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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

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Heft 46 (13. September 1909)
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Mielich, Alphons Leopold: Juryfreie Kunstausstellungen, 5
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Was versteht das Gesetz unter "Werk der bildenden Kunst" und unter Nachbildung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0644

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636

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 46.

Und sie müssen geschaffen werden, trotz allem, trotz
voraussichtlicher Blamagen und ähnlichem, trotz War-
nung und Mahnung. Denn nur sie können der Boden
sein, wo sich neue werte entwickeln. Daß sie anfänglich
mitunter schauderhaft aussehen werden, ist ja selbstver-
ständlich.
Auch der Embryo ist für viele ein abscheulicher An-
blick. Der verständig weiterblickende sieht aber seine

Lntwicklungsmöglichkeiten und schätzt ihn dementsprechend
ein.
Für das bisher Gesagte eingehendere Erläuterung und
Begründung zu geben, würde zu weit, jedenfalls weit über
den Rahmen der „w. d. K.", führen. Ls muß genügen.
Jedenfalls wird aber schon die nahe Zukunft erweisen, daß
juryfreie Ausstellungen eine unabweisbare Tatsache sind.
I.. lMelicll-wien.

Mas verliebt clas Gesetz unter „Merk Äer
bilcienÄen Kunst" uncl unter NackbUckung?

Prinzipiell wichtige Gesichtspunkte für die Auslegung
des Urheberrechts an Werken der bildenden Kunst hat kürz-
lich der I. Zivilsenat des Reichsgerichts aufgestellt. Aller-
dings handelt es sich hierbei in erster Linie noch um das
alte Urhebergesetz an Werken bildender Künste vom
9. Januar ^876, das mit dem t- Juli t907 durch das
Gesetz vom 9. Januar t9O7 betr. das Urheberrecht an
Werken der bildenden Künste und der Photographie außer
Kraft getreten ist. Jedoch stimmen die hier in Frage
kommenden Gesetzesstellen inhaltlich überein, auch ist
durch Uebergangsbestimmungen die Geltung des alten
Gesetzes nicht völlig ausgeschlossen.
Die Kunstgießerei Jaboeuf 6c Rouard in Paris
hatte gegen die Firma Eduard Lachmann in Berlin
wegen Verletzung des von ihr erworbenen Urheberrechts
an einer von dem französischen Bildhauer Fulconis
t878 geschaffenen Bronzestatue „Fortune" geklagt. Das
Landgericht I zu Berlin erkannte antragsgemäß auf
Untersagung fernerer Verletzungen, Einziehung der Nach-
ahmungsexemplare und Vorrichtungen, sowie auf Rech-
nungslegung über den gezogenen Gewinn, während das
Kammergericht Berlin die Klage abwies. Auf die
Revision der Firma Jaboeuf 6c Rouard hob das Reichs-
gericht das Urteil des Kammergerichts auf und verwies
die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung
an die Vorinstanz zurück. Die Lntscheidungsgründe be-
sagen in der Hauptsache das Folgende:
„Das Kammergericht ist der Ansicht, daß die ,Fortuna'
des Fulconis als bloße Nachbildung des bekannten
.Fliegenden Merkurs' des Johann von Bologna
nicht die Bezeichnung eines Kunstwerkes im Sinne
des Gesetzes vom 9. Januar x876 verdiene. Zweitens
verneint es die Nachbildung dieser .Fortuna' durch die
Figur der Beklagten. Beide Lntscheidungsgründe sind durch
Rechtsirrtum beeinflußt, in ersterer Beziehung muß sogar
das Gegenteil für zutreffend erachtet werden.
Damit ein Werk eines Künstlers, das sich an ein
früheres Kunstwerk anlehnt, den Gesetzesbegriff .Werk der
bildenden Kunst' erfülle, verlangt das Kammergericht Ori-
ginalität; etwas Neues und Eigentümliches müsse
hervorgebracht sein, versteht man dies dahin, daß das
Neue zum Ueberraschenden gesteigert sein müsse, so hat der
Satz im Rechte keinen Boden. Jede Gestaltung, in
der ein eigenes künstlerisches Schaffen zutage
tritt, jede individuelle Formgebung genügt. In
dem hier zu entscheidenden Fall unterliegt die Verwirklichung
dieses Erfordernisses keinem Zweifel. Die von den Par-
teien in zweiter Instanz überreichten Abgüsse haben auch
dem Revisionsgericht vorgelegen. Darnach stellt die Statue
des Fulconis eine nackte weibliche Figur mit Schleier und
Füllhorn dar, die mit dem rechten Fuß auf einem Rade
schwebt, während der linke Unterschenkel wagerecht gebogen,
der linke Unterarm senkrecht in die Höhe gehoben ist. In
den Einzelheiten zeigt sie künstlerisch feine Modellierung
und Durchbildung. Es kann daher keine Rede davon sein,
daß ihr die Eigenschaft eines Kunstwerks im Hinblick auf
die klassische Statue Johanns von Bologna streitig gemacht
werden könnte. Aber noch etwas weiteres geht aus diesem

Sachverhalt unmittelbar hervor. Die .Fortuna' des Ful-
conis ist nicht nur ein Kunstwerk: sie muß auch als un-
abhängiges Kunstwerk anerkannt werden. Die künst-
lerische Aufgabe, einen weiblichen Körper in bestimmter
Bewegung darzustellen, ist von der Aufgabe der Darstellung
eines männlichen Körpers in gleicher Bewegung grund-
verschieden. Sind beide Aufgaben gelöst, so sind zwei
Kunstwerke geschaffen, von denen im Rechtssinn keines sich
zum anderen wie das Original zur Nachbildung verhält,
wie der ß H des Gesetzes vom 9. Januar ^876 es formu-
liert, hat Fulconis ein neues Werk — eine eigentümliche
Schöpfung, vgl. das Gesetz vom 9. Januar t907 K —
unter freier Benutzung des älteren Werkes hervor-
gebracht.
Bei der Frage, ob die Beklagte die Figur des Fulconis
nachgebildet habe, folgt das Kammergericht völlig dem von
ihm eingebrachten Gutachten. Es glaubt eine Ähnlichkeit
zwischen den beiden Figuren nur insofern konstatieren zu
können, als beide in Anlehnung an denselben Merkur ent-
standen seien. Jedenfalls lehne sich die Figur des Be-
klagten enger an diese Vorlage an, als an die französische
Figur.
Nun muß freilich zugegeben werden, daß die Be-
klagte von den charakteristischen Merkmalen des .Merkur'
mehr übernommen hat, als Fulconis es tat. So hat sie
den Kindskopf mit dem Windstoß, der den .Merkur' trägt,
beibehalten; selbst in anatomischer Hinsicht sind — sehr
zum Schaden des Werkes — gewisse Eigenheiten des männ-
lichen Körpers bei ihrer .Fortuna' bemerkbar. Aber es
wäre rechtsirrtümlich, wollte man annehmen, daß hierdurch
eine Nachbildung der .Fortuna' des Fulconis ausgeschlossen
sei oder ihre Bedeutung verloren habe. Auch die ver-
schlechterte Wiedergabe eines Kunstwerkes muß
immer als Nachbildung beurteilt werden, und die
Annahme, daß ein solcher Tatbestand vorliege, wird nicht
dadurch gehindert, daß zugleich oder vorzugsweise ein drittes
Kunstwerk benutzt worden ist. Nur darauf kommt es
an, ob dersxätereUrheber, ohne zugleich^ein neues
Kunstwerk zu schassen, wesentliche Hügedes
früheren Werkes sich angeeignet hat. Die Frage
wird oft nicht ohne eingehende Sachuntersuchung zu ent-
scheiden sein/ Im vorliegenden Fall genügt der unmittel-
bare Eindruck, den die Abgüsse Hervorrufen, um sie der
Beantwortung näher zu führen. In der Auswahl des
weiblichen Typus, in den Massen des Körpers,
im Spiel der Muskeln usw. stimmen beide ,For-
tuna'-Statuen aufs auffallendste überein, was
andererseits die Abweichungen der jüngeren Statue
von der älteren betrifft, so entbehren sie, und zwar auch
nach dem Gutachten des Sachverständigen, der künstle-
rischen Rechtfertigung; sie sind auch nicht so bedeut-
sam, wie es verlangt werden muß, soll vor: einer Neu-
schöpfung gesprochen werden. Trotz alledem würde eine
Nachbildung nicht gegeben sein, wenn die Beklagte
worüber das Kammergericht nichts festgestellt hat — das
Kunstwerk des Fulconis überhaupt nicht kannte. Hat
sie es aber gekannt, so muß umgekehrt die Nachbildung
auch für erwiesen angesehen werden."
 
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