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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

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Heft 42 (2. August 1909)
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Juryfreie Kunstausstellungen
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Frobenius, Hermann; Esswein, Hermann; Burger, Erich: Der Deutsche Künstler-Verband
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0586

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578

Die Werkstatt der Kunst.

Heft H2.

diese guten Sachen von dem Wust dilettantischer und ander-
seits nachahmender, dann wieder um jeden Preis originell
sein wollender künstlerischer Ausschweifungen erdrückt und
im Wust vermindert wurden, das mag Ihnen ja schon zu
Ohren gekommen sein. Namen seien hier nicht genannt.
Aber es ist doch traurig für 2500 ausgestellte Bilder, wie
es anläßlich des vorigjährigen 8. cl. I. der Fall war, wenn
das Publikum, in dessen Reihen dieKäuser gesucht werden,
teils empört, teils mit mitleidigem Lächeln die Ausstellung
verläßt, wie einer, der sich für 20 ctms. die „man^enr cles
ruts" angesehen hat. Ich betone nochmals: auch sehr gute Ar-
beiten gab es da (unbegreiflicherweise, denn ihre Schöpfer
wären sicherlich in einen der großen Salons mit ihnen
hineingekommen), aber wir Publikum konnten, wir wollten
sie gar nicht sehen, und schadenfroh wie echtes Publikum,
freuten wir uns, auch diese mit totzuschlagen. Um nicht
persönlich zu werden, will ich aus keines der Bilder an-
spielen, aber man hätte deren Autoren kalten Blutes er-
morden mögen — wie's da stellenweise aussah. Und das
hat sich in den Bestandjahren des 8. cl. I. in Paris von
Jahr zu Jahr gesteigert, bis dieses Jahr dem pariser Pub-
likum wegen anderweitiger Verwendung der Ausstellungs-
lokalitäten der fragwürdige Genuß dieses Kunstereignisses
geschenkt blieb.
Ich weiß, was man mir entgegnen wird: „Freies
Entfalten", „leichtfertiges Unterdrücken junger Kräfte",
„alter Zopf", „Neid" — Gott weiß was, wird man mir
an den anonymen Schädel schleudern, aber ich werde ruhig
Blut behalten, weil ich Wahrheiten sage.
Man darf und soll nicht allem und jedem die durch
den Begriff „Kunst" geweihten Räume einer Ausstellung
erschließen. Man darf und soll nicht jede bemalte Lein-
wand, die das Entzücken eines jungen Hitzkopfes (und in
wie vielen Fällen Nichtskönners) und seines Kaffeehaus-
tischanhanges ausmacht, dem deutschen Publikum als „Kunst",
als Malerei vorsetzen, soll nicht so zu Kämpfen und Ver-
bitterungen heraussordern, die manches junge, vielleicht sehr
talentierte Künstlerleben verirren, ja sogar zerstören können,
mehr, als ein Refus irgendeiner Ausstellungsjury. Aber das
Unheil der Ungerechtigkeit einer Jury kann so groß nicht
sein wie das Unheil dieses „freien Fluges", der um so un-
heilvoller ist, als ihm die Gefahr der Gessentlichkeit an-
hastet. Wie groß ist die Zahl bedeutender guter Künstler,
die heute über den Selbstmord lächeln, den sie in ihrer
Jugend begehen wollten, weil man sie damals in den Aus-
stellungen nicht zu Worte kommen ließ, und die froh und
glücklich sind, damals ihre Kunst nicht, wie sie wollten, an
den Nagel gehängt zu haben? Wie klein die Anzahl derer,
die jedes ihrer Werke noch heute für ausstellungs-, sagen
wir xublikumssähig halten, das sie damals geschaffen haben?
Ich gestehe jedoch offen, daß die Gefahr, die das jury-
freie Ausstellungsverfahren für die künstlerische Fortentwick-
lung des Schöpfers solcher Bilder besteht, mich weit weniger
interessiert, als jene, die das deutsche Publikum be-
droht, das Ausstellungen besucht, um hier künstlerische Ein-
drücke zu gewinnen. Nach harten Kämpfen, nach großen
und bitterer: Spaltungen in ihrem, sowie in der Künstler
Kreise, beginnen unsere deutschen Kunstfreunde sich
langsam, ganz langsam zu einer gesunderen Auffassung
von Kunst, speziell von Malerei zu bekennen, von Frank-
reich kann das überhaupt nicht gesagt werden, denn
wenngleich dort die Heimstätte moderner Kunst ist, sind
des Publikums daselbst noch heute dem Kitsch mit
Leib und Seele ergeben. Bei uns ist das ja ein bißchen
besser. Aber welche Mühe, welche bittere Schlachten hat
das gekostetl Langsam erkennt man auch bei uns, was
bessere Malerei ist, kaust anständige Bilder und gute Skulp-
turen. Kaum aber ist diese Arbeit getan — kaum zeigen
sich die ersten kleinen, aber im wirtschaftlichen Interesse
der jünger:: Künstlerschast mit Freude zu begrüßenden Früchte
— so will man auch schon neue Gewalten auf das Publikum
loslassen, deren künstlerische Dualitäten mehr als bestritten
genannt werden können, ihm neue Gerüchte vorsetzen, die
sein kaum etwas hergestellter Magen überhaupt nicht wird

verdauen können, — und ihm so den Appetit an moderner
Kunst ganz und für lange Zeit zu verekeln. In Frank-
reich haben diese jurylosen Ausstellungen bis aus ganz
wenige, vereinzelte Fälle gar keinen Erfolg gehabt —
wobei ich unter Erfolg das Emxorkommen bis dahin ver-
nachlässigter künstlerischer Talente verstehe. Im Publikum
ist es beim alten geblieben, man hat sich der modernen
Kunst eher ab- als zugewandt, gekauft wird von diesen
Sachen verschwindend wenig im Verhältnis zu der kolossalen
Produktion. — Das einzige Resultat, das die 8. cl. I. aus-
zuweisen hatten, war das erschreckende Ueberhandnehmen -
unausgegorener Essekthascher, das Auftauchen ihrer *
zahlreichen unmöglichen Schöpfungen, das Entstehen von
Künstlergruppen, deren Gemeinde nicht größer ist, als Leute
an den kleinen Pariser Kaffeehaustischchen Platz haben —
und, soviel Tische, soviel Gruppen! Zu essen haben die
meisten von ihnen nicht und sind also Märtyrer ihrer
künstlerischen Ideale, verfallen in endlose Verbitterung und
in Gier, es noch verrückter zu machen, als der Nebentisch.
— Hier haben Sie die Früchte dieser jury losen Veran-
staltungen! Und diese können nicht eben kunsisördernd
genannt werden. Als Allerschrecklichstes jedoch öffnen sie
aus diese Weise Hunderten von Dilettanten den plan
der Gessentlichkeit. Wo aber Dilettantismus seine schlechten
Witze zu reißen beginnt, da wächst überhaupt kein Gras
mehr. ....
Bringen Sie diese Zeilen, wenn Sie wollen oder glauben,
daß sie einen oder den anderen interessieren können und
ihm Anlaß geben, dem Gedanken juryfreier Ausstellungen
ruhig, unparteiisch und in Erwägung all' jener üblen
Folgen, die ich Ihnen hier aus Erfahrung, nicht aus per-
sönlichem Geschmack oder Ungeschmack, mitgeteilt habe,
näher zu treten.
Da ich ja persönlich niemanden gekränkt habe, bitte
ich Sie nochmals, in Anonymität verharren zu dürfen.
Mich soll es herzlich freuen, wenn ich als im verborgenen
blühendes Veilchen von den Früchten meiner Auseinander-
setzungen gelegentlich in Ihrem Blatte lesen werde.

— ver veutlcke Rimsller-Verbanck —
(vgl. d. „w. d. K." Heft Z7, qo, 4l-)
Aus den Artikel in der vorigen Nummer ist folgende
Entgegnung eingelaufen:
„Sehr geehrter Herr Lßwein!
Die beschränkte Zeit nötigt mich zu meinem aufrichtigen
Bedauern unsere Bekanntschaft schriftlich und nicht mündlich
anzuknüpfen und zwar anläßlich Ihres Artikels über den
.Deutschen Künstlerverband' in München. Ich glaube, daß
Ihnen der Verband sehr dankbar für denselben ist, da er
eine besonders freundliche Gesinnung und das größte
Interesse verrät, aber — einige Richtigstellungen, sehr ge-
ehrter Herr, werden Sie mir wohl gestatten.
Zunächst die Aeußerungen des Herrn Or. Burger.
Soweit ich dieselben gehört habe, und zwar in Gesellschaft
der von Ihnen bevorzugten Laien, aber allerdings Herren,
die unseren besten Künstlerverbänden nahestehen, sehe ich mich
genötigt, Ihnen zu sagen, daß jene Aeußerungen einen geradezu
sehr schlechten Eindruck gemacht haben, daß man dem
verband aus der Basis solcher Ansichten jede Zukunft ab-
sprach, und auch der Unterzeichnete jede tätige Anteilnahme
radikal abgelehnt hätte.
Seitdem ist die Leitung durch fast einstimmige Wahl
in andere Hände übergegangen. Der neue Arbeitsausschuß
bringt Ihrem Gedanken bezügl. wirtschaftlicher Organi-
sation das größte Interesse entgegen.
Man wird, sobald die Vorarbeiten so weit gereist sind,
für die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen eine kauf-
männische Kraft zu finden suchen.
Kindlich wäre das Ansinnen, und ich glaube Sie auch
hierin richtig zu verstehen, es könnten alle Ziele gleichzeitig
 
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