Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

DOI Heft:
Heft 21
DOI Artikel:
Biermann, Georg: Um ein Hauptwerk von Degas
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0696

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mit den Damen vom Ballett (den ausgewachsenen oder den »Ratten«), hat ge-
rade durch die Gnade des Lichtes ihren besonderen künstlerischen Erlebnis-
gehalt, so daß es Wiederholungen im Oeuvre eines Degas überhaupt nicht gibt.
Könnte man einmal einige dieser Hauptwerke, die einen »cours de danse«
schildern, mit dem hier reproduzierten, das eines der schönsten ist, in einem
Raum vereinigen, dann würde man sehr bald erkennen, daß alle diese Bilder
Edelsteine in einem einzigen Diadem sind und daß ein jedes zu dem Strahlen-
bündel von Licht beisteuert, von dem dieser Raum erfüllt sein müßte.
Unser Bild entstammt wie so vieles vom Besten dem Nachlaß des Malers. (Rüh-
render und vielsagender Zug im Charakter dieses Degas, daß ihm die Trennung
von seinen Bildern fast immer physischen Schmerz bereitete und er vieles oft-
mals sogar seinen wenigen vertrauten Bekannten vorenthielt!) Es ist in der
reifsten Epoche des »Olmalers« entstanden, nämlich in den achtziger Jahren,
in denen sich der Künstler allmählich immer mehr dem Pastell zuwandte, von
dem er sich bekanntlich eine noch luftigere Wirkung versprach. So hat unser
Bild auch als eines der letzten Ölgemälde des Malers einen gewissen Selten-
heitswert und wer die gerade auf diesem Bild erreichte Duftigkeit, dies Zittern
des Lichtes, das aus zweifachen Quellen den Raum belebt, vor Augen hat, er-
faßt zugleich in nuce an einem vielsagenden Beispiel den einen Pol, um den
die Palette eines Degas ein Lebenlang gerungen.
Wie aus dem weißlich warmen Licht, das aus den beiden hohen Fenstern des
Hintergrundes in den Raum dringt, das modele der Figuren in die Atmosphäre
vorstößt, wie sich unter dem Fluten dieses Lichtes die braunen und rötlich
gelben Farben des Bodens allmählich nach hinten zu immer mehr aufhellen,
wie selbst die dunkleren Partien rechts mit in den Lichtkegel einbezogen sind,
das ist so wundervoll gesehen und erlebt, daß gerade ein solches Bild unver-
geßlich in der Erinnerung haftet. Weiter nach hinten sieht man durch die
Fenster noch auf weiß und rötlichlila schimmernd^ Häuser, und während die
weißen Ballettröckchen der Tänzerinnen mit hellen Fanfaren die Akzente setzen,
hat die vorn sitzende lesende Figur in bewußtem Kontrast zu diesem Spiel aus
Weiß, Grau und Rosa ein Tuch von starkem leuchtenden Rot um die Schultern.
Dieses eine kräftige Rot gibt malerisch den Moment der Ruhe, durch den das
übrige Fest des lichtdurchfluteten bewegten Lebens um so stärker fühlbar wird.

670
 
Annotationen