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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

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Heft 43 (18. August 1909)
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Groß, Henry: Der Wettbewerb um das Polizeigebäude in München und der Augustinerstock, [1]: Betrachtungen eines Andersdenkenden
DOI Artikel:
Kl., A.: Juryfreie Kunstausstellungen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0602

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Die Werkstatt der Runst.

heft §3

*

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bringen und das Städtebild zu verderben? Es ist wohl
eher das Gegenteil anzunehmen!
Und das Preisgericht? Sollte es denn keiner dieser
illustren Persönlichkeiten klar geworden sein, worüber es
zu entscheiden hatte? Aber vielleicht liegt die Lösung darin:
80 Entwürfe waren eingelaufen, ein Bauprogramm von
vielen gedruckten Seiten war zu verdauen, wenn auch eine
Vorprüfung von anderer Seite vorgenommen worden ist;
zwei Tage soll das Preisgericht gearbeitet haben. Rechnet
man jeden Tag zu (0 Arbeitsstunden, was wohl kaum
anzunehmen ist, so ergibt sich für die Beurteilung von
80 Entwürfen 20 Stunden, das find (5 Minuten für jedes
Projekt. Rechnet man hiervon ab die unvermeidlichen Zeit-
versäumnisse, die Aussprachen, die Besichtigung der Geist-
lichkeit, die Abfassung des Protokolls usw., so bleiben
höchstens 5 bis (0 Minuten für jedes Projekt. Hierin
ist noch eine zweite, vielleicht auch eine dritte Durchsicht
enthalten. Welcher Aufmerksamkeit hat sich da wohl jedes
Projekt zu erfreuen und wie eingehend können die Arbeiten
wohl geprüft werden? Bei der Ausstellung konnte man
kein Protokoll erhalten, aber es ist auch wohl kaum zu
erwarten, daß die Preisrichter sich eine jede Arbeit vor-
genommen und ihr Urteil über jeden Entwurf protokollarisch
niedergelegt*) haben. Bei einer solchen Aufgabe und einer
solchen Beteiligung wäre es aber vielleicht doch Anstands-
pflicht der Preisrichter gewesen, lieber acht Tage zu arbeiten
und die eingelaufenen Arbeiten wenigstens durch entsprechende
Beachtung zu ehren, oder aber von vornherein zu sagen, es
handelt sich hier nur um einen Wiederherstellungsentwurf
für die Mauthalle!
Noch ein Wort über die Preise. Es ist selten ge-
worden, daß ein erster Preis verliehen wird. Meistens
kommt eine Verteilung der Geldbeträge nach Vorschlag der
Preisrichter heraus. Aber trotzdem wird regelmäßig vor-
her, noch ehe man weiß, wer sich beteiligt und was für
Arbeiten einlaufen werden, ein erster Preis, ein zweiter,
ein dritter usw. festgesetzt. Sind nun wirklich die preis-
gekrönten Arbeiten einander um soundso viel Mark über-
legen? Ist die Arbeit nicht bei allen die gleiche und nur
bei einer die Vorzüge des Grundrisses, bei anderen die
der Architektur überwiegend? Und sind unsere Wettbewerbe
denn ein Lotteriespiel, um ein vermögen zu erwerben?
Sie sollen doch wohl in erster Linie Persönlichkeiten heraus-
heben, die für die Aufgabe der Bauausführung befähigt
sind: und da werden stets mehrere sein, die sich die wage
halten, bis auf das, was eben in ihrer Persönlichkeit liegt.
Und es dürfte doch wohl oft der Fall sein, daß man eine
hervorragende Aufgabe lieber von jemand ausgeführt sehen
möchte, der beim Wettbewerb vielleicht einen unteren Preis,
vielleicht sogar nur in engere Wahl gekommen ist, als von
jemand, der zufällig die mittlere Linie des Erfolges so
günstig getroffen hat, daß auf ihm sich die wohl oft sehr
auseinandergehenden Stimmen des Preisgerichts vereinigen
konnten, wächst die Ehre nun vielleicht mit der Höhe

rühren,; „^>kne -weiteres (?) tüktbLr" sei. — Ls liegt im Interesse
D t e S ch riftl e i t u n g d e r iV. ä. l<.

des Geldgewinnes und würde die Reihenfolge der Preise
nicht allein schon zur Kennzeichnung des Erfolges ge-
nügen? wenn dem zugestimmt werden kann, sollte es
dann nicht besser fein, eine bestimmte Summe für die
Preisverteilung auszusetzen, und das Preisgericht setzt dann
nach Feststellung der besten Entwürfe eine Durchschnittshöhe
für jeden an? Sind nun wirklich höher zu bewertende
Entwürfe da, so könnten für diese vielleicht Zulagen nach
dem Ermessen des Preisgerichts gegeben werden, nötig ist
dies aber nicht. Daneben könnte das Preisgericht vielleicht
noch erklären, diesen hält es für den besten Entwurf, jenen
für den zweitbesten usw. Das wäre aber vielleicht auch E
schon zuviel, denn, nur wenn die Preisrichter sich die größte
Objektivität auferlegen wollten, würden die Bewerber viel-
leicht zu einem möglichst vollen, erschöpfenden Ausdruck
ihrer wirklichen subjektiven Leistungsfähigkeit zu bewegen
fein und nicht bei der Arbeit ständig die Liste der Preis-
richter neben sich haben, um nur für diese zu arbeiten.
Und so scheint das Ergebnis dieses Wettbewerbes in der
Erkenntnis von der dringenden Notwendigkeit zu liegen:
die Preisrichter zur größten Objektivität, die Bewerber
zur größten Subjektivität zu bringen (sonst dürfte in
Bälde ein großer Mangel an Giebelchen mit feiner Umriß-
linie zu erwarten sein). Dann ist vielleicht zu hoffen, daß
wenigstens unsere Nachfahren gezwungen sind, ihre Monu-
mentalaufgaben als selbständige Denkmäler ihrer Zeit zu
hinterlassen; wir Architekten aus dem Zeitalter Zeppelins
scheinen jedenfalls noch recht lange bei der Verehrung der
Draisine stehen bleiben zu wollen. Nsnry Qross.

Iuryfreie Kunstausstellungen. II

Die „Stimme aus dem Publikum", die sich in den letzten
Blättern der „W. d. R." erhoben hat, dürfte in unseren
Reihen nicht ohne Echo verhallen. Ich möchte aber nicht
behaupten, daß ihr anonymer Inhaber mit diesem Echo zu-
frieden sein wird. Mit anerkennenswertem Eiser und viel
Beredsamkeit vertritt dieser Herr die Interessen des Publi-
kums in den Blättern, die allwöchentlich im Interesse der
Rünstlerschaft erscheinen. Ich will wohl glauben, daß hier
auch das Publikum, auf das wir Künstler (leider!!) in so
vielen Fällen angewiesen sind, gehört werden müsse, aber
die Frage der jurylosen Ausstellungen, die zur Stunde
brennender denn je zu werden beginnt, ist eine für den
überwiegenden Teil der Rünstlerschaft zu wichtige, als daß
sie vom Publikum und in seinem Sinne behandelt oder gar
entschieden werde. Ich will gern glauben, daß der Herr sich
Ausstellungen besieht, schon manches Bild gekauft hat, und
daß es schlechte Bilder gibt. Auch »vir haben manches in
dein jurylosen Salon ckes In66pen6ant8 gesehen, das nicht
eben unseren Beifall hatte. Aber die Frage der juryfreien
Ausstellungen von dem Furchtstandpunkte aus behandeln,
daß man zu viel dilettantische Arbeiten zu sehen bekommen
werde, heißt diese Frage in ihrem Wesen verkehrt be-
handeln, denn diese Frage dreht sich nicht um ein paar
Hundert schlechter Bilder mehr oder weniger — sie dreht
sich um die Abschaffung eines dem Wesen und der
Freiheit der Runst Zuwiderhandelnden Systems,
das um so unhaltbarer wird, als die Produktion künstle-
rischer Schöpfung überhand nimmt (was endlich und schließ-
lich ja auch nicht eben den intellektuellen Niedergang einer
Nation bedeuten will).
Bleiben wir doch einmal bei dem Rapitel „Ueber-
produktion", das die Kritik, das Publikum und die „Jury"
so oft ins Treffen führt. All die Vorschläge, die zur Ein-
dämmung und Reduzierung des Andranges zur Runst
allenthalben gemacht werden, sind schlechtweg sinnlos, alle
Mittel zur Erschwerung des Runststudiums einfach undurch-
führbar. Linen Menschen, der Talent in sich fühlt, vom
Gegenteil überzeugen wollen, ist ein ganz unmögliches
Ding, da es in Talentfragen nur individuelle, niemals all-
gemeine Auffassungen geben kann. Diesem Menschen die
 
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