Licht, das immer aus sicht-
baren oder unsichtbaren Quellen den Raum durchflutet, wären die Menschen
wahrscheinlich nur Puppen und die Vorgänge müßten im Dekorativen er-
starren -Ja, was wäre Degas selbst ohne diese Gnade des Lichtes, das ihm
die Möglichkeit gibt, niemals zu ermüden, ein Lebenlang in einer Welt zu
träumen, die im Grunde garnicht die seine ist.
Übrigens mag an dieser Stelle angemerkt sein, daß es außer diesem »Maler der
Tänzerinnen« noch einen anderen Degas der Realität gegeben hat, der die
Rennen, die Wäscherinnen und die Szenen im Kaffeehaus malte und außerdem
noch jenen anderen, der nicht sehr weit von der galanten Tradition des »dix-
huitieme« entfernt gewesen ist, indem er mit einer verblüffend dezenten In-
diskretion die Dame beim Aufstehen und Zubettegehen, im Bade und beim
Pedicuren belauschte. Gerade diesem Degas aber, der überall nur das Leben
sucht, um es malerisch zu bezwingen, hat man mit Unrecht mißtraut, denn
man vergaß, daß dieser bärbeißige, meist recht unliebenswürdige Herr, der in
so vielen Einzelzügen an die kleine Berliner »Exzellenz« erinnert (Menzel, den
Degas in einer bestimmten frühen Epoche sehr bewundert und der ihn sogar
bis zu einem gewissen Grade beeinflußt hat!!), weder die Galanterie noch die
Gourmandise eigentlich gekannt hat, daß er vielmehr im Grunde einer von
den »Besessenen« in der Kunst gewiesen ist, die nur den einen Stachel im Blute
fühlten, schaffen zu müssen, um der Trivialität des Lebens zu entgehen.
Es gibt Künstler, die auch von Gottes Gnaden waren und denen trotzdem die
Fülle ihres Schöpfertums gefährlich werden mußte. Das Werk von Degas unter-
liegt schon deshalb nicht der Gefahr, weil es trotz aller Beschränkung im Mo-
tivischen doch die ungeheuere Variation im Malerischen hat. Jede dieser Szenen

66 g

1 Degas von A. Vollard. Deutsch bei B. Cassirer, Berlin 192g.
 
Annotationen