Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0307
DOI Heft:
Heft 22 (1. März 1909)
DOI Artikel:Schmidkunz, Hans: Gerichtsvollzieher als künstlerischer Sachverständiger?
DOI Artikel:Pater Jucundus: Die Einschätzung des Künstlers
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0307
Die Werkstatt der Kunst
Organ für ckie Interessen eter bilclenüen Künstler
Redakteur: ^ritz heUv-ag.
VIII. Jakrg. Äk tzekt 22. 1. März 1909.
Gerichtsvollzieher als künstlerischer Sachverständiger?
Vor kurzem erfuhr ich bei einem mir befreun-
deten Künstler Erlebnisse, die zwar etwas typisch sein
mögen, doch vielleicht gerade deswegen endlich einmal
oder wieder einmal die Geffentlichkeit beschäftigen
sollen. Der Künstler, Träger eines sehr geachteten
Namens und mehrfacher Ehrungen von Ausstellungen
her usw., im Besitze von Staatsaufträgen und auch
sonst keineswegs erfolglos, führt den Kampf um das
materielle und ideelle Dasein seit längerem in einer
getreulichen und sachlich hochstehenden Weise. Das
dadurch noch lange nicht ausgeschlossene Mißverhält-
nis zwischen Bedarf und Erwerb brachte ihn aller-
dings mit der Zeit bekannten Konflikten mit ma-
terielleren Mitmenschen nahe. Unmittelbar nachdem
er die Forderung eines Lieferanten durch eine Teil-
zahlung gedeckt, erschien in dessen Auftrag eines
schönen Morgens der vielberufene Vollzieher irdischer
Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit im Heime des Künst-
lers und begann sein wohlbekanntes Walten.
Dieses gipfelte darin, daß einige der beim
Künstler lagernden eigenen Werke in das Pfändungs-
protokoll aufgenommen wurden. Es handelte sich
um Kunstleistungen, deren Material- und Ausführungs-
wert im einen Fall etwa HOOO Mk., im anderen Fall
eine noch höhere Summe beträgt — noch unge-
rechnet die auf dem Markte zu einigen Tausendern
anzusetzende künstlerische Arbeit. Diese Werke wurden
nun jedes mit der Summe von — 50, in Worten:
fünfzig, Reichsmark in das Protokoll aufgenommen
und nach einem bescheiden entrüsteten Proteste des
Künstlers in entgegenkommender Weise zu je 60, in
Worten sechzig Reichsmark angesetzt!
Unmittelbar nach der Erholung von diesem Er-
lebnis, die dem Künstler durch private Bemühungen
gelang, wendete er sich sowohl an das zuständige
Amtsgericht wie an den (preußischen) Kultus-
minister mit Protest und Anfrage, ob eine solche
Behandlung eines Künstlers und seiner Werke
wirklich im Sinne der gegenwärtigen Gesetze liege,
ob also Produkte in dem ohne weiteres festzustellen-
den Werte von mehreren tausend Mark in die Ge-
fahr kommen sollen, zu einem Zwanzigstel oder
einem noch geringeren Bruchteil ihres rein mate-
riellen wertes dem Künstler aus der Hand zu
gleiten. Insbesondere wurde dabei auf die doch
ohne weiteres selbstverständliche Notwendigkeit hin-
gewiesen, dem Gerichtsvollzieher, der von sich aus
allerdings mit Recht die Auffassung, als sei er Sach-
verständiger der Kunst, ablehnt, bei einer solchen
Prozedur einen künstlerischen Sachverständigen
mitzugeben. Zwar würde eine solche Beigabe die
dem Schuldner insgesamt zur Last fallenden Kosten
noch erhöhen; allein wenn es schon so weit kommt,
dann würde wohl auch der leidende Künstler diese
Mehrbelastung zugunsten seines Berufes williger
tragen. — Die Antwort jenes Amtsgerichtes ergab
den Bescheid, daß der Gerichtsvollzieher vor der
Versteigerung einen Sachverständigen zuzuziehen
habe; womit also indirekt sein Recht einer beliebigen
Bewertung im Protokoll aufrecht bleibt.
Uns Miterlebenden solcher Schicksale aber er-
wächst die dringende Pflicht, nicht nur die Künstler,
sondern auch uns Kunstfreunde usw. vor einer solchen
mehr als barbarischen Behandlung künstlerischer
Werte, also hiermit vor einer tiefen Schädigung
desjenigen Nationalbesitzes, den nun einmal die
heimische Kunst und Künstlerschaft bedeutet, zu
schützen. Den Zuristen verbleibe die Fassung all
dessen in legale Formen und Formeln.
Vr. Hans LodnatälluirL-Berlin-Halensee.
Oie Einschätzung cles Künstlers
Zn Magdeburg z. B. scheint es Kritiker zu geben —
d. h. Leute, die so und soviel Zeilen über Kunstwerke
pflichtgemäß schreiben — die sich einen Künstler nur wie
einen Engel vorstellen können. Diese Engel fliegen mit
seligem Lächeln und unsagbarer Bedürfnislosigkeit über dem
irdischen Jammertals daher, pinseln bisweilen in Hemds-
ärmeln auf eigens dazu vom Himmel gelieferten Lein-
wänden in Goldrahmen „furioso drauf los" und lassen
selbige Leinwände dann aus den himmlischen Höhen, wo
sie den Heimatsschein besitzen, in Kunstvereins- und Aus-
stellungssäle herabfallen, wo sie zur Wonne oder auch zum
Mißvergnügen des Kritikers und seines Publikums eine
Zeitlang an wänden hängen. Dann verschwinden sie
wieder in besagten Höhen. Daß nun unter diesen Engels-
bildern Preise verzeichnet stehen — Preise in reichsdeutschem,
also gar nicht himmlischem Münzfuß — muß natürlich die
harmlosen Kritiker schnöde verletzen; indem solche Preise
sie unsanft auf die Erde zurückbefördern, wo man sowohl
Brot als Leinwand und Farbe mit kuranter Münze auf-
wiegen muß. Und dann jammern die idealistischen Kri-
tiker in ihren -— bar honorierten — Spalten über die un-
schönen Allüren dieser Künstler, die sich augenscheinlich ihre
Heimatsberechtigung in den ätherischen Höhen durch so
offenherzige Enthüllung ihrer schamlosen Begierden verscherzt
Organ für ckie Interessen eter bilclenüen Künstler
Redakteur: ^ritz heUv-ag.
VIII. Jakrg. Äk tzekt 22. 1. März 1909.
Gerichtsvollzieher als künstlerischer Sachverständiger?
Vor kurzem erfuhr ich bei einem mir befreun-
deten Künstler Erlebnisse, die zwar etwas typisch sein
mögen, doch vielleicht gerade deswegen endlich einmal
oder wieder einmal die Geffentlichkeit beschäftigen
sollen. Der Künstler, Träger eines sehr geachteten
Namens und mehrfacher Ehrungen von Ausstellungen
her usw., im Besitze von Staatsaufträgen und auch
sonst keineswegs erfolglos, führt den Kampf um das
materielle und ideelle Dasein seit längerem in einer
getreulichen und sachlich hochstehenden Weise. Das
dadurch noch lange nicht ausgeschlossene Mißverhält-
nis zwischen Bedarf und Erwerb brachte ihn aller-
dings mit der Zeit bekannten Konflikten mit ma-
terielleren Mitmenschen nahe. Unmittelbar nachdem
er die Forderung eines Lieferanten durch eine Teil-
zahlung gedeckt, erschien in dessen Auftrag eines
schönen Morgens der vielberufene Vollzieher irdischer
Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit im Heime des Künst-
lers und begann sein wohlbekanntes Walten.
Dieses gipfelte darin, daß einige der beim
Künstler lagernden eigenen Werke in das Pfändungs-
protokoll aufgenommen wurden. Es handelte sich
um Kunstleistungen, deren Material- und Ausführungs-
wert im einen Fall etwa HOOO Mk., im anderen Fall
eine noch höhere Summe beträgt — noch unge-
rechnet die auf dem Markte zu einigen Tausendern
anzusetzende künstlerische Arbeit. Diese Werke wurden
nun jedes mit der Summe von — 50, in Worten:
fünfzig, Reichsmark in das Protokoll aufgenommen
und nach einem bescheiden entrüsteten Proteste des
Künstlers in entgegenkommender Weise zu je 60, in
Worten sechzig Reichsmark angesetzt!
Unmittelbar nach der Erholung von diesem Er-
lebnis, die dem Künstler durch private Bemühungen
gelang, wendete er sich sowohl an das zuständige
Amtsgericht wie an den (preußischen) Kultus-
minister mit Protest und Anfrage, ob eine solche
Behandlung eines Künstlers und seiner Werke
wirklich im Sinne der gegenwärtigen Gesetze liege,
ob also Produkte in dem ohne weiteres festzustellen-
den Werte von mehreren tausend Mark in die Ge-
fahr kommen sollen, zu einem Zwanzigstel oder
einem noch geringeren Bruchteil ihres rein mate-
riellen wertes dem Künstler aus der Hand zu
gleiten. Insbesondere wurde dabei auf die doch
ohne weiteres selbstverständliche Notwendigkeit hin-
gewiesen, dem Gerichtsvollzieher, der von sich aus
allerdings mit Recht die Auffassung, als sei er Sach-
verständiger der Kunst, ablehnt, bei einer solchen
Prozedur einen künstlerischen Sachverständigen
mitzugeben. Zwar würde eine solche Beigabe die
dem Schuldner insgesamt zur Last fallenden Kosten
noch erhöhen; allein wenn es schon so weit kommt,
dann würde wohl auch der leidende Künstler diese
Mehrbelastung zugunsten seines Berufes williger
tragen. — Die Antwort jenes Amtsgerichtes ergab
den Bescheid, daß der Gerichtsvollzieher vor der
Versteigerung einen Sachverständigen zuzuziehen
habe; womit also indirekt sein Recht einer beliebigen
Bewertung im Protokoll aufrecht bleibt.
Uns Miterlebenden solcher Schicksale aber er-
wächst die dringende Pflicht, nicht nur die Künstler,
sondern auch uns Kunstfreunde usw. vor einer solchen
mehr als barbarischen Behandlung künstlerischer
Werte, also hiermit vor einer tiefen Schädigung
desjenigen Nationalbesitzes, den nun einmal die
heimische Kunst und Künstlerschaft bedeutet, zu
schützen. Den Zuristen verbleibe die Fassung all
dessen in legale Formen und Formeln.
Vr. Hans LodnatälluirL-Berlin-Halensee.
Oie Einschätzung cles Künstlers
Zn Magdeburg z. B. scheint es Kritiker zu geben —
d. h. Leute, die so und soviel Zeilen über Kunstwerke
pflichtgemäß schreiben — die sich einen Künstler nur wie
einen Engel vorstellen können. Diese Engel fliegen mit
seligem Lächeln und unsagbarer Bedürfnislosigkeit über dem
irdischen Jammertals daher, pinseln bisweilen in Hemds-
ärmeln auf eigens dazu vom Himmel gelieferten Lein-
wänden in Goldrahmen „furioso drauf los" und lassen
selbige Leinwände dann aus den himmlischen Höhen, wo
sie den Heimatsschein besitzen, in Kunstvereins- und Aus-
stellungssäle herabfallen, wo sie zur Wonne oder auch zum
Mißvergnügen des Kritikers und seines Publikums eine
Zeitlang an wänden hängen. Dann verschwinden sie
wieder in besagten Höhen. Daß nun unter diesen Engels-
bildern Preise verzeichnet stehen — Preise in reichsdeutschem,
also gar nicht himmlischem Münzfuß — muß natürlich die
harmlosen Kritiker schnöde verletzen; indem solche Preise
sie unsanft auf die Erde zurückbefördern, wo man sowohl
Brot als Leinwand und Farbe mit kuranter Münze auf-
wiegen muß. Und dann jammern die idealistischen Kri-
tiker in ihren -— bar honorierten — Spalten über die un-
schönen Allüren dieser Künstler, die sich augenscheinlich ihre
Heimatsberechtigung in den ätherischen Höhen durch so
offenherzige Enthüllung ihrer schamlosen Begierden verscherzt