Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

DOI issue:
Heft 19 (8. Februar 1909)
DOI article:
Pazaurek, G. E.: Besteuerung der Geschmacklosigkeiten
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0265

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Werkstatt der Kunst
Organ für clie Interessen cker bilctencten Künstler

Redakteur: tzell^ag.

VIII. Jakrg. Ijekt 19. 8. Februar 1909.

Vesteuerung cler Gesekmacklosigkeiten*)

Der Fiskus späht wieder einmal mit Argusaugen und
Diogeneslaternen nach neuen Einnahmequellen, sowie nach
den Majoritäten, die sie dein Reiche bewilligen sollen. Diel
(Originelles ist bisher, wie man hört, dabei nicht heraus-
gekommen. Zu recht ehrwürdigen Ladenhütern, die stets
herhalten müssen, traten als Neuerungen nur das Steuer-
projekt aus Licht und Kraft, sowie die Verurteilung der
Reklame; aber gerade diese beiden Vorschläge würden unser
ganzes Erwerbs- und Verkehrsleben in sehr empfindlicher
weise treffen. Die Auswüchse einer ausdringlichen Reklame
entsprechend zu treffen, wäre schon ganz gut; darunter
dürfte aber keineswegs der anständige, erlaubte, ja unent-
behrliche Teil der Ankündigungen aller Art leiden. Nicht
jede Geschäftsanzeige, ohne die wir namentlich dein mit-
konkurrierenden Auslande gegenüber um eine Hauptwaffe
ärmer wären, nicht ein echtes Künstlerplakat, dessen Be-
trachtung uns ergötzt, darf getroffen werden, sondern nur
die widerlich an unseren Nerven reißende Reklame, die
uns die schönste Landschaft und den herrlichsten alten Stadt-
prospekt verleidet, die uns mit grellen Farben- und Be-
leuchtungseffekten die Augen blendet, die uns in Augen-
blicken weihevoller Stimmung in den Bann der gleich-
gültigsten Dinge zu locken trachtet oder unserem Gehör
mit gellenden: Tamtam oder schnarrendem Phonographen
wehe tut. Nicht die Reklame als solche soll strafbar bezw.
tributpflichtig sein, sondern die Geschmacklosigkeit, mit
welcher sie vor: der unlauteren Konkurrenz zum Teile be-
trieben wird. Da gehe man aber gleich einen Schritt weiter
und besteuere die Geschmacklosigkeiten überhaupt.
Jene Institutionen sind ohne Zweifel die besten, die
nicht nur einen entsprechenden materiellen Nutzen abwerfen,
sondern zugleich auch einem sonst fühlbaren höheren Be-
dürfnis nachkommen, also zwei Fliegen mit einem Schlag
treffen. Allgemein hörbar ist heutzutage der Sehnsuchts-
schrei nach einer Hebung der ästhetischen Kultur. Nur
hat leider jede Gemeinschaft dafür bis jetzt verhältnis-
mäßig nur wenig (Opfer gebracht, weil bekanntlich die
ethischen Forderungen die ästhetischen immer hübsch sachte
zur Seite, oft ganz an die wand zu drücken wissen, wenn
nun die ästhetische Kultur wirklich in der entscheidendsten
weise gefördert werden könnte, ohne daß hierfür Staat,
Land oder Gemeinde zu bluten brauchte, ja wenn damit
geradezu ein nettes profitchen für das Reich herausfchaute,
wäre das nicht geradezu ideal?
Die Steuerphilosophen werden mir sofort entgegnen:
Die Besteuerung der Geschmacklosigkeiten ist ein Unding,
weil es dafür keine einheitlichen, allgemein anerkannten
Definitionen, kein erschöpfendes Verzeichnis aller Sünden
gegen den guten Geschmack in Kunst und Leben gibt. Ja,
selbst Männer der Kunstwelt von weithin bekannten Namen
bezeichnen ganz dasselbe Objekt als total geschmacklos,
das anderen, ebenso berühmten Persönlichkeiten, ebenfalls
Experten der Kunst, als eine Offenbarung eines werdenden
Genies erscheint. Bei dem heftigen Kampfe des modernen
Elementes mit dem konservativen, ja der verschiedenen moder-
nen Richtungen und Individualitäten gegeneinander könnte
es ja keine Grundlage für unser neues Steuerprojekt geben.
Darauf ist zu erwidern: Selbstverständlich ist nicht die
relative Geschmacklosigkeit gemeint, sondern die absolute.


Ueber mehr oder weniger „schön", über „veraltet" oder
„exzessiv modern" läßt sich allerdings schwer streiten. Aber
es gibt Dinge, die allen Gebildeten, den alten und jungen,
ja nicht selten selbst dem Erzeuger — wenn er ehrlich fein
will — unbedingt mißfallen; nur diese sollen herangezogen
werden, wenigstens vorläufig. Man glaube ja nicht, daß
es sich nur um Bagatellen handelt; im Gegenteil: All-
jährlich wird aus allen kunstindustriellen Gebieten im Hin-
blick auf den rohen Instinkt der Massen, die mit derartigem
Mist beglückt werden sollen, ein ganz enormer Teil des
Nationalvermögens umgesetzt, der zu „Kitsch" verarbeitet,
in den Pfennigbasaren oder von Kolporteuren vertrieben,
der soliden Kunstindustrie und dem soliden Kunsthandwerk
die Existenzbedingungen untergräbt. Schon von diesem
Standpunkt wäre längst ein Einschreiten dagegen ratsam
gewesen, aber es hat bisher an der richtigen Handhabe
gefehlt, da die Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb
zu weite Maschen haben.
Selbstverständlich ist der neue Vorschlag keineswegs
gegen die Maschinenarbeit als solche gerichtet. Jeder Ein-
sichtsvolle weiß nur zu genau, daß die modernen Produktions-
bedingungen der leistungsfähigster: Maschinen nicht entraten
können und daß es nur die billigere Maschinenherstellung
ermöglicht, daß sich auch der Minderbemittelte mit einem
ihm sonst nicht erreichbaren Komfort umgeben kann. Aber
welche Uebergriffe hat die maschinelle Lrzeugungsart leider
auch im Gefolge, welche Unsumme falscher, heuchlerischer
Ueberladung, elender Surrogate, gemeiner Plagiat-Ver-
hunzungen guter Ideen müssen wir täglich schaudernd mit-
erleben! wie viele unverdient reich gewordene „Fabri-
kanten" haben gerade die ärmeren Klassen mit wertlosem
Tand betrogen, wie viele gewerbsmäßige Brunnenvergifter
des guten Geschmacks reißen Tag für Tag frevelhaft das
ein, was die staatlichen Behörden und Anstalten für Kunst-
pflege in jahrelanger Sisyphusarbeit zu errichten strebten,
wie viele Hyänen der Aktualität verleiden uns beständig
die begeisterte Teilnahme an großen zeitgenössischen Er-
eignissen!
Ich glaube, es gibt Ungeheuerlichkeiten, die ein jeder
fühlt, ohne erst einen ästhetischen Kursus durchgemacht zu
haben, wenn uns eine Szene aus Wagners „Tristan"
auf dem Leierkasten vorgetragen wird, wenn wir die Six-
tinische Madonna in unglaublich stümperhafter Reproduktion,
kaum wiederzuerkennen, auf einem Sacktuch wiederfinden,
wenn ein gerissener Impresario den famosen Köpenick-
hauptmann für patriotische Deklamationen engagiert, wenn
der (obendrein falsche) Keuschheitsgürtel des Pariser Lluny-
museums ausgerechnet gerade auf einer Ansichtspostkarte
abgebildet wird, wenn, wie auf der Nürnberger Ausstellung
von (Y06 — in einer großen Erdkugel halb schamhaft
versteckt, aber doch rosa beleuchtet, ein nacktes Weib just
für eine — Tiefbohrgesellschaft als öffentliche Reklame
angestaunt wird — wenn derartige flagrante Geschmacks-
verletzungen alltäglich ungestraft begangen werden, gegen
die die Oeffentlichkeit ohnedies einschreiten sollte, so ist das
sehr schmerzlich. Gegen dergleichen hilft radikal nur eine
nicht zu niedrige Besteuerung, die dem Reich ein hübsches
rundes Sümmchen einbringen würde.
Die Durchführung dieses Vorschlags wäre nicht so
schwierig, als es auf den ersten Blick erscheinen könnte.
Die Steuerverschreibung würden etwa fünf höhere Ver-
 
Annotationen