Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

DOI Heft:
Heft 24
DOI Artikel:
Kunst-Literatur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0807

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
reichhaltig und meist unbekannt; die neuesten
Forschungsergebnisse und Funde sind verar-
beitet; nirgends herrscht Willkür und einsei-
tige Geschmackseinstellung: So sind geogra-
phisch sämtliche Kulturgebiete Südasiens von
Nepal bis Sumatra, thematisch alle Zweige der
bildenden Kunst und des Kunsthandwerks in
den Bereich der Darstellung einbezogen; zeit-
lich behandelt das Buch sämtliche Perioden
von der prähistorischen Zeit bis ins 19. Jahr-
hundert. Daß die islamischen Denkmäler un-
berücksichtigt gehlieben sind, hat seine innere
Berechtigung.
Das Neuartige dokumentiert sich schon in den
ersten Kapiteln, in denen Coomarasvamy die
vorchristlichen Denkmäler und die damit zu-
sammenhängenden indo-sumerischen und indo-
iranischen Probleme bespricht. Indien tritt
hier aus seiner Isolierung heraus und erscheint
als Teil jener frühasiatischen Kultur, deren
,,Wellenspuren“ von Irland bis Ostasien rei-
chen. Viele Motive und Formen, deren Import
erst der Asokazeit zugeschrieben werden, wären
somit auf jenen viel älteren, wechselseitigen
Zusammenhang zwischen „Osten und We-
sten“ zurückzuführen. Die prähistorischen
Untersuchungen führen Coomarasvamy na-
turgemäß auch für die eingesessenen dravidi-
schen Elemente und deren Anteil an der wei-
teren Entwicklung der indischen Kunst und
Kultur, die — nach Coomarasvamy — „die
gemeinsame Schöpfung des dravidischen und
arischen Geistes, eine Zusammenschließung
von symbolischer und bildhafter, abstrakter
und konkreter Sprache und Gedanken sind“.
Das riesenhafte, meist zerstreute Material der
geschichtlichen Denkmäler Vorderindiens wird
in musterhafter Ordnung in den folgenden
Abschnitten vorgeführt. Die Entwicklung bis
zur Guptakunst liest sich wie ein spannender
Roman. Uns interessiert besonders Coomaras-
vamys Stellungnahme zu der vielumstrittenen
Frage der Gandhara-Plastik: „Es muß festge-
stellt werden, daß der Buddhatyp von Gan-
dhara, während er stilistisch hellenistisch ist,
in allen Wesentlichkeiten seiner Ikonographie
der indischen, literarischen oder plastischen
Tradition folgt.“ Weiterhin: „Der Gandhara-
Bildhauer, selbst wenn er der zeitlich ältere
wäre, machte nicht aus einem Apollo einen
Buddha, sondern aus einem Buddhabild einen
Apollo. Es ist dazu nicht nötig, daß er irgend-
eine indische Plastik kopierte, sondern seine
Buddhavorstellung und diejenige von Mathu-

ra gehen auf dieselbe gemeinsame mündliche
und literarische Tradition zurück.“ (S. 58.)
Mit Recht legt Coomarasvamy weiterhin den
engen Zusammenhang zwischen den Kusana-
und Guptatyp dar. In der Guptakunst sieht er
die klassische und nationale Periode der indi-
schen Plastik und Architektur. „Die Formeln
des indischen Geschmacks haben sich jetzt be-
stimmt kristallisiert und sind allgemein aner-
kannt; die ikonographischen Typen und Kom-
positionen sind jetzt in bestimmten Formen
festgelegt, deren Einfluß sich weit über das
Gangestal erstrecken, Formen, deren Einwir-
kung nicht nur in Indien und Ceylon, sondern
auch weit über die Grenzen des eigentlichen
Indien hinaus empfunden wurden, und die
bis auf den heutigen Tag weitergelebt haben.“
(S.80.) Es schließt sich die Behandlung der
frühmittelalterlichen und mittelalterlichen
Kunst an, in deren verwirrendes Ganze der
Verfasser Ordnung bringt, wobei er die Fä-
den des Unterschiedlichen und des Zusammen-
hängenden gleicherweise bloßlegt. Begrüßens-
wert ist es, daß hier auch die spätere Kunst
der Rajput-Malerei Behandlung gefunden hat.
Nach einer, wenn auch kurzen Darlegung der
nördlichen Übergangsgebiete nach Zentral-
und Ostasien hin, folgen die Abschnitte über
die hinterindische und indonesische Kunst,
von der eine zusammenfassende Darstellung
hier zum erstenmal versucht wird. Dieser Teil
des Buches umfaßt die Kulturgebiete von Cey-
lon, Burma, Siam, Kambodja, Campa, Suma-
tra und Java.“ Grob genommen, können wir in
jedem Gebiet zuerst eine indische Periode fest-
steilen, wo die lokale Kunst in allen Zwecken
und Zielen nur eine Unterart der vorderindi-
schen Kunst darstellt, dann eine klassische
Periode, in der ein örtlicher Nationalstil sich
entwickelt und kristallisiert; und schließlich
eine lokalnationale Phase, die nicht mehr in
direkter Berührung mit Indien steht und in
ein Zeitalter der Volkskunst übergeht, die sich
gewöhnlich bis zum heutigen Tag erhalten
hat.“ (S. 176.)
Es ist unmöglich, den Reichtum dieses Werkes
auch nur im entferntesten anzudeuten. Was
einzig hier gesagt werden kann, ist nochmals
dies: Daß wir mit diesem Buch ein Standard-
werk besitzen, das für den Forscher unent-
behrlich sein wird, und durch das dem Laien
ein sicherer Führer an die Hand gegeben ist,
den zu benutzen jedem Kunstfreund auf das
Eindringlichste angeraten sei. KarlWith

779
 
Annotationen