Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0585
DOI issue:
Heft 42 (2. August 1909)
DOI article:Juryfreie Kunstausstellungen
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Organ für clie Interessen äer bilclenäen Künstler
^eäakleur: heU^vag.
VIII. Jakrg. tzekt 42. s 2. ^ug. 1909.
Iuryfrele Kunstausstellungen
Die Frage der juryfreien Ausstellungen ist in
den letzten Wochen, nachdem die zahlreichen, in den
großen Ausstellungen zurückgewiesenen Arbeiten sich
in den Ateliers der Schöpfer wieder eingefunden
haben, sehr viel besprochen worden. Wir haben
von versuchen in München und Berlin, die praktische
Lösungen der Frage anstreben, berichtet. Es ist also
kein Wunder, daß man die Wünsche der Künstler-
schaft auch außerhalb der Fachkreise, im breiteren
Publikum zu erörtern begonnen hat.
Line solche „Stimme aus dem Publikum" ist
zu uns gedrungen, die auch von unseren Lesern
vernommen werden möchte. Wir tragen diesem
Wunsche Rechnung, indem wir die Zuschrift nach-
stehend abdrucken. Selbstverständlich gibt sie nicht
unsere eigene Meinung wieder, doch erscheint sie
uns beachtenswert, weil sie von einem, uns als wohl-
wollend bekannten Kunstkenner stammt, und vor-
allem, weil sie aus Paris kommt, wo man doch
schon seit einigen Zähren genügend Gelegenheit
hatte, in der Frage der juryfreien Ausstellungen im
Lalon cle8 luclepeuclants Erfahrungen zu
sammeln. Nun mögen die Künstler, die daran
Interesse haben, sich über das aktuelle Thema
unterhalten —- die Redaktion der „W. d. K." hält
vorläufig noch mit ihrem eigenen Urteil zurück.
Geehrter Lserr Redakteur!
Pier sende ich Ihnen eine „Stimme aus dem Pu-
blikum". Ich weiß sehr wohl, daß solche „Stimmen" nur
bei den wenigsten Fachleuten willkommen und wohlgelitten
find. Rührt sich einer aus dem Publikum, dem großen
Publikum, zu dessen Bequemlichkeit, Aufklärung und Bildung
rastlos industriell und künstlerisch gearbeitet und gerackert
wird, rührt sich einer und sagt seine Meinung über ein
Ding, so heißt es: „Pimmel, wenn nur dieses Laiengesindel
sein Maul halten wollte!" vollends aber, wenn von Kunst
die Rede ist. Dich lieber in die Zunge beißen, ehe Du vor
Fachleuten Deine Meinung sagst, besonders wenn Deine
Meinung eine „andere" ist. Die wenigsten Fachmenschen
lassen sich vom Publikum was dreinreden, Künstler aber
pflegen dies als persönliche Beleidigung*) aufzufassen.
Persönlich soll aber hier niemand beleidigt werden. Die
Ansicht, der zuliebe ich heute für einen Augenblick den
Kunstschriftsteller machen will, wird sicherlich vor: vielen
Ihrer Kollegen geteilt, freilich von der größer:: Mehrzahl
bekämpft. Aber das macht nichts. Daher der Name:
„Publikum".
Es handelt sich um die Wohl- und Wehfrage der
Künstlerschaft, besonders der jüngeren unter Ihnen, um
*) wir glauben daß der Herr Linsender sich hierin doch wohl zu
ungunsten der Künstler irrt, und hoffen, daß er durch die Künstler selbst
eines besseren belehrt werden wird, wenn sie in der nun entstehenden Dis-
g I ner Darlegungen -ins ira st st^io^erortern.
die Jurys rage. Wenn Sie's mir gestatten, will ich Ihnen
sagen, warum ich in dieser Frage das Wort zu ergreifen
mir erlaube. Ich lebe seit einigen Jahren als Privatmann
in Paris, dem Kunstzentrum der Welt. Wir sehen hier
alljährlich ca. s5 000 Bilder in ca. soo—s2O Ausstellungen,
großen und kleinen, offiziellen und nicht offiziellen, Sonder-,
Schul- und Gruppenausstellungen usw. usw. — was sag
ich, s5000? Mehr, viel mehr. Ich sage, wir, die wir
uns Ausstellungen ansehen, weil wir uns dafür interessieren.
Von den Ateliers sei hier nicht die Rede. Ich spreche von
dem Material, das man ausstellt, dem Publikum zur Be-
sichtigung, zur (natürlich stillen) Begutachtung und zum
Ankauf vorsetzt. Von einem Extrem ins andere stürzt man
das Publikum, und man muß guter Leute Kind sein, um
über diesem Bilderchaos nicht den Kopf zu verlieren, fein
Urteil und überhaupt noch weiter den Mut zu behalten,
Interesse für Kunst zu zeigen. Man muß die tausend Ab-
stufungen von guter Auffassung, von Kitsch und was da-
zwischen liegt, gesehen haben, um — nicht sein Urteil zu
bilden — sondern es ganz und gar zu verlieren. Ma::
muß, hier an der Tuelle, die tausenderlei Arten von Licht-,
Farben- und Formauffassungen verfolgen, um zu erfahren,
daß der Begriff „gut" oder „schlecht" überhaupt zu existieren
aufgehört hat; um für ewig darauf zu verzichten, sich zu-
rechtzufinden, was Kunst, speziell Malerei bedeutet; um
überhaupt den Glauben an das, was man bisher geglaubt
hat, den Glauben an seinen klaren verstand und schließlich
den eigenen Kopf zu verlieren.
Lesen Sie weiter, geehrter perr Redakteur, wenn Sie mein
Manuskript bisher noch nicht in den Papierkorb befördert
haben. Und vergessen Sie vor allem nicht, daß ich nur das
Publikum bin und als solches L priori nicht zu den Ge-
scheiten zähle.
Ich lese in Ihren Blättern von der Gründung einer
Vereinigung Münchener Künstler, die unter anderem auch
die juryfreien Ausstellungen auf ihrem Programm
hat. Aber ich sage Ihnen, daß dieser Gedanke in
Deutschland auf das Energischste bekämpft werden sollte.
Ls ist genug, daß die Art, „französisch" zu werden,
unter den hier lebenden jungen Künstlern aller Na-
tionen, speziell jedoch der deutschen, in erschreckender
weise Schule macht, daß sich die Zahl derjenigen täglich
vermehrt, die in dem Drang, „französisch", neu, originell
zu sein, nach guten und üblen Mustern Unmögliches an
Form, Farbe und Sujets schaffen, es ist genug, daß eine
Unzahl junger Latente auf diese Art unaufhaltsam dem
materiellen Ruin verfallen muß (da die Leute ja ihre
Sachen verkaufen wollen), es ist genug, daß alles Gute, das
wir französischer Malerei zu danken haben, durch das Neue
der letzten Jahre sozusagen total entwertet worden ist. —
Aber daß diese Sachen nun auch noch in juryfreien Aus-
stellungen dem deutschen Publikum vorgesetzt werden sollen,
das erlaube ich mir für ein gefährliches und schlechtes System
zu halten, das keine guten Früchte bringen wird. Daher
müßte unser deutsches Publikum — verzeihen Sie das
harte Wort — davon verschont bleiben.
Glauben Sie es einem Menschen, der für Kunst fein
Lebtag ehrliches und manches materielle Interesse gezeigt
hat, daß es besser wäre, unser deutsches Publikum vor der
Wirkung des Dariser Zulon des Incköpenclunts zu
beschützen. Freilich gab's da auch gute Sachen. Wie aber
^eäakleur: heU^vag.
VIII. Jakrg. tzekt 42. s 2. ^ug. 1909.
Iuryfrele Kunstausstellungen
Die Frage der juryfreien Ausstellungen ist in
den letzten Wochen, nachdem die zahlreichen, in den
großen Ausstellungen zurückgewiesenen Arbeiten sich
in den Ateliers der Schöpfer wieder eingefunden
haben, sehr viel besprochen worden. Wir haben
von versuchen in München und Berlin, die praktische
Lösungen der Frage anstreben, berichtet. Es ist also
kein Wunder, daß man die Wünsche der Künstler-
schaft auch außerhalb der Fachkreise, im breiteren
Publikum zu erörtern begonnen hat.
Line solche „Stimme aus dem Publikum" ist
zu uns gedrungen, die auch von unseren Lesern
vernommen werden möchte. Wir tragen diesem
Wunsche Rechnung, indem wir die Zuschrift nach-
stehend abdrucken. Selbstverständlich gibt sie nicht
unsere eigene Meinung wieder, doch erscheint sie
uns beachtenswert, weil sie von einem, uns als wohl-
wollend bekannten Kunstkenner stammt, und vor-
allem, weil sie aus Paris kommt, wo man doch
schon seit einigen Zähren genügend Gelegenheit
hatte, in der Frage der juryfreien Ausstellungen im
Lalon cle8 luclepeuclants Erfahrungen zu
sammeln. Nun mögen die Künstler, die daran
Interesse haben, sich über das aktuelle Thema
unterhalten —- die Redaktion der „W. d. K." hält
vorläufig noch mit ihrem eigenen Urteil zurück.
Geehrter Lserr Redakteur!
Pier sende ich Ihnen eine „Stimme aus dem Pu-
blikum". Ich weiß sehr wohl, daß solche „Stimmen" nur
bei den wenigsten Fachleuten willkommen und wohlgelitten
find. Rührt sich einer aus dem Publikum, dem großen
Publikum, zu dessen Bequemlichkeit, Aufklärung und Bildung
rastlos industriell und künstlerisch gearbeitet und gerackert
wird, rührt sich einer und sagt seine Meinung über ein
Ding, so heißt es: „Pimmel, wenn nur dieses Laiengesindel
sein Maul halten wollte!" vollends aber, wenn von Kunst
die Rede ist. Dich lieber in die Zunge beißen, ehe Du vor
Fachleuten Deine Meinung sagst, besonders wenn Deine
Meinung eine „andere" ist. Die wenigsten Fachmenschen
lassen sich vom Publikum was dreinreden, Künstler aber
pflegen dies als persönliche Beleidigung*) aufzufassen.
Persönlich soll aber hier niemand beleidigt werden. Die
Ansicht, der zuliebe ich heute für einen Augenblick den
Kunstschriftsteller machen will, wird sicherlich vor: vielen
Ihrer Kollegen geteilt, freilich von der größer:: Mehrzahl
bekämpft. Aber das macht nichts. Daher der Name:
„Publikum".
Es handelt sich um die Wohl- und Wehfrage der
Künstlerschaft, besonders der jüngeren unter Ihnen, um
*) wir glauben daß der Herr Linsender sich hierin doch wohl zu
ungunsten der Künstler irrt, und hoffen, daß er durch die Künstler selbst
eines besseren belehrt werden wird, wenn sie in der nun entstehenden Dis-
g I ner Darlegungen -ins ira st st^io^erortern.
die Jurys rage. Wenn Sie's mir gestatten, will ich Ihnen
sagen, warum ich in dieser Frage das Wort zu ergreifen
mir erlaube. Ich lebe seit einigen Jahren als Privatmann
in Paris, dem Kunstzentrum der Welt. Wir sehen hier
alljährlich ca. s5 000 Bilder in ca. soo—s2O Ausstellungen,
großen und kleinen, offiziellen und nicht offiziellen, Sonder-,
Schul- und Gruppenausstellungen usw. usw. — was sag
ich, s5000? Mehr, viel mehr. Ich sage, wir, die wir
uns Ausstellungen ansehen, weil wir uns dafür interessieren.
Von den Ateliers sei hier nicht die Rede. Ich spreche von
dem Material, das man ausstellt, dem Publikum zur Be-
sichtigung, zur (natürlich stillen) Begutachtung und zum
Ankauf vorsetzt. Von einem Extrem ins andere stürzt man
das Publikum, und man muß guter Leute Kind sein, um
über diesem Bilderchaos nicht den Kopf zu verlieren, fein
Urteil und überhaupt noch weiter den Mut zu behalten,
Interesse für Kunst zu zeigen. Man muß die tausend Ab-
stufungen von guter Auffassung, von Kitsch und was da-
zwischen liegt, gesehen haben, um — nicht sein Urteil zu
bilden — sondern es ganz und gar zu verlieren. Ma::
muß, hier an der Tuelle, die tausenderlei Arten von Licht-,
Farben- und Formauffassungen verfolgen, um zu erfahren,
daß der Begriff „gut" oder „schlecht" überhaupt zu existieren
aufgehört hat; um für ewig darauf zu verzichten, sich zu-
rechtzufinden, was Kunst, speziell Malerei bedeutet; um
überhaupt den Glauben an das, was man bisher geglaubt
hat, den Glauben an seinen klaren verstand und schließlich
den eigenen Kopf zu verlieren.
Lesen Sie weiter, geehrter perr Redakteur, wenn Sie mein
Manuskript bisher noch nicht in den Papierkorb befördert
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Publikum bin und als solches L priori nicht zu den Ge-
scheiten zähle.
Ich lese in Ihren Blättern von der Gründung einer
Vereinigung Münchener Künstler, die unter anderem auch
die juryfreien Ausstellungen auf ihrem Programm
hat. Aber ich sage Ihnen, daß dieser Gedanke in
Deutschland auf das Energischste bekämpft werden sollte.
Ls ist genug, daß die Art, „französisch" zu werden,
unter den hier lebenden jungen Künstlern aller Na-
tionen, speziell jedoch der deutschen, in erschreckender
weise Schule macht, daß sich die Zahl derjenigen täglich
vermehrt, die in dem Drang, „französisch", neu, originell
zu sein, nach guten und üblen Mustern Unmögliches an
Form, Farbe und Sujets schaffen, es ist genug, daß eine
Unzahl junger Latente auf diese Art unaufhaltsam dem
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Sachen verkaufen wollen), es ist genug, daß alles Gute, das
wir französischer Malerei zu danken haben, durch das Neue
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Aber daß diese Sachen nun auch noch in juryfreien Aus-
stellungen dem deutschen Publikum vorgesetzt werden sollen,
das erlaube ich mir für ein gefährliches und schlechtes System
zu halten, das keine guten Früchte bringen wird. Daher
müßte unser deutsches Publikum — verzeihen Sie das
harte Wort — davon verschont bleiben.
Glauben Sie es einem Menschen, der für Kunst fein
Lebtag ehrliches und manches materielle Interesse gezeigt
hat, daß es besser wäre, unser deutsches Publikum vor der
Wirkung des Dariser Zulon des Incköpenclunts zu
beschützen. Freilich gab's da auch gute Sachen. Wie aber