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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

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Heft 35 (31. Mai 1909)
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Reimérdes, Ernst Edgar: Berliner Künstlerateliers
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0489

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Organ für ctie Interessen cler bilclenäen Künstler


Redakteur: sritz heU^ag.

VIII. Jabrg. k)ekt 3Z. * 31. Mai 1909.

Verlmer RünstisrateUers

während in Kunststädten wie Karlsruhe und Stuttgart
bereits seit Jahren sog. Atelierhäuser existieren, in welchen
den Künstlern sür geringen Preis wohn- und Arbeitsräume
zur Verfügung stehen, ist es bei uns in Berlin, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, beim guten Willen geblieben, und
cs hat den Anschein, als ob die ganze Bewegung im Sande
verlaufen soll. Line Anregung, sich wieder einmal mit
diesen Dingen zu beschäftigen, geht von Düsseldorf aus, wo
im Sommer des verstossenen Jahres das unter Mitwirkung
der dortigen Stadtverwaltung von einer aus Künstlern und
Kunstfreunden bestehenden G. m. b. p. errichtete erste Atelier-
haus seiner Bestimmung übergeben worden ist. Auf einem
von der Stadt kostenlos überlassenen, schön gelegenen Grund-
stück erhebt sich das von Prof. Kleesattel entworfene, mit
einem Kostenaufwand von nur tsoooo Nk. hergestellte, ge-
schmackvolle Gebäude, welches 2H Ateliers und 20 Wohn-
räume enthält, die binnen kurzen: alle vermietet waren.
Die Ateliers sind hell und geräumig, sie haben ebenso wie
die mit Balkons versehenen nach Süden gelegenen Wohn-
räume Dampfheizung. Im parterre befindet sich ein großer
Aktsaal zur gemeinsamen Benutzung. Der Nietspreis für
diese Ateliers beträgt 65 Nk. monatlich; ein Wohnraum
inkl. peizung kostet nur 8—9 Nk. Schon der erste Rechnungs-
bericht hat ein befriedigendes Resultat ergeben, danach ist
in Zukunft nicht nur eine entsprechende Verzinsung des
Baukapitals usw., sondern sogar ein Ueberschuß zu erwarten,
so daß man wohl bald zur Errichtung eines zweiten Atelier-
hauses schreiten wird.
Wie anders sieht es in Berlin aus! Obwohl sich in
der Reichshauptstadt eine von Jahr zu Jahr wachsende An-
zahl junger Naler und Bildhauer zu Studienzwecken auf-
hält, ist hier doch von maßgebender Seite aus bislang recht
wenig zur Lösung der Atelierfrage geschehen. Die, soviel
mir bekannt, älteste Begründung dieser Art ist das in der
Fasanenstraße zz zu Lharlottenburg gelegene Künstlerhaus,
das dem Baumeister Sehring seine Entstehung verdankt.
Obwohl das Gebäude längst in andere pände übergcgangen
ist (es gehört dem reichen Grafen Schaffgottsch) und heute
weniger idealen als spekulativen Zwecken dient — die
Nieten sind dort rapide in die pöhe gegangen und nicht
mehr billig zu nennen —, so kann man dieses Unternehmen
doch immerhin in gewissem Sinne noch als vorbildlich hin-
stellen, ebenfalls das Atelierhaus am Bahnhof Tiergarten,
Siegmundshof tl- Weitere versuche, billige Ateliers zu
schaffen, hat man noch in Friedenau gemacht, damit sind
wir aber auch schon am Ende angelangt, denn das Uebrige
ist von: Uebel.
Die Räume, welche die Berliner Pausbesitzer unter dem
hochtrabenden Namen „Künstleratelier" anbieten, sind
meistenteils ehemalige Rumpelkammern und Wäscheböden,
die ihrem ursprünglichen, durchaus vernunftgemäße:: Zweck
entzogen worden find, um möglichst viel Geld einzubringen.
Nan sehe sich diese ungemütlichen, menschenunwürdigen
Stätten einmal in der Nähe an, und inan wird empört
sein bei dem Gedanken, daß hier junge Künstler wohnen
und schaffen sollen. In: vierten oder gar fünsten Stock
des Pauses gelegen, lassen diese Bodenkammern, die man
durch Einbau eines großen Fensters in „Ateliers" umge-
wandelt hat, meistens alles vermissen, was man von einem
derartigen Zwecken dienenden Raun: verlangen kann. Da
sie sich direkt unter dem Dach befinden, so weisen sie im

Sommer eine tropische pitze ans, dafür herrscht dort im
Winter eine geradezu sibirische Kälte, die allen pe:zversuche:r
hartnäckigen widerstand leistet. Wenn Dampfheizung vor-
handen ist, so läßt sich der Winteraufenthalt in diesen
Ateliers noch einigermaßen ertragen, fehlt aber, wie cs
häufig vorkommt, eine folche Einrichtung, dann ist alle
Mühe, den Raum zu erwärmen, vergebens, da die pitze
vom Ofen ans durch das Abzugsrohr direkt ins Freie ge-
führt wird. Nan heizt in dem Falle fozusagen für die
Straße.-Ich kenne Ateliers, deren Nieter täglich für
t Nk. Feuerung und mehr verbraucht haben (es wurde
auch nachts geheizt!) und trotzdem jämmerlich frieren
mußten, obwohl der Ofenring glühend rot war. Betreiben
nun die glücklichen Inhaber solcher Ateliers zufällig die
edle Bildhauerkunst, so passiert es ihnen häufig, daß über
Nacht die halbfertigen Arbeiten aus Ton einfrieren; was
das heißt, weiß nur ein Bildhauer zu beurteilen: die Ver-
nichtung wochenlanger Arbeit, wenigstens in vielen Fällen.
Zu dem soeben geschilderten Uebelstand gesellt sich häufig
noch der, daß im Atelier nicht einmal Wasserleitung vor-
handen ist und das Wasser erst eine oder sogar einige
Etagen tiefer geholt werden muß. Es kommt auch vor,
daß der Künstler, um zur Wasserleitung zn gelangen, erst
mehrere Bodenräume zu durchwandern hat, namentlich am
Abend eine recht angenehme Sache, wenn dort oben eine
eisige Luft ist, der Wind an den Dachsparren rüttelt und
die Ziegel klappern. — — Aehnlich verhält es sich auch
mit den Toiletten, die oft in einem entlegenen, schwer zu
erreichenden Winkel des Bodens hinter Bretterverschlägen
angebracht sind. Es zeugt im allgemeinen von der kräftigen
Konstitution der Künstler, daß noch keiner von ihnen dort,
an verschwiegener Stätte, erfroren aufgefunden worden ist;
in einem kalten Winter, wie dem diesjährigen, wäre das
durchaus kein Wunder. . . . würde ein Pauswirt es wohl
wagen, einem pandwerker einen derartig primitiven Raum
wie solch Bodenatelier als Werkstatt für teueres Geld an-
zubieten? Ich glaube kau:::! wie kann er also dann
einem künstlerisch schaffenden Nenschen zumuten, dort zu
Hausen? . . . Einzeln findet man natürlich rechtlich denkende
Wirte, die ihre „Bodenkammerateliers" in Anbetracht ihres
eigentlichen Zweckes billig vermieten, aber diese „idealen"
Erscheinungen sind selten wie Gold im parz.
An dieser Stelle möchte ich darauf Hinweisen, daß diese
Bodenateliers eigentlich gar nicht bewohnt werden dürfen,
d. h. die Baupolizei verbietet aus sauitären Gründen dem
Nieter den nächtlichen Aufenthalt in den Räumen, und
darin hat sie im Grunde genommen recht. Zum Glück für
die häufig pekuniär nicht gut gestellten Künstler wird aber
diese Vorschrift nicht streng gehandhabt, sonst wäre mancher
gezwungen, sich außer dem teueren Atelier noch ein Zimmer
zu mieten.
Manchmal fehlt es in den Ateliers sogar am unent-
behrlichen Oberlicht. Entweder sind die Fenster zu klein
oder falsch angebracht, so daß überhaupt nicht mehr von
Oberlicht, wohl aber bisweilen geradezu von „Unterlicht"
gesprochen werden kann. Ich hörte von Ateliers, wo das
Fenster direkt unten am Fußboden anfängt, um in Mannes-
höhe plötzlich aufzuhören, und dann wundern sich die perren
pausbesitzer, daß ihre elenden Buden andauernd leer stehen.
— Bisweilen tragen auch wohl die Architekten die Schuld
an der schlechten Beschaffenheit der Ateliers, und das ist recht
 
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