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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

DOI Heft:
Sonderheft "Kunstliteratur" März 1927
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Wiese, Erich: Literatur zur deutschen Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0819

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den der deutschen (und zugleich westeuropäischen) Großplastik des Mittelalters vca
ihrer Geburt bis zu ihren ersten (vielleicht größten) Höhen als organisch sich voll-
ziehenden Prozeß darzustellen. Und so hat Panofsky die über den Rahmen der Serie
vielleicht hinausgehende Aufgabe gefaßt. Ergebnis: das Lehrbuch dieses Stoffgebietes.
Was Pinder ins „Handbuch“ verweisen durfte, bringt Panofsky in gedrängtester Form
in einem Textband. Er teilt den Stoff in einen theoretischen und einen praktischen Teil,
in „Kolleg“ und „Seminar“ und bewältigt so auf natürliche Weise die komplizierte
Materie, in der die Auseinandersetzung zwischen klassischem und nordeuropäisch-mittel-
alterlichem Kunstwollen eine Hauptrolle spielt. Ohne neue Begriffsbildungen geht es
nicht ab, aber trotz aller Begrifflichkeit wird die Darstellung nicht starr. Im prak-
tischen Teil, der Besprechung der Tafeln, werden ausführliche Literaturnachweise bis
in die entlegenste Lokalliteratur gegeben, und zu jedem Problem nimmt der Verfasser
eine persönliche und eindeutige Stellung ein. Klar werden die Stilkreise Umrissen, und
die Auswahl geht aufs Wesentliche. Die Leistung ist eine positive in jedem Belang.
Das „16. Jahrhundert“ (ersch. ig26) stellt Adolf Feulner ganz auf „Per-
sönlichkeiten“, von denen die meisten nun schon mit Namen bekannt sind. Das liegt
hier im Stoff begründet, ist das Zeichen eines neuen Individualismus. Aber es ist neuer-
dings auch sonst in der Kunstgeschichtsschreibung ein Zug nach den Spitzen, dem
„Kerl“ zu spüren. Es drängt, die viele Einzelforschung zusammenzusehen im Wirken
der wenigen Ausschlaggebenden einer Generation, auf breiterer Basis, als etwa die be-
wundernswerten Arbeiten der Schnaase oder Crowe und Cavalcaselle. Auch im Text
Feulners ist dieser Zug mit seiner'Neigung zur Abstraktion spürbar; aber die Darstel-
lung ist von nationalem Mit- und'Einfühlen durchblutet und darum lebendig. Lebhaft
und ohne Zweifel mit Recht, betont Feulner die Notwendigkeit, bei der deutschen
Renaissance (etwa beiVischer) auf die deutschen Wurzeln des Stils zu achten, sie als
eine neue Auswirkung der deutschen Vergangenheit, der deutschen „Antike“ zu sehen,
nicht nur als eine durch fremde Elemente aus ihrer Bahn gedrängte deutsche Kunst.
Er läßt diesen Gedanken auch in seiner Darstellung der „deutschen Plastik
des 17. Jahrhunderts“ nicht außer acht, weist immer wieder auf den eingeborenen
Hang des Deutschen zur Steigerung des Ausdruckes hin. Seine besondere und große
Bedeutung erhält dieser Band aber dadurch, daß er den ersten Versuch bedeutet, Ord-
nung in die wenig erforschte und verwickelte Materie zu bringen. Dabei erzielt Feulner
das heut erreichbare Resultat dank einer eingehenden Materialkenntnis, die in zahl-
reichen Punkten auf eigener Forschung beruht, überbrückt damit eine bisher klaffende
Lücke in unserer Anschauung vom Entwicklungsgang der deutschen Plastik und bahnt
einer gerechteren und positiveren Schätzung der deutschen Renaissance- und Früh-
barockskulptur den Weg. (Ein ähnliches Künstlerregister wie im Band über das 16. Jahr-
hundert wäre hier besonders erwünscht. Das Literaturverzeichnis ersetzt es nicht ganz.)
Max Sauerlandt, der im Schlußband der Serie das „18. Jahrhundert“ behan-
delt, fand ein relativ besser bestelltes Feld vor als Feulner. Er durfte daher von vorn-
herein auf weitgehende eigene Forschung verzichten und sich auf eine „Schritt-
steine setzende Darstellung“ beschränken. Sein Text zeichnet die großen Wege, die
Form und Geistigkeit im 18. Jahrhundert nahmen, ohne uns über die augenblicklichen
Grenzen unserer Kenntnis im Unklaren zu lassen. Im Literaturverzeichnis bietet er die
Zugänge ins umliegende Gebiet. Durch diese Methode, in Verbindung mit einem aus-
gesprochenen Sinn für Gemeijnverständlichkeit, gab er dem Bande einen Charakter, der
vielleicht als der zweckmäßigste für ein auf breitere Wirkungsbasis angelegtes Orien-
tierungswerk wie das vorliegende anzusprechen ist. Die Wohlfeilheit der Bände (40 bis
60 Mark) bei hoher Güte der Ausstattung (jeder Band mit etwa 100 großen Lichtdruck-
tafeln) zielen in gleicher Richtung.
Unentbehrliche Fundamente künftiger Plastikforschung werden auch drei große
Tafelwerke von Otto Schmitt bleiben. Die beiden doppelbändigen (Frankfurter Ver-
lagsanstalt 1924 bzw. ig26) gelten den an Denkmälern monumentaler Plastik reichsten
Kirchenbauten Deutschlands: Straßburg und Freiburg. Für beide fehlte merk-
würdigerweise bisher eine Sammlung des Materials bis zur heut erreichbaren Voll-
ständigkeit. Sie wird nun in gediegener Form geboten. Darüber hinaus hat Schmitt
im Straßburger Werk den „Versuch einer Geschichte der Straßburger Münster-
plastik“ gegeben, der dem Material an Aufschlüssen abgewinnt, was in dem speziellen
Fall Straßburg zur Zeit möglich ist, d. h. viele Fragen müssen offen gelassen, manches
muß aus der Entfernung und darum summarisch behandelt werden. Bei Fr ei bürg ist
das sehr anders. Hier baut Schmitt gewissermaßen noch einmal das Münster, von
Etappe zu Etappe, mit ungewöhnlichem Sinn für stilistische Zusammenhänge. Bau-
daten und Stilaussage der plastischen Werke ergänzen sich wechselseitig, und Frei-
burg, dieses besonders geeignete Objekt für eine solche Methode, findet so eine

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