Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0613
DOI issue:
Heft 44 (30. August 1909)
DOI article:Sch.: Juryfreie Kunstausstellungen, 3
DOI article:Geschäftsbericht der Ausstellung München 1908
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0613
Die Werkstatt der Kunst
Organ für äie Interessen äer bitctenclen Künstler
Redakteur: ^ritz k^ellwag.
VIII. ^akrg. « I)ekt 44. «k 30. Aug. 1909.
^ur^kreie ltunstLUsltellungen. III
(vgl. die Artikel in den Nummern H2 und -^Z.)
Die Wogen im Streite um die juryfreien Aus-
stellungen gehen mächtig hoch! Trotz der Ferien
und Augustschwüle erhalten wir so viele Zuschriften
von allen Seiten, daß es uns unmöglich ist, sie alle
direkt zu beantworten, geschweige denn, hier ab-
zudrucken. Wir können nur das Wichtigste und
Tharakteristische daraus hervorhcben und zur all-
gemeinen Kenntnis bringen. Die freundlichen dieser
wollen sich aber nicht abschrecken lassen, der Re-
daktion ihre Meinungsäußerungen zukommen zu
lassen, denn je mehr Augen diese Dinge betrachten,
desto sicherer können wir sein, daß kein Gesichts-
punkt außer acht gelassen werde.
Das Interesse für die Frage der juryfreien Aus-
stellung ist zurzeit in allen Ländern gleichmäßig rege,
wir sehen jetzt solche Ausstellungen, ausgeführt oder
geplant, in Paris, London, Wien, München und in
Berlin und können uns der Lrkcnntnis wohl nicht
länger verschließen, daß die Frage einer praktischen
Lösung immer näher rückt.
Die Schriftleitung der V/. cl. K.
Wir geben nachstehend einem älteren Münchener
Künstler das Wort:
Im Interesse deutscher Kunst und deutscher Künstler
möchte ich es meinen jungen Kollegen wünschen, daß sie
mit ihrem feurigen Rnf nach juryfrcien Ausstellungen nicht
das grotesk-tragische Los des Goetheschen Zauberlehrlings
erfahren mögen. Die Geister, die sie rufen, sie werden sie
nicht allein nicht losbekommen, diese Geister werden ihnen
über den jugendlichen Kopf wachsen, und ihr Ruf „Besen,
Besen -— fei's gewesen" wird reuevoll, aber erfolglos ver-
hallen. Alle Achtung vor dem beredten Feuer-Freiheits-
drang meines Vorredners an dieser Stelle, vor seiner jugend-
lichen Zuversicht — aber sie alle, die nach juryfrcien Aus-
stellungen drängen, treiben ein gefahrvolles Spiel. Ls sei
hier immer wieder, auch meinerseits, versichert, daß uns allen
die Mängel des Iurysystems vollauf bekannt und nicht
wegzuleugnen sind. Mer aber den Begriff „Iuryfreiheit"
mit künstlerischer Freiheit verwechselt, begeht der: unsinnigen
Fehler, anstatt Liberalismus Anarchie zu setzen. Mir wollen
von dem wüsten Getümmel läppischer Dilettanten, die in
der: juryfreien Ausstellungen zu Saufen ihre Zelte auf-
schlagen werden, gar nicht reden, von dem lächerlichen
Eindruck, den solche Ausstellungen in: Publikum hinter-
lassen werden. Die ernste Gefahr, die jedes „die Zügel-
schießen-lassen" nun einmal im Gefolge mit sich führt,
die immer da ist, wo große Ziele mit leichter Mühe er-
kämpft sein wollen, sei hier nicht genug hervorgehoben.
Mer sein Merk der Geffentlichkeit übergeben will, ist in
den seltensten Fällen selbst dazu berufen, zu richten, ob es
auch reif ist für die Geffentlichkeit, an der sich schon
so mancher die Flügel verbrannt hat. Nicht zum Schutze
des Publikums — zum Schutze der Künstler seien diese
Morte gesagt: mir will es scheinen, nicht, als ob Zurück-
setzung und Unterdrücktheit diese Bewegung bei uns her-
vorgerufen hätte (obgleich es ja auch an dieser leider nicht
mangelt); die Sucht und die Lockung, sich mühelos öffent-
lich zeigen zu können, seinen Namen den Leuten aufzu-
drängen, jeden künstlerischen Purzelbaum vor der Geffent-
lichkeit zu schlagen, ohne Kontrolle, ohne Mühe — das
scheint die meisten zu bestimmen, nach jurylosen Ausstel-
lungen zu schreien, was früher die Frucht ernsten, tief-
gehenden Studiums, langen, mühevollen Strebens und
Arbeitens war, der erste Schritt vor Kritik und
Geffentlichkeit, soll heute leicht und mühelos mit Um-
gehung jeglichen Urteiles getan werden können, nicht aus
dem Drange heraus, daß künstlerische Individualität keine
Kontrolle duldet, sondern weil man tO Mk. für seinen
Platz bezahlt hat.
Mit den Waffen, mit denen die Streiter um die jury-
freien Ausstellungen kämpfen, werden sie selbst geschlagen
werden. Das Ueberhandnehmen „künstlerischer" Produkte,
die alle im Drange nach juryloser Freiheit entstanden waren,
wird auf dem Markt eine Reaktion Hervorrufen, deren
traurige und bittere Folgen zuvörderst den Schöpfern dieser
Produkte selbst klar werden müssen. Umsonst wird man
sich vor ihren Merken „gedrängt" haben, vergeblich werden
mutige Rezensenten ihrem mehr oder minder beschränkten
Publikum empfohlen haben, „sich diesen Namen zu merken"
— dem Endzweck — ihre Sachen zu verkaufen — (und das
ist der Endzweck der meisten von ihnen), werden sie nicht
näher, sie werden von ihn: noch viel, viel weiter abge-
kommen sein, als es leider heute der Fall ist. Der Lin-
tagsruhm ihrer Schöpfungen wird sie hierüber nicht Hinweg-
täuschen können. Menn heute das Entstehen zahlloser
Privatkunstschulen, klein air-Ateliers usw. usw. Sunderte von
Kunstproletariern dem Elend in die Arme treibt, die jury-
freien Ausstellungen werden Tausende solcher verfehlrer
Iammerexistenzen auf dem Gewissen haben!
Freilich gibt es keine Genehmigung wirklich künst-
lerischer Eigenheit, keine Dixlomierung der Individualität,
kein Linschachteln künstlerischer Bestrebungen — — aber
billigem Sichgehenlassen und mühelosen Erfolgen mögen
die Jurys der heutigen deutschen Ausstellungen eine Grenze
setzen. Dazu sind sie denn doch noch immer gut genug.
Lola -München.
Eelckäslsbei-ickt cter Ausstellung
HH! Wüncken 1908 l..„ _
vor kurzem gelangte der vom ehemaligen Direktorium
der Ausstellung München tgO8 herausgegebene Geschäfts-
bericht zum versand. Das für die Geschichte der Stadt
München wie auch für die Entwickelung des modernen
Ausstellungswescns gleich bedeutsame, würdig ausgestattete
Merk enthält eine reiche Fülle interessanter Mitteilungen
Organ für äie Interessen äer bitctenclen Künstler
Redakteur: ^ritz k^ellwag.
VIII. ^akrg. « I)ekt 44. «k 30. Aug. 1909.
^ur^kreie ltunstLUsltellungen. III
(vgl. die Artikel in den Nummern H2 und -^Z.)
Die Wogen im Streite um die juryfreien Aus-
stellungen gehen mächtig hoch! Trotz der Ferien
und Augustschwüle erhalten wir so viele Zuschriften
von allen Seiten, daß es uns unmöglich ist, sie alle
direkt zu beantworten, geschweige denn, hier ab-
zudrucken. Wir können nur das Wichtigste und
Tharakteristische daraus hervorhcben und zur all-
gemeinen Kenntnis bringen. Die freundlichen dieser
wollen sich aber nicht abschrecken lassen, der Re-
daktion ihre Meinungsäußerungen zukommen zu
lassen, denn je mehr Augen diese Dinge betrachten,
desto sicherer können wir sein, daß kein Gesichts-
punkt außer acht gelassen werde.
Das Interesse für die Frage der juryfreien Aus-
stellung ist zurzeit in allen Ländern gleichmäßig rege,
wir sehen jetzt solche Ausstellungen, ausgeführt oder
geplant, in Paris, London, Wien, München und in
Berlin und können uns der Lrkcnntnis wohl nicht
länger verschließen, daß die Frage einer praktischen
Lösung immer näher rückt.
Die Schriftleitung der V/. cl. K.
Wir geben nachstehend einem älteren Münchener
Künstler das Wort:
Im Interesse deutscher Kunst und deutscher Künstler
möchte ich es meinen jungen Kollegen wünschen, daß sie
mit ihrem feurigen Rnf nach juryfrcien Ausstellungen nicht
das grotesk-tragische Los des Goetheschen Zauberlehrlings
erfahren mögen. Die Geister, die sie rufen, sie werden sie
nicht allein nicht losbekommen, diese Geister werden ihnen
über den jugendlichen Kopf wachsen, und ihr Ruf „Besen,
Besen -— fei's gewesen" wird reuevoll, aber erfolglos ver-
hallen. Alle Achtung vor dem beredten Feuer-Freiheits-
drang meines Vorredners an dieser Stelle, vor seiner jugend-
lichen Zuversicht — aber sie alle, die nach juryfrcien Aus-
stellungen drängen, treiben ein gefahrvolles Spiel. Ls sei
hier immer wieder, auch meinerseits, versichert, daß uns allen
die Mängel des Iurysystems vollauf bekannt und nicht
wegzuleugnen sind. Mer aber den Begriff „Iuryfreiheit"
mit künstlerischer Freiheit verwechselt, begeht der: unsinnigen
Fehler, anstatt Liberalismus Anarchie zu setzen. Mir wollen
von dem wüsten Getümmel läppischer Dilettanten, die in
der: juryfreien Ausstellungen zu Saufen ihre Zelte auf-
schlagen werden, gar nicht reden, von dem lächerlichen
Eindruck, den solche Ausstellungen in: Publikum hinter-
lassen werden. Die ernste Gefahr, die jedes „die Zügel-
schießen-lassen" nun einmal im Gefolge mit sich führt,
die immer da ist, wo große Ziele mit leichter Mühe er-
kämpft sein wollen, sei hier nicht genug hervorgehoben.
Mer sein Merk der Geffentlichkeit übergeben will, ist in
den seltensten Fällen selbst dazu berufen, zu richten, ob es
auch reif ist für die Geffentlichkeit, an der sich schon
so mancher die Flügel verbrannt hat. Nicht zum Schutze
des Publikums — zum Schutze der Künstler seien diese
Morte gesagt: mir will es scheinen, nicht, als ob Zurück-
setzung und Unterdrücktheit diese Bewegung bei uns her-
vorgerufen hätte (obgleich es ja auch an dieser leider nicht
mangelt); die Sucht und die Lockung, sich mühelos öffent-
lich zeigen zu können, seinen Namen den Leuten aufzu-
drängen, jeden künstlerischen Purzelbaum vor der Geffent-
lichkeit zu schlagen, ohne Kontrolle, ohne Mühe — das
scheint die meisten zu bestimmen, nach jurylosen Ausstel-
lungen zu schreien, was früher die Frucht ernsten, tief-
gehenden Studiums, langen, mühevollen Strebens und
Arbeitens war, der erste Schritt vor Kritik und
Geffentlichkeit, soll heute leicht und mühelos mit Um-
gehung jeglichen Urteiles getan werden können, nicht aus
dem Drange heraus, daß künstlerische Individualität keine
Kontrolle duldet, sondern weil man tO Mk. für seinen
Platz bezahlt hat.
Mit den Waffen, mit denen die Streiter um die jury-
freien Ausstellungen kämpfen, werden sie selbst geschlagen
werden. Das Ueberhandnehmen „künstlerischer" Produkte,
die alle im Drange nach juryloser Freiheit entstanden waren,
wird auf dem Markt eine Reaktion Hervorrufen, deren
traurige und bittere Folgen zuvörderst den Schöpfern dieser
Produkte selbst klar werden müssen. Umsonst wird man
sich vor ihren Merken „gedrängt" haben, vergeblich werden
mutige Rezensenten ihrem mehr oder minder beschränkten
Publikum empfohlen haben, „sich diesen Namen zu merken"
— dem Endzweck — ihre Sachen zu verkaufen — (und das
ist der Endzweck der meisten von ihnen), werden sie nicht
näher, sie werden von ihn: noch viel, viel weiter abge-
kommen sein, als es leider heute der Fall ist. Der Lin-
tagsruhm ihrer Schöpfungen wird sie hierüber nicht Hinweg-
täuschen können. Menn heute das Entstehen zahlloser
Privatkunstschulen, klein air-Ateliers usw. usw. Sunderte von
Kunstproletariern dem Elend in die Arme treibt, die jury-
freien Ausstellungen werden Tausende solcher verfehlrer
Iammerexistenzen auf dem Gewissen haben!
Freilich gibt es keine Genehmigung wirklich künst-
lerischer Eigenheit, keine Dixlomierung der Individualität,
kein Linschachteln künstlerischer Bestrebungen — — aber
billigem Sichgehenlassen und mühelosen Erfolgen mögen
die Jurys der heutigen deutschen Ausstellungen eine Grenze
setzen. Dazu sind sie denn doch noch immer gut genug.
Lola -München.
Eelckäslsbei-ickt cter Ausstellung
HH! Wüncken 1908 l..„ _
vor kurzem gelangte der vom ehemaligen Direktorium
der Ausstellung München tgO8 herausgegebene Geschäfts-
bericht zum versand. Das für die Geschichte der Stadt
München wie auch für die Entwickelung des modernen
Ausstellungswescns gleich bedeutsame, würdig ausgestattete
Merk enthält eine reiche Fülle interessanter Mitteilungen