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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 23
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0772

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über die Künstlerschaft hinweg in die Kreise
der Sammler gewirkt hat.
Die Ausstellung im Kunstverein zeigt gerade
Courbet durch viele erlesene Werke vertre-
ten, darunter zwei Landschaften, die im An-
schauungskreis der Romantik zu sein schei-
nen und doch die vitalen Mächte seiner Pa-
lette spüren lassen. Das saftig voluminöse Äp-
felstilleben ist von dieser Urnatur trächtig wie
die Felsen und Wogen der Meerbilder.
Gemälde der übrigen Vorimpressionisten sind
nicht zahlreich. Daumier ist mit einer Fassung
des „Drama“, der rembrandtesken „Pferde-
schwemme“, dem kapriziös souveränen „Bei
der Wahrsagerin“ und dem zeitchronikhaften
„Im Theater“ zu sehen, Corot und Daubigny
sind mit charakteristischen Landschaften ver-
treten.

Von Monet sind Gemälde aus allen Epochen
seines reichen Lebens zugegen, von Manet ein
leckeres, vollkommenes Pfirsichstück. LInter
den sechs Cezannes, die Reber (Lugano) zur
Ergänzung geliehen hat, befindet sich das be-
rühmte, edelsteinhafte „Knabe mit roter We-
ste“, das rhythmisch gelöste, kleine Bild,,Lie-
beskampf“ und die träumend, in Helligkeit
entrückte „Villa am Wasser“. Von neun Re-
noirs sind sieben von erster Qualität. Die Süße
der lichten Emailfarben, die Renoir in seiner
Porzellanmalereiepoche übte, ist immer wie-
der köstlich mit dem Naturerlebnis von Blu-
men, Landschaft und Frauen verwoben. Von
Degas sieht man nur ein Pastell und von van
Gogh zwei Bilder, den bekannten „Pere Tan-
guy“ und die späten „Grabenden“, von Sisley
und Pissarro kennerisch gewählte Werke. Un-
ter den drei Stilleben Fantin-Latours zeichnet
sich „Strauß in Vase“ durch malerische Inten-
sität und Feinfühligkeit aus. Gauguin hat den
Dr. Gachet gemalt mit der Bläue van Goghs,
aber ohne dessen Spürsinn, ohne dessen Größe
aus dem Arzt Seinesgleichen zu machen, wie
in dem berühmten Bilde im Stadel; einen Kopf
von differenziertes ter Hellhörigkeit.
Diese reiche Ausstellung enthält nicht einmal
alles, was an französischem Kunstbesitz des
ig. Jahrhunderts in Frankfurt besteht. Wir
werden in einem späteren, ausführlichen Ar-
tikel eine eingehendere Würdigung dieses
schönen Bestandes mit Abbildungen bringen.
Sascha Schwabacher

KÖLN

Der Kölner Walter Albert Lindgens lebt
und malt in Paris, was bekanntlich schon vor
Leibl’s Zeiten Lokaltradition war. Seine neueste
Ausstellung in den Galerien Dr. Becker &

Dr. Jaffe bat einen außergewöhnlichen und
wohlverdienten Erfolg. Seine Malerei ist sehr
hell und leicht geworden. Seine Ölbilder sind
Sonne auf Häusern, Matrosenkähnen und Ger
Hügel. Seine köstlichen Aquarelle zeigen
nackte Menschenhäute, meist dunkel, als hät-
ten sie Sonne geschluckt. Man wird demnächst
sicherlich über das Neger-Modell in der neuen
Malerei schreiben. Wären nicht diese Blätter
ausgestellt, man würde den Maler mehr nach
Toulon als nach Paris orientieren. Er ist eben
durchaus nicht Zögling der westlichen Haupt-
stadt. Aber seine früher nur geahnte Selb-
ständigkeit hat sich jetzt voll entwickelt. Es
steht zu hoffen, daß er nicht nur in französi-
schen, sondern auch in deutschen Ausstellun-
gen die Freude an kultivierter Malerei ver-
treten wird. Alfred Salmony
MANNHEIM
Sehr zur Zeit für die diesjährige Werkbund-
tagung in Mannheim hatte Dr. Ilartlaub inder
Kunsthalle eine internationale Schau graphi-
scher Werbekunst geschaffen, die Aufmerk-
samkeit des Bunds auf ein Gebiet der ange-
wandten Kunst von öffentlicher Bedeutung
hinzulenken, auf dem neuerdings unzweifel-
haft ein Rückgang des Geschmacksniveaus, vor
allem in Deutschland, festzustellen ist. Die
Schau beschränkt sich im wesentlichen auf das
große Säulenplakat. Sie zeigt historisch den
vehementen Anlauf zum individuell-künstleri-
schen Plakat in der Vorkriegszeit, zeigt das
Versacken dieser Entwicklung und nun die
neuen Ansätze zur techniisch-zweckhaften Ab-
straktion und Versachlichung bis zu denneuen,
spezialisierenden Möglichkeiten der Photorc-
klame. Und sie dokumentiert, daß uns heute
andere Nationen, vor allem Frankreich (Cas-
sandre, Carlo, Loupet), an Kraft des künstle-
rischen Einfalls unzweifelhaft überlegen sind.
Von gutem Niveau auch die schweizerische Ab-
teilung. Bemerkenswert, wenn auch etwas
knapp, der Russenraum mit dem eigentümli-
chen 1 Iervortreten der textlichen Belehrung
vor der künstlerischen Darstellung. (Hingewie-
sen sei auf den ausgezeichnete Abhandlungen
enthaltenden Katalog.) — Das Kunsthaus Tan-
nenbaum zeigt eine neue Kollektion des nun
auch in weiteren Kreisen beachteten Maler-
Bauern Adolf Dietrich. Die Ehrlichkeit dieser
schulmäßig ganz unverbildeten Begabung, die
Unmittelbarkeit des Sehens, der klare, ge-
wichtslose („unsentimentale“) Lyrismus ihres
Weltbildes, stellen uns Verbildeten ein sol-
ches Keuschheitswunder dar, daß sie fast über
die diesmal stärker sich auf drängende Feststel-

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