Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0237
DOI Heft:
Heft 17 (25. Januar 1909)
DOI Artikel:Schmidkunz, Hans: Städtebau
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Die Werkstatt der Kunst
Organ für ckie Interessen äer biläenclen Künstler
I^eäaktem: ^ritz tzell^vag. VIII. Jabrg. tzekt s LZ.Ianuar 1909.
Städtebau
Klagen über Zurücksetzung der künstlerischen Persönlichkeit sind unsere stete Sorge;
und sobald irgendein neues Gebiet für die Kunst erschlossen wird, haben wir auch gleich wieder mit
diesem Uebel zu tun. Lin solches neues Gebiet ist der künstlerische Städtebau. Unter ihm ist nicht
die Architektur des einzelnen Gebäudes und nicht nur der in wagrechter Richtung gehende Anblick von
Baugruppen usw., also das gewöhnlich sogenannte „Stadtbild", zu verstehen, sondern auch und vor-
nehmlich die Bebauung des städtischen Grundes. Ls handelt sich also um die Verteilung von bebautem
und unbebautem Boden, insbesondere um die Verteilung der Gebäude und Baublöcke einerseits, der
Straßen, Plätze usw. andererseits.
Obwohl es heute bereits möglich ist, eine Geschichte des Städtebaues zu schreiben, vielleicht
sogar zurückgreisend bis in die Anfänge des städtischen Lebens überhaupt, so haben wir doch eine um-
fassende bewußte Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand, ein praktisches und theoretisches Fördern der
Sache, erst seit einigen Zähren zu verzeichnen, wer sich damit einigermaßen beschäftigt, dem klingt der
Name Tamillo Sitte wohl am klangreichsten, mag auch mancher mit seinen scharfen Zuspitzungen der
Sache nicht ohne weiteres mitgehen, wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, schon vor längerer Zeit die
Mühen kennen gelernt hat, die es namentlich damals kostete, für dieses eigentümliche und auch an Ver-
wechselungen reiche Gebiet einzutreten, der wird sich um so mehr freuen, daß wir fetzt seit 5 bis 6 Zähren
auch einen journalistischen Mittelpunkt für diese Bestrebungen besitzen. Zm Zahre fslOZ wurde von dem
Genannten und von Theodor Goecke die Zeitschrift „Der Städtebau" gegründet (Berlin, L. wasmuth).
Der Beginn mit Zanuar fsiOH wurde ihr getrübt durch den kurz vorher erfolgten Tod Sittes. Trotz
dieser schweren Einbuße hat sich das Blatt bis zum fetzigen 6. Zahrgang als eine wirkliche Zentralstelle
für die Bestrebungen auf seinem Gebiet erwiesen und dient in gerechter Verteilung nicht nur den
künstlerischen, sondern auch den technischen, hygienischen und wirtschaftlichen Znteressen, um die es sich
dabei handelt. Sie will also einer neuen, auf volkswirtschaftlichen und gesundheitlichen, sozialen Grund-
sätzen sich aufbauenden Städtcbaukunst die Wege ebnen.
Aber schon stellt sich auch wieder dasselbe ein, von dem wir im Anfänge gesprochen hatten,
weit und breit werden die Bestrebungen des modernen Städtebaues gestört durch eine Verdrängung
des eigentlich Künstlerischen. Auch die Bebauungsweise einer Stadt soll „der betreffende Ausdruck
innerlichen Erlebens, notwendiger Betätigung der arbeitenden, genießenden und ruhenden Großstadt sein".
So der Herausgeber der Zeitschrift, Theodor Goecke, in dem Linleitungsaufsatze des 6. Zahrganges.
Auf diese Ausdrucksästhetik, nicht etwa auf irgendeine Ornamentsästhetik, gründet Goecke seine künst-
lerischen Ansprüche. „Ls handelt sich dabei um kein äußerliches Beiwerk, das auch fortfallen könnte,
um keinen überflüssigen Ausputz, der sich beliebig durch anderes ersetzen ließe"; und deswegen sollten
all die Einrichtungen einer modernen Stadt von der künstlerischen Zdee getragen und durchdrungen werden.
Voraussetzung, praktische Voraussetzung für diese künstlerische Zdee sind allerdings verkehrs-
technische und volksgesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forderungen, nicht aber etwas neben
der baukünstlerischen Forderung Gleichwertiges. So ist die künstlerische Bedeutung des Städtebaues gerecht-
fertigt und doch die ganze Fülle seiner einzelnen Aufgaben an die richtige Stelle gerückt.
An die Verkennung dieser Sachlage, also an die Unterdrückung des Künstlerischen im Städtebau
reihen sich noch weitere Momente, welche wiederum Gelegenheit zu unseren eingangs erwähnten Sorgen
geben. Zunächst sind dies behördliche Bauordnungen, welche noch ohne alle Ahnung der wesentlichen
Ziele des Städtebaues zustande kommen; sodann aber, jedoch in geringerem Maß, der Mangel an solchen
behördlichen Baubestimmungen, welche der geschäftlichen Ausbeutung des für einen richtigen Städtebau
bereitliegenden Bodens entgegenwirken. Daß wir diesen zweiten Mangel weniger hoch einschätzen als
jenen erstgenannten Fehler, mag überraschen, erklärt sich aber durch traurige Erfahrungen. Und der
selige Tamillo Sitte hat einst Konstantinopel für eine der schönsten Städte erklärt, obwohl oder viel-
mehr weil in dieser Stadt keine Baupolizei gewaltet habe.
Zu dem Drückenden falscher Bauordnungen gehört auch, und zwar im Gegensätze zu der Gunst
guter Bauordnungen wohl ausnahmslos, die bureaukratische Zentralisation baukünstlerischer Arbeit.
Auch darauf macht jener Linleitungsartikel aufmerksam, und zwar im Anschluß an eine ganz besonders
Organ für ckie Interessen äer biläenclen Künstler
I^eäaktem: ^ritz tzell^vag. VIII. Jabrg. tzekt s LZ.Ianuar 1909.
Städtebau
Klagen über Zurücksetzung der künstlerischen Persönlichkeit sind unsere stete Sorge;
und sobald irgendein neues Gebiet für die Kunst erschlossen wird, haben wir auch gleich wieder mit
diesem Uebel zu tun. Lin solches neues Gebiet ist der künstlerische Städtebau. Unter ihm ist nicht
die Architektur des einzelnen Gebäudes und nicht nur der in wagrechter Richtung gehende Anblick von
Baugruppen usw., also das gewöhnlich sogenannte „Stadtbild", zu verstehen, sondern auch und vor-
nehmlich die Bebauung des städtischen Grundes. Ls handelt sich also um die Verteilung von bebautem
und unbebautem Boden, insbesondere um die Verteilung der Gebäude und Baublöcke einerseits, der
Straßen, Plätze usw. andererseits.
Obwohl es heute bereits möglich ist, eine Geschichte des Städtebaues zu schreiben, vielleicht
sogar zurückgreisend bis in die Anfänge des städtischen Lebens überhaupt, so haben wir doch eine um-
fassende bewußte Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand, ein praktisches und theoretisches Fördern der
Sache, erst seit einigen Zähren zu verzeichnen, wer sich damit einigermaßen beschäftigt, dem klingt der
Name Tamillo Sitte wohl am klangreichsten, mag auch mancher mit seinen scharfen Zuspitzungen der
Sache nicht ohne weiteres mitgehen, wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, schon vor längerer Zeit die
Mühen kennen gelernt hat, die es namentlich damals kostete, für dieses eigentümliche und auch an Ver-
wechselungen reiche Gebiet einzutreten, der wird sich um so mehr freuen, daß wir fetzt seit 5 bis 6 Zähren
auch einen journalistischen Mittelpunkt für diese Bestrebungen besitzen. Zm Zahre fslOZ wurde von dem
Genannten und von Theodor Goecke die Zeitschrift „Der Städtebau" gegründet (Berlin, L. wasmuth).
Der Beginn mit Zanuar fsiOH wurde ihr getrübt durch den kurz vorher erfolgten Tod Sittes. Trotz
dieser schweren Einbuße hat sich das Blatt bis zum fetzigen 6. Zahrgang als eine wirkliche Zentralstelle
für die Bestrebungen auf seinem Gebiet erwiesen und dient in gerechter Verteilung nicht nur den
künstlerischen, sondern auch den technischen, hygienischen und wirtschaftlichen Znteressen, um die es sich
dabei handelt. Sie will also einer neuen, auf volkswirtschaftlichen und gesundheitlichen, sozialen Grund-
sätzen sich aufbauenden Städtcbaukunst die Wege ebnen.
Aber schon stellt sich auch wieder dasselbe ein, von dem wir im Anfänge gesprochen hatten,
weit und breit werden die Bestrebungen des modernen Städtebaues gestört durch eine Verdrängung
des eigentlich Künstlerischen. Auch die Bebauungsweise einer Stadt soll „der betreffende Ausdruck
innerlichen Erlebens, notwendiger Betätigung der arbeitenden, genießenden und ruhenden Großstadt sein".
So der Herausgeber der Zeitschrift, Theodor Goecke, in dem Linleitungsaufsatze des 6. Zahrganges.
Auf diese Ausdrucksästhetik, nicht etwa auf irgendeine Ornamentsästhetik, gründet Goecke seine künst-
lerischen Ansprüche. „Ls handelt sich dabei um kein äußerliches Beiwerk, das auch fortfallen könnte,
um keinen überflüssigen Ausputz, der sich beliebig durch anderes ersetzen ließe"; und deswegen sollten
all die Einrichtungen einer modernen Stadt von der künstlerischen Zdee getragen und durchdrungen werden.
Voraussetzung, praktische Voraussetzung für diese künstlerische Zdee sind allerdings verkehrs-
technische und volksgesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forderungen, nicht aber etwas neben
der baukünstlerischen Forderung Gleichwertiges. So ist die künstlerische Bedeutung des Städtebaues gerecht-
fertigt und doch die ganze Fülle seiner einzelnen Aufgaben an die richtige Stelle gerückt.
An die Verkennung dieser Sachlage, also an die Unterdrückung des Künstlerischen im Städtebau
reihen sich noch weitere Momente, welche wiederum Gelegenheit zu unseren eingangs erwähnten Sorgen
geben. Zunächst sind dies behördliche Bauordnungen, welche noch ohne alle Ahnung der wesentlichen
Ziele des Städtebaues zustande kommen; sodann aber, jedoch in geringerem Maß, der Mangel an solchen
behördlichen Baubestimmungen, welche der geschäftlichen Ausbeutung des für einen richtigen Städtebau
bereitliegenden Bodens entgegenwirken. Daß wir diesen zweiten Mangel weniger hoch einschätzen als
jenen erstgenannten Fehler, mag überraschen, erklärt sich aber durch traurige Erfahrungen. Und der
selige Tamillo Sitte hat einst Konstantinopel für eine der schönsten Städte erklärt, obwohl oder viel-
mehr weil in dieser Stadt keine Baupolizei gewaltet habe.
Zu dem Drückenden falscher Bauordnungen gehört auch, und zwar im Gegensätze zu der Gunst
guter Bauordnungen wohl ausnahmslos, die bureaukratische Zentralisation baukünstlerischer Arbeit.
Auch darauf macht jener Linleitungsartikel aufmerksam, und zwar im Anschluß an eine ganz besonders