Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0109
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Heft 8 (23. November 1908)
DOI article:Meyer, Rud. Hugo: Die Kunst in den modernen Reklamedrucksachen
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0109
Die Werkstatt der Kunst
Organ für ckie Interessen eler bilclenäen Künstler
keäakteur: ^ritz tzellxvag.
! VIII. Jakrg. I)ekt 8. s 23. Dovbr. 1908.
Die Runlt m clen niocternen Keklarnectrucksacken
Daß handel und Industrie die Kunst in ihre Dienste
gestellt haben, ist weder eine Profanierung der Kunst, noch
hat das bis jetzt dieser und dem Künstler etwas geschadet,
wie neulich Professor Werner Sombart im „Morgen" be-
hauptete. „Nachttöpfe, Bratheringe und Stiefelwichse"
brauchen freilich nicht durch die Kunst in der Reklame „mit
Schönheit verklärt" zum Kaufe angeboten werden. Und
ist das wirklich einmal hier und da geschehen, so hieße es
das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn deshalb nun
gleich die Kunst der ganzen Reklame mit ihren vielen
Zweigen den Rücken kehren müßte. Gerade unsere mo-
dernen Reklamedrucksachen zum Beispiel bedürfen der Mit-
hilfe des Künstlers, wie die Suppe des Salzes bedarf.
Wenn der Künstler den Anforderungen, die unsere Zeit an
die Reklame stellt, zu folgen vermag, trägt er Abwechselung,
Licht und Leben in Gestalt von Farbe und Zeichnung in
die sonst an sich leicht verflachende, an Ausdrucksmitteln
sich bald erschöpfende Reklame. Denn was wäre die mo-
derne Reklame ohne die Mithilfe der Kunst? Eine bald
ermüdende, stereotyp sich wiederholende Folge von Buch-
stabenbildern — die, ob winzig klein, ob riesengroß, ob
bei Nacht aufflammend und in allen Farben leuchtend, an
Industriepalästen oder Mietskasernen in allen Formen
prangen — oder schöne Aussichtspunkte und die Natur-
verschandeln — im Trambahnwagen, auf der Eisenbahn
oder dem Dampfschiffe sich breit machen. Ghne Mitarbeit
des Künstlers hier überall nichts als Buchstaben — eine Art
der modernen Reklame, wie sie von den Amerikanern an-
deren oktroyiert wurde.
Ghne Zweifel war es auch zum größten Teil mit
das protzenhafte Auftreten und unverschämte Sichbreitmachen
dieser inhaltlosen Buchstabenreklame, die Werner Sombart
zu seinem herzhaften, wenn auch übers Ziel im Unmut
hinausgefchossenen Ergüsse gegen die moderne Reklame
reizte. Dagegen spricht er in seiner Philippika absolut
nicht von der Reklame, die in den unzählbaren Drucksachen
liegt, die zu tausenden täglich ihren Weg ins Publikum
oder in die Pandelswelt nehmen. Gerade auf diesem Ge-
biete hatte in den letzten Jahren die Kunst eingesetzt.
Künstler und Künstlervereinigungen — wie zuerst die „Steg-
litzer Werkstatt" — versuchten, dem Kaufmann und Indu-
striellen mit Rat und Tat beizustehen, seinen Drucksachen
einen künstlerischen Zug zu geben — oder man versuchte,
der bestehenden sinn- und geschmacklosen Ausstattung der
Drucksachen entgegenzutreten.
Trotz eifrigsten Ringens und Arbeitens der Künstler
auf diesem Felde der Reklame ist im Verhältnis das von
der Kunst hier errungene Gebiet noch immer ein kleines
zu nennen. Die große Masse der Drucksachen-Auftraggeber
geht ihren alten weg vorläufig noch ruhig weiter — teils
gleichgültig gegen jede künstlerische Ausstattung, teils am
Alten und Gewohnten fest hängenbleibend. Doch Bresche
ist gelegt! Das Verständnis für eine künstlerische Reklame-
drucksache ist sichtlich im Zunehmen begriffen, besonders
beim Publikum, mag dasselbe auch noch, mehr wie ihm
recht ist, mit geschmacklosen Drucksachen beglückt werden.
Und die Hersteller, Buchdrucker, Lithographen und graphische
Anstalten, sind ohne Zweifel auf dem besten Wege, mit
den Künstlern zusammenzugehen und gute Hilfstruppe der
Kunst in diesem Kampfe zu werden. Suchen doch eine
Anzahl Druck- und Reproduktionsfirmen heute schon eine
Ehre darin, das Wort „Kunst" allen Ernstes auf ihren
Schild zu schreiben und innige Fühlung mit dein Künstler
zu nehmen.
Und das tut auch not, angesichts der vielen kläglichen
Produkte, die die Pressen so vieler Druckereien und Anstalten
verlassen, was wird immer noch Minderwertiges im
Katalogdruck geleistet. Doch wir sehen hier auch Ansätze
zu Neuem und Künstlerischem, was wohltuend gegen die
alte Schablone absticht, die mit Abbildungen die Katalog-
seiten vollpfropft, dazwischen den Text einpressend, jede
Lücke damit vollstopfend. Münchener und Berliner Waren-
häuser waren es, die da zuerst die moderne künstlerische
Druckausstattung auf den bis dahin so negligeabl behandelten
Katalog übertrugen — soweit das natürlich möglich, denn
eine illustrierte Preisliste ist kein Gedichtbuch oder Kunst-
werk. Schon in den farbigen Umschlagdeckeln zeigte sich
der Umschwung, wenn Künstler die Entwürfe gemacht und
die Farben angegeben. Und im Inhalt kam mehr Ruhe
und Geschlossenheit in das Arrangement, damit auch im
Kataloge die harmonische und künstlerische Seitenbild-
wirkung anbahnend, die hier gerade so gut zu erzielen
ist, wie in anderen Druckwerken. Leider sind es nur einige
der großen Kaufhäuser, die hier als Führer auftreten,
während andere ihre Preislisten wohl besser drucken und
illustrieren lassen, aber im Arrangement des Inhaltes und
der Umschläge sich zu keinen künstlerischen Konzessionen ver-
stehen. Man sehe sich doch die neuen Herbst- und Wintersaison-
kataloge unserer Kaufhäuser an; mit wenigen Ausnahmen,
wie wenig Geschmack und noch weniger Kunst sieht man da.
Bunte schreiende Umschlagdeckel mit steifen unnatürlichen
Figuren, die aus einer Modezeitschrift herausgeschnitten schei-
nen — oder farbige Deckel mit gepreßter Schrift und viel un-
nötiger Goldbronze — oder durch Massenauflagedruck breitge-
quetschte allzu schwarze Illustrationsbilder usw. Vielen ist der
Umschlag ein „buntes" Mäntelchen, das den nüchternen Inhalt
herausreißen soll. Es gibt eben noch genug große Firmen-
inhaber, die das Können ihres Geschäftszeichners oder eines
dillettierenden Bureauangestellten für vollkommen genügend
halten, Katalogumschläge und Inhalt zu entwerfen. Bei
den kleinen Firmen drückt man hierüber ein Auge zu —
von den großen könnte man aber heute schon bei mehreren
Verständnis für die Kunst in den Reklamedrucksachen ver-
langen, als den paar Ausnahmen. Bei den Industrie-
katalogen zeigt die letzte Zeit manch beachtenswerte
Druckleistung, zu der Künstler die Umschlagszeichnung, auch
ab und zu Vignetten und Schmuckstücke für den Satz schufen,
die sich natürlich dem Inhalt der Preisliste in der Dar-
stellung anpaffen. Wie ganz anders wirkt ein solcher
Katalog, mag er nun Maschinen, elektrische Lampen, Auto-
mobile oder sonst etwas anpreisen. Und genau so geht es
den Warenhauskatalogen, wie allen preiskuranten, die eine
künstlerische und typographische Note erhalten haben. Solche
Kataloge wandern nicht so schnell in den Papierkorb —
man sieht sie sich immer wieder gern an und blättert in
ihnen. Damit erfüllen sie tausendmal besser ihren eigent-
lichen praktischen Zweck: die betreffende Firma und deren
Erzeugnisse sich zu merken und zum Kaufe anzuregen, als
der primitiv hergestellte Durchschnittskatalog. Künstlerische
Mitarbeit trägt zu diesem Erfolge bei, die sich ja heute
auch auf die Wahl guter Druckschriften erstreckt, die
Künstler zeichneten. Selbst Prof. Werner Sombart wird
Organ für ckie Interessen eler bilclenäen Künstler
keäakteur: ^ritz tzellxvag.
! VIII. Jakrg. I)ekt 8. s 23. Dovbr. 1908.
Die Runlt m clen niocternen Keklarnectrucksacken
Daß handel und Industrie die Kunst in ihre Dienste
gestellt haben, ist weder eine Profanierung der Kunst, noch
hat das bis jetzt dieser und dem Künstler etwas geschadet,
wie neulich Professor Werner Sombart im „Morgen" be-
hauptete. „Nachttöpfe, Bratheringe und Stiefelwichse"
brauchen freilich nicht durch die Kunst in der Reklame „mit
Schönheit verklärt" zum Kaufe angeboten werden. Und
ist das wirklich einmal hier und da geschehen, so hieße es
das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn deshalb nun
gleich die Kunst der ganzen Reklame mit ihren vielen
Zweigen den Rücken kehren müßte. Gerade unsere mo-
dernen Reklamedrucksachen zum Beispiel bedürfen der Mit-
hilfe des Künstlers, wie die Suppe des Salzes bedarf.
Wenn der Künstler den Anforderungen, die unsere Zeit an
die Reklame stellt, zu folgen vermag, trägt er Abwechselung,
Licht und Leben in Gestalt von Farbe und Zeichnung in
die sonst an sich leicht verflachende, an Ausdrucksmitteln
sich bald erschöpfende Reklame. Denn was wäre die mo-
derne Reklame ohne die Mithilfe der Kunst? Eine bald
ermüdende, stereotyp sich wiederholende Folge von Buch-
stabenbildern — die, ob winzig klein, ob riesengroß, ob
bei Nacht aufflammend und in allen Farben leuchtend, an
Industriepalästen oder Mietskasernen in allen Formen
prangen — oder schöne Aussichtspunkte und die Natur-
verschandeln — im Trambahnwagen, auf der Eisenbahn
oder dem Dampfschiffe sich breit machen. Ghne Mitarbeit
des Künstlers hier überall nichts als Buchstaben — eine Art
der modernen Reklame, wie sie von den Amerikanern an-
deren oktroyiert wurde.
Ghne Zweifel war es auch zum größten Teil mit
das protzenhafte Auftreten und unverschämte Sichbreitmachen
dieser inhaltlosen Buchstabenreklame, die Werner Sombart
zu seinem herzhaften, wenn auch übers Ziel im Unmut
hinausgefchossenen Ergüsse gegen die moderne Reklame
reizte. Dagegen spricht er in seiner Philippika absolut
nicht von der Reklame, die in den unzählbaren Drucksachen
liegt, die zu tausenden täglich ihren Weg ins Publikum
oder in die Pandelswelt nehmen. Gerade auf diesem Ge-
biete hatte in den letzten Jahren die Kunst eingesetzt.
Künstler und Künstlervereinigungen — wie zuerst die „Steg-
litzer Werkstatt" — versuchten, dem Kaufmann und Indu-
striellen mit Rat und Tat beizustehen, seinen Drucksachen
einen künstlerischen Zug zu geben — oder man versuchte,
der bestehenden sinn- und geschmacklosen Ausstattung der
Drucksachen entgegenzutreten.
Trotz eifrigsten Ringens und Arbeitens der Künstler
auf diesem Felde der Reklame ist im Verhältnis das von
der Kunst hier errungene Gebiet noch immer ein kleines
zu nennen. Die große Masse der Drucksachen-Auftraggeber
geht ihren alten weg vorläufig noch ruhig weiter — teils
gleichgültig gegen jede künstlerische Ausstattung, teils am
Alten und Gewohnten fest hängenbleibend. Doch Bresche
ist gelegt! Das Verständnis für eine künstlerische Reklame-
drucksache ist sichtlich im Zunehmen begriffen, besonders
beim Publikum, mag dasselbe auch noch, mehr wie ihm
recht ist, mit geschmacklosen Drucksachen beglückt werden.
Und die Hersteller, Buchdrucker, Lithographen und graphische
Anstalten, sind ohne Zweifel auf dem besten Wege, mit
den Künstlern zusammenzugehen und gute Hilfstruppe der
Kunst in diesem Kampfe zu werden. Suchen doch eine
Anzahl Druck- und Reproduktionsfirmen heute schon eine
Ehre darin, das Wort „Kunst" allen Ernstes auf ihren
Schild zu schreiben und innige Fühlung mit dein Künstler
zu nehmen.
Und das tut auch not, angesichts der vielen kläglichen
Produkte, die die Pressen so vieler Druckereien und Anstalten
verlassen, was wird immer noch Minderwertiges im
Katalogdruck geleistet. Doch wir sehen hier auch Ansätze
zu Neuem und Künstlerischem, was wohltuend gegen die
alte Schablone absticht, die mit Abbildungen die Katalog-
seiten vollpfropft, dazwischen den Text einpressend, jede
Lücke damit vollstopfend. Münchener und Berliner Waren-
häuser waren es, die da zuerst die moderne künstlerische
Druckausstattung auf den bis dahin so negligeabl behandelten
Katalog übertrugen — soweit das natürlich möglich, denn
eine illustrierte Preisliste ist kein Gedichtbuch oder Kunst-
werk. Schon in den farbigen Umschlagdeckeln zeigte sich
der Umschwung, wenn Künstler die Entwürfe gemacht und
die Farben angegeben. Und im Inhalt kam mehr Ruhe
und Geschlossenheit in das Arrangement, damit auch im
Kataloge die harmonische und künstlerische Seitenbild-
wirkung anbahnend, die hier gerade so gut zu erzielen
ist, wie in anderen Druckwerken. Leider sind es nur einige
der großen Kaufhäuser, die hier als Führer auftreten,
während andere ihre Preislisten wohl besser drucken und
illustrieren lassen, aber im Arrangement des Inhaltes und
der Umschläge sich zu keinen künstlerischen Konzessionen ver-
stehen. Man sehe sich doch die neuen Herbst- und Wintersaison-
kataloge unserer Kaufhäuser an; mit wenigen Ausnahmen,
wie wenig Geschmack und noch weniger Kunst sieht man da.
Bunte schreiende Umschlagdeckel mit steifen unnatürlichen
Figuren, die aus einer Modezeitschrift herausgeschnitten schei-
nen — oder farbige Deckel mit gepreßter Schrift und viel un-
nötiger Goldbronze — oder durch Massenauflagedruck breitge-
quetschte allzu schwarze Illustrationsbilder usw. Vielen ist der
Umschlag ein „buntes" Mäntelchen, das den nüchternen Inhalt
herausreißen soll. Es gibt eben noch genug große Firmen-
inhaber, die das Können ihres Geschäftszeichners oder eines
dillettierenden Bureauangestellten für vollkommen genügend
halten, Katalogumschläge und Inhalt zu entwerfen. Bei
den kleinen Firmen drückt man hierüber ein Auge zu —
von den großen könnte man aber heute schon bei mehreren
Verständnis für die Kunst in den Reklamedrucksachen ver-
langen, als den paar Ausnahmen. Bei den Industrie-
katalogen zeigt die letzte Zeit manch beachtenswerte
Druckleistung, zu der Künstler die Umschlagszeichnung, auch
ab und zu Vignetten und Schmuckstücke für den Satz schufen,
die sich natürlich dem Inhalt der Preisliste in der Dar-
stellung anpaffen. Wie ganz anders wirkt ein solcher
Katalog, mag er nun Maschinen, elektrische Lampen, Auto-
mobile oder sonst etwas anpreisen. Und genau so geht es
den Warenhauskatalogen, wie allen preiskuranten, die eine
künstlerische und typographische Note erhalten haben. Solche
Kataloge wandern nicht so schnell in den Papierkorb —
man sieht sie sich immer wieder gern an und blättert in
ihnen. Damit erfüllen sie tausendmal besser ihren eigent-
lichen praktischen Zweck: die betreffende Firma und deren
Erzeugnisse sich zu merken und zum Kaufe anzuregen, als
der primitiv hergestellte Durchschnittskatalog. Künstlerische
Mitarbeit trägt zu diesem Erfolge bei, die sich ja heute
auch auf die Wahl guter Druckschriften erstreckt, die
Künstler zeichneten. Selbst Prof. Werner Sombart wird