Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0125
DOI Heft:
Heft 9 (30. November 1908)
DOI Artikel:Schmidkunz, Hans: Kunst und Publikum
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Organ für clie Interessen äer bilclenäen Künstler
8eäak1em: ^rilz I)eUv-ag.
VIII.Iabrg. I)est 9. 3o.Dovbr.19o8.
Kunst unct Publikum
Ls erscheint wohl als eine Vermessenheit, über das
Verhältnis zwischen der Kunst und ihrem Publi-
kum noch einmal zu sprechen, nachdem schon so vielerlei
darüber gesagt worden ist. Indessen mag es sich doch noch
lohnen, aus einige Punkte aufmerksam zu machen, die viel-
leicht bisher zu wenig beachtet worden sind.
An allgemeinem Interesse für die Kunst überhaupt
scheint es ja in Deutschland nicht zu fehlen. Ls fragt sich
aber fehr, ob dieses Interesse an Werken und Personen
der Kunst gerade auf dasjenige losgeht, was dabei eben
das eigentlich Künstlerische ist. Beobachtet man das Ver-
halten von Beschauern der Gemälde, von Debattierenden
über Kunst u. dgl. etwas näher, so stößt inan bald auf
eine merkwürdig beschränkte Unterscheidungsfähigkeit dessen,
was gerade künstlerisch ist, von irgend etwas anderem, das
alles Interesses wert sein mag, aber doch nicht künstle-
risch ist.
vor allein kommt dies zum Vorschein in einer Ver-
wechselung von Kunst einerseits, von pandwerk oder Technik
andererseits. Zahlreiche Personen, die ein Porträt bestellen
oder über das Porträtieren sprechen, betrachten den Künstler
wie einen Photographen oder wie einen Gipsgießer, der
von dein Objekt auf irgendeine mechanische weise einen
Abdruck od. dgl. Herstellen soll. Daß sich davon das
künstlerische porträtieren ganz wesentlich als der Ausdruck
der Art und weise unterscheidet, wie der Künstler sein
Objekt sieht und wiederzugeben strebt: diese entscheidende
Hauptsache wird gewöhnlich übersehen, und in der berühmten
Frage nach der Achnlichkeit geht die Würdigung der künstle-
rischen Arbeit zugrunde.
weiterhin kann man schon daraus und noch mehr
aus anderen Fällen einen ganz besonders elementaren
Mangel des Kunstverständnisses darin erblicken, daß
mit einer traurigen Regelmäßigkeit die Darstellung und das
Dargestellte miteinander verwechselt werden. Nicht nur
wird dem Schauspieler seine Rolle, statt vielmehr seine Be-
handlung der Rolle, zugerechnet, sondern auch gegenüber
Werken der bildenden Kunst kommen selbst Erfahrene oft
nur wenig über das rein gegenständliche Interesse hinaus
und finden z. B. zwei Werke einander wegen des gleichen
Sujets ganz ähnlich, während sie doch in der Hauptsache,
das ist in der künstlerischen Darstellungsweise, aus das
weiteste voneinander entfernt sein mögen.
Endlich bedürfen wir nicht nur einer größeren Ruhe
der Vertiefung in das Kunstwerk, eines liebevolleren Ent-
gegenkommens gegen den Künstler, als uns durch das
pastende der Gegenwart nahegelegt ist, sondern auch eines
stärkeren Gefühles für das, was dem Künstler aus seinem
eigenen Inneren kommt, im Gegensätze zu dem, was ihm
aus einem fremden Inneren heraus durch „Bestellungen",
„Ausgaben", „Pensenarbeit" zugemutet wird.
wertvoller als eine Fortsetzung dieser Klagen über
das Publikum dürften wohl einige Worte darüber sein, in
welcher weise sie am erfolgreichsten überwunden
werden können. Ganz nahe liegt der bekannte Rat, recht
viel in Galerien zu gehen und klassische Meisterwerke recht
eifrig zu betrachten. Außerdem scheint sich durch die Lektüre
von zusammenfassenden Büchern über Kunstgeschichte oder
von Biographien berühmter Künstler eine weitere Steige-
rung des Verständnisses erwarten zu lassen. Indessen be-
darf es nicht einmal vieler Erfahrung, daß man die Wert-
losigkeit und unter Umständen sogar Schädlichkeit dieser an-
scheinend so verdienstvollen Bemühungen einsieht. Um
beispielsweise von dem Durchwandern einer Galerie etwas
wirklich Fruchtbares zu haben, sind Voraussetzungen nötig;
und nach diesen fragt es sich eben. Bücher können dazu
recht gute Dienste tun; allein es bedarf ihrer richtigen Aus-
wahl, und da stehen wir wieder vor der alten Frage.
Die gutgemeinten Bestrebungen, sich am Kunstverständ-
nisse zu beteiligen, machen natürlich die bekannte Erscheinung
mit, daß die meisten Menschen dorthin laufen, wo ohnehin
bereits die meisten Menschen zugelaufen sind. Namentlich
bemerkt man dies dadurch, daß ein Gespräch über Kunst
gewöhnlich sofort aus die Namen von einigen mit Recht
oder mit Unrecht aktuell berühmten Künstlern führt. Aber
nicht nur Künstler kommen auf diese weise in die Mode:
auch Städten geht es ähnlich. Daß ein paar weltbekannte
Kunststädte diese und jene Massen von Kunstwerken bergen,,
hat sich jeder Beteiligte bald zu merken; daß aber außerdem,
und namentlich in unserem gerade lokal so reichhaltigen
Deutschland, zahlreiche sonstige Städte die ehrenwertesten
Kunsttraditionen aus alter Zeit und die beachtenswertesten
Anläufe aus neuester Zeit darbieten, wird um so häufiger
übersehen.
Dazu kommt nun der moderne Aufschwung nicht nur
des künstlerischen Tuns, sondern auch des künstlerischen
vermittelns. Eine Stadt nach der anderen wird aus die
Ideale eines künstlerischen Städtebaues aufmerksam, be-
teiligt sich an der Museumswelt, und was dergleichen mehr
ist. Namentlich treten den altberühmten Gemäldegalerien
andersartige Sammlungen zur Seite, welche über das ein-
seitige Interesse für Malerei hinaus die Künste umfassen-
der zu fördern und zu erschließen suchen. Nun fühlen wir
uns mehr als sonst herechtigt, den Spaziergängen von hoch-
zeitlichen und anderen Reisenden in Gemäldesammlungen
mit Recht viel Zweifel an dem wert einer solchen Zeit-
ausfüllung gegenüberzustellen, wir glauben sogar, daß das
einseitige Interesse des Publikums an der Malerei zu den
schwersten Schäden nicht nur des Kunstverständnisses, sondern
auch der Kunst selber gehört.
Eine kleine Schar von Kennern weiß längst besser
Bescheid. Auch außerhalb dieses engen Kreises kann man
sich an das erinnern, was wenigstens in früheren Zeiten
Liebhaber in der Beschäftigung mit Kupferstichen, Radie-
rungen, Holzschnitten u. dgl. geleistet haben. Dieses
Feld der „Graphischen Künste" erfüllt seine Verehrer
nicht nur mit einer Begeisterung, die sich nicht sobald
wiederfindet, sondern festigt in ihnen auch immer mehr die
Ueberzeugung, daß kaum ein Weg für das Eindringen ins
eigentlich Künstlerische so günstig ist, wie dieser.
In unserem Rahmen läßt sich natürlich nur an das
vertrauen daraus appellieren, daß diese Liebhaber trotz
ihres Anscheines von abnormer Einseitigkeit vielleicht doch
ein besseres Urteil darüber haben, als die vielen, denen
jenes Feld überhaupt unbekannt ist. Tatsächlich läßt sich
ja diese Erfahrung immer wieder gewinnen: erst wer selbst
beginnt, mit Blättern der sogenannten Schwarz-Weiß-Kunst
oder auch einer farbigen Griffelkunst sich näher zu be-
schäftigen, oder endlich gar, wer nach sachmäßigen An-
leitungen solche Kunstblätter zu sammeln beginnt — erst
dem erschließt sich die bildende Kunst in einer weise, die
vorher so gut wie gar nicht zu ahnen war.
8eäak1em: ^rilz I)eUv-ag.
VIII.Iabrg. I)est 9. 3o.Dovbr.19o8.
Kunst unct Publikum
Ls erscheint wohl als eine Vermessenheit, über das
Verhältnis zwischen der Kunst und ihrem Publi-
kum noch einmal zu sprechen, nachdem schon so vielerlei
darüber gesagt worden ist. Indessen mag es sich doch noch
lohnen, aus einige Punkte aufmerksam zu machen, die viel-
leicht bisher zu wenig beachtet worden sind.
An allgemeinem Interesse für die Kunst überhaupt
scheint es ja in Deutschland nicht zu fehlen. Ls fragt sich
aber fehr, ob dieses Interesse an Werken und Personen
der Kunst gerade auf dasjenige losgeht, was dabei eben
das eigentlich Künstlerische ist. Beobachtet man das Ver-
halten von Beschauern der Gemälde, von Debattierenden
über Kunst u. dgl. etwas näher, so stößt inan bald auf
eine merkwürdig beschränkte Unterscheidungsfähigkeit dessen,
was gerade künstlerisch ist, von irgend etwas anderem, das
alles Interesses wert sein mag, aber doch nicht künstle-
risch ist.
vor allein kommt dies zum Vorschein in einer Ver-
wechselung von Kunst einerseits, von pandwerk oder Technik
andererseits. Zahlreiche Personen, die ein Porträt bestellen
oder über das Porträtieren sprechen, betrachten den Künstler
wie einen Photographen oder wie einen Gipsgießer, der
von dein Objekt auf irgendeine mechanische weise einen
Abdruck od. dgl. Herstellen soll. Daß sich davon das
künstlerische porträtieren ganz wesentlich als der Ausdruck
der Art und weise unterscheidet, wie der Künstler sein
Objekt sieht und wiederzugeben strebt: diese entscheidende
Hauptsache wird gewöhnlich übersehen, und in der berühmten
Frage nach der Achnlichkeit geht die Würdigung der künstle-
rischen Arbeit zugrunde.
weiterhin kann man schon daraus und noch mehr
aus anderen Fällen einen ganz besonders elementaren
Mangel des Kunstverständnisses darin erblicken, daß
mit einer traurigen Regelmäßigkeit die Darstellung und das
Dargestellte miteinander verwechselt werden. Nicht nur
wird dem Schauspieler seine Rolle, statt vielmehr seine Be-
handlung der Rolle, zugerechnet, sondern auch gegenüber
Werken der bildenden Kunst kommen selbst Erfahrene oft
nur wenig über das rein gegenständliche Interesse hinaus
und finden z. B. zwei Werke einander wegen des gleichen
Sujets ganz ähnlich, während sie doch in der Hauptsache,
das ist in der künstlerischen Darstellungsweise, aus das
weiteste voneinander entfernt sein mögen.
Endlich bedürfen wir nicht nur einer größeren Ruhe
der Vertiefung in das Kunstwerk, eines liebevolleren Ent-
gegenkommens gegen den Künstler, als uns durch das
pastende der Gegenwart nahegelegt ist, sondern auch eines
stärkeren Gefühles für das, was dem Künstler aus seinem
eigenen Inneren kommt, im Gegensätze zu dem, was ihm
aus einem fremden Inneren heraus durch „Bestellungen",
„Ausgaben", „Pensenarbeit" zugemutet wird.
wertvoller als eine Fortsetzung dieser Klagen über
das Publikum dürften wohl einige Worte darüber sein, in
welcher weise sie am erfolgreichsten überwunden
werden können. Ganz nahe liegt der bekannte Rat, recht
viel in Galerien zu gehen und klassische Meisterwerke recht
eifrig zu betrachten. Außerdem scheint sich durch die Lektüre
von zusammenfassenden Büchern über Kunstgeschichte oder
von Biographien berühmter Künstler eine weitere Steige-
rung des Verständnisses erwarten zu lassen. Indessen be-
darf es nicht einmal vieler Erfahrung, daß man die Wert-
losigkeit und unter Umständen sogar Schädlichkeit dieser an-
scheinend so verdienstvollen Bemühungen einsieht. Um
beispielsweise von dem Durchwandern einer Galerie etwas
wirklich Fruchtbares zu haben, sind Voraussetzungen nötig;
und nach diesen fragt es sich eben. Bücher können dazu
recht gute Dienste tun; allein es bedarf ihrer richtigen Aus-
wahl, und da stehen wir wieder vor der alten Frage.
Die gutgemeinten Bestrebungen, sich am Kunstverständ-
nisse zu beteiligen, machen natürlich die bekannte Erscheinung
mit, daß die meisten Menschen dorthin laufen, wo ohnehin
bereits die meisten Menschen zugelaufen sind. Namentlich
bemerkt man dies dadurch, daß ein Gespräch über Kunst
gewöhnlich sofort aus die Namen von einigen mit Recht
oder mit Unrecht aktuell berühmten Künstlern führt. Aber
nicht nur Künstler kommen auf diese weise in die Mode:
auch Städten geht es ähnlich. Daß ein paar weltbekannte
Kunststädte diese und jene Massen von Kunstwerken bergen,,
hat sich jeder Beteiligte bald zu merken; daß aber außerdem,
und namentlich in unserem gerade lokal so reichhaltigen
Deutschland, zahlreiche sonstige Städte die ehrenwertesten
Kunsttraditionen aus alter Zeit und die beachtenswertesten
Anläufe aus neuester Zeit darbieten, wird um so häufiger
übersehen.
Dazu kommt nun der moderne Aufschwung nicht nur
des künstlerischen Tuns, sondern auch des künstlerischen
vermittelns. Eine Stadt nach der anderen wird aus die
Ideale eines künstlerischen Städtebaues aufmerksam, be-
teiligt sich an der Museumswelt, und was dergleichen mehr
ist. Namentlich treten den altberühmten Gemäldegalerien
andersartige Sammlungen zur Seite, welche über das ein-
seitige Interesse für Malerei hinaus die Künste umfassen-
der zu fördern und zu erschließen suchen. Nun fühlen wir
uns mehr als sonst herechtigt, den Spaziergängen von hoch-
zeitlichen und anderen Reisenden in Gemäldesammlungen
mit Recht viel Zweifel an dem wert einer solchen Zeit-
ausfüllung gegenüberzustellen, wir glauben sogar, daß das
einseitige Interesse des Publikums an der Malerei zu den
schwersten Schäden nicht nur des Kunstverständnisses, sondern
auch der Kunst selber gehört.
Eine kleine Schar von Kennern weiß längst besser
Bescheid. Auch außerhalb dieses engen Kreises kann man
sich an das erinnern, was wenigstens in früheren Zeiten
Liebhaber in der Beschäftigung mit Kupferstichen, Radie-
rungen, Holzschnitten u. dgl. geleistet haben. Dieses
Feld der „Graphischen Künste" erfüllt seine Verehrer
nicht nur mit einer Begeisterung, die sich nicht sobald
wiederfindet, sondern festigt in ihnen auch immer mehr die
Ueberzeugung, daß kaum ein Weg für das Eindringen ins
eigentlich Künstlerische so günstig ist, wie dieser.
In unserem Rahmen läßt sich natürlich nur an das
vertrauen daraus appellieren, daß diese Liebhaber trotz
ihres Anscheines von abnormer Einseitigkeit vielleicht doch
ein besseres Urteil darüber haben, als die vielen, denen
jenes Feld überhaupt unbekannt ist. Tatsächlich läßt sich
ja diese Erfahrung immer wieder gewinnen: erst wer selbst
beginnt, mit Blättern der sogenannten Schwarz-Weiß-Kunst
oder auch einer farbigen Griffelkunst sich näher zu be-
schäftigen, oder endlich gar, wer nach sachmäßigen An-
leitungen solche Kunstblätter zu sammeln beginnt — erst
dem erschließt sich die bildende Kunst in einer weise, die
vorher so gut wie gar nicht zu ahnen war.