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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

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Heft 46 (13. September 1909)
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Schmidkunz, Hans: Geber und Nehmer der Kunstbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0641

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Die Werkstatt Ser Kunst
Organ für äis Interessen äer biläenclen Hünstler

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V!II. Jadi-g. !)ekl 46. 13. Sept. 1909.

Geber rmck Nebmer cker Runstbilciung
von Vr. Pans Schmidkunz-Berlin-Palensee.

Leit eine Kunst existiert, die über den ersten und ein-
zelnen Fall des individuellen Kunstschaffens hinausgeht,
existiert auch schon ein weitergeben der Kunst aus der
pand eitles reiferen Künstlers an einen weniger reifen.
Dieses Weitergeben, dieses Ueberliesern, dieses Tradieren
ist eine zum künstlerischen Schassen selbst hinzukommende
Sache, die sich gleich ihm aus primitivsten Anfängen heraus
weiter und weiter entfaltet, anwächst, mannigfache Formen
annimmt, neben dem sortbestehenden Primitiven auch bis
zu sehr Entwickeltem und vielleicht sogar Raffiniertem
gelangt und selbst eine Art Kunst wird.
So scheiden sich Lehrende, Lehrer, Weister, Vortragende,
Dozierende, Dozenten, Professoren, Erzieher der Kunst
einerseits und Lernende, Schüler, Jünger, Studierende,
Studenten, Zöglinge andererseits. Alle diese Namen sind
einseitig und rufen nach je einem allseits geeigneten, zu-
sammenfassenden Namen.
wie nun die Arbeit als soziale Erscheinung die zwei
weitumspannenden Begriffe und Namen der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer hervorgerusen hat, so können wir bei
der Bildung: von Bildungsgebern oder Traditionsgebern
einerseits, von Bildungsnehmern oder Traditionsne'hmern
andererseits sprechen. Und dieses Verhältnis auf dem Ge-
biete der Kunst im allgemeinen kurz zu beleuchten, ist der
Zweck unserer heutigen Zeilen.
verfolgen wir es in seiner schon angedeuteten histo-
rischen Entfaltung, so fällt uns bald auch dies aus, daß es
mit seiner Entwicklung zu einer Art Kunst noch immer
nicht genug hat. Ueber diese Kunst — nämlich die des
Gebens künstlerischer Bildung — wird bald auch irgend-
wie räsonniert und theoretisiert, geforscht und geschrieben;
ja sie vermag selbst wiederum Gegenstand des Bildungs-
gebens zu werden, indem das Lehren und Lernen der Kunst
selbst ebenfalls wieder gelehrt und gelernt werden mag.
Aber am präzisesten kann sie Gegenstand der Forschung,
der wissenschaftlichen Betrachtung und Darstellung, kurz eine
Wissenschaft werden. Sie kann es nicht nur, sie muß es
auch; denn der menschliche Lrkenntnistrieb läßt sich aus
die Dauer nichts Erkennbares entgehen — weder eine ver-
schollene Sprache, noch auch die keinesfalls verschollene
Kunstbildung.
And so finden wir es geschichtlich bestätigt. Seit alten
Zeiten, in zusammenhängendererweise seit der Renaissance,
gibt es Schriften über diesen Gegenstand, mögen sie nun
mehr ein Führer zum Studium der Künste oder mehr eine
Polemik gegen anscheinend schlechtes Lehren oder mehr
ein Blick aus bestimmte Gelegenheiten des Gebens und
Nehmens von Kunstbildung, also besonders aus „Akademien"
und aus ihre Geschichte, sein.
während andere menschliche Tätigkeiten nicht nur,
sondern auch ihre Erkenntnis und Darlegung verhältnis-
mäßig bestimmt und gut systematisiert und jedenfalls in
ihrer Existenz und Gewichtigkeit fraglos anerkannt sind,
fehlt es nicht nur bei der Kunstbildung, sondern auch bei
ihrer Erkenntnis und Darlegung daran noch sehr und
allenthalben. Kurz: wir besitzen nur erst eine fragmen-
tarische Praxis und Theorie der Kunstbildung, unbeschadet
aller Pochachtung vor trefflichen Einzelleistungen aus diesem
Gebiete. Schon der eine Umstand, daß es noch keine

einigermaßen zusammenhängende Geschichte der Kunst-
bildung gibt, zumal in den für Geschichtswissenschaft so
fruchtbaren deutschen Landen, darf mindestens als aus-
fällig gelten.
Deutschland, das Land der Schulmeister und der Schul-
meistertheorie, der Lehrer und der Lehrerbildung und der
Lehrerbildnerbildung, der pädagogischen Enzyklopädien, und
zwar nicht der pädagogischen Universitätsxrosessuren,
aber doch der danach heftig Rufenden! Von all dem kommt
pundert- und Tausendfaches den unteren Stufen des all-
gemeinen Bildungswesens, aber kaum Einfachstes dem
Kunstbildungswesen in allen seinen Stufen zugute. Für
die sachliche und persönliche pebung der Geber und Nehmer
des gewöhnlichen Schulwesens regen sich zahlreiche gelehrte
und ungelehrte Federn mehr oder minder systematisch; für
die der Geber und Nehmer der Kunstbildung regen sich
nur vereinzelte Federn und noch in ganz unsystema-
tischer weise.
Und für die Konsequenz all dessen: für die Einfügung
dieses Traditionsverhältnisses in die Pädagogik als in das
große Ganze der Bildungspraxis und Bildungstheorie,
würde sich noch immer nichts rühren, wäre nicht trotz allem
dieses Thema seit einiger Zeit zum Gegenstand einer eigenen
„Bewegung" gemacht worden. Begonnen hat sie nicht mit
dem Kunstgebiet an und für sich, sondern mit der Gesamt-
heit dessen, was in Kunst, in Technik, in Wissenschaft Sache
der Pädagogik sein kann. Es handelt sich also um eine
„Pädagogik der Wissenschaften und Künste" oder — da
tatsächlich meist akademische oder Pochschulen in Betracht
kommen — um eine „akademische" oder „Pochschulpäda-
gogik".
Sie leidet nicht wenig unter der Versuchung, sie zu
verwechseln mit dieser oder jener Einzelheit oder gar Par-
teiung, die jedenfalls zu ihrem Ensemble als Tatsache oder
als Problem gehört. Keineswegs ist sie identisch etwa mit
dem Ersätze der „Vorlesungen" durch „Uebungen" oder mir
der Gegnerschaft gegen die Kunstakademien oder mit deren
perrschaft oder mit der Forderung nach kunstgewerblichen
Pochschulen (die allerdings eine gute Probe aufs Lxemxel
werden könnten) oder mit dem Gedächtniszeichnen oder mit
sonst einer Spezialität. Sie nimmt all dies in ihren weiten
Umfang aus, kritisch wie systematisch wie auch historisch.
Sie bedarf dazu aber auch einer Anerkennung, wie sie
anderen Gebieten menschlicher Praxis und Theorie gezollt
wird, einer Ausnahme in das öffentliche und zumal staat-
liche Interesse, einer Ausstattung mit pandhaben jeglicher
Art, nicht zuletzt mit Sxezialbibliotheken für ihr eigenes
Gebiet.
Das alles zu erringen, ist Absicht derjenigen Personen,
die seit nunmehr anderthalb Jahrzehnten die „hochschul-
pädagogische Bewegung" tragen und im Lause dieser Zeit
manches erreicht haben, wenngleich bisher weder die all-
gemeine Anerkennung, noch auch eine Ausstattung zu ge-
winnen war, die für das fragliche Gebiet ein analoges
Arbeiten ermöglichen würde, wie es aus anderen Gebieten
durch „Institute", „Zentralstellen" u. dgl. vermittelt ist.
Angestrebt wird auch eine solche Arbeitsstation; nur genügt
dazu nicht der gute Wille und Kraftaufwand der bisherigen
Förderer der Bewegung.
 
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