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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/​1909

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Heft 43 (18. August 1909)
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Kl., A.: Juryfreie Kunstausstellungen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0603

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Heft HZ.

Die Werkstatt der Runst.

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Mittel zur Entfaltung seines Talentes zu erschweren, ein
Unsinn, da er für ein Linderungsmittel hundert fördernde
findet; sie ihm zu verbieten aber wäre idiotisch. Mag das
ein jeder mit sich selber ausmachen. Laßt doch ruhig die
Leute malen, die es nicht nötig haben, anderweitig für
ihren Erwerb zu sorgen; und die anderen, die damit ihr
Leben fristen wollen, entweder anderen Sinnes werden oder
zugrunde gehen. Ls ist hier weder möglich noch ge-
recht, die Vorsehung des anderen spielen zu wollen. Was
schreit ihr so viel von Ueberproduktion — kümmert euch
um euch selbst, und laßt uns mit uns selber fertig werden.
Was kann es die gute Verdauung des Herrn mit der
Stimme stören, ob jährlich 2000 oder 200000 Bilder gemalt
werden, da ihn doch niemand zwingt, sich sie zu besehen
oder zu kaufen. Ls wird eben so lange Ueberproduktion
herrschen, bis wirtschaftliche oder andere Verhältnisse
dieser Ueberproduktion von selbst einen Damm setzen werden.
Auch diese Aktion wird ihre Reaktion im Gefolge haben,
aber diese Reaktion soll und kann durch künstliche Mittel
nicht hervorgerusen werden.
Da nun aber einmal die Dinge so stehen — und das
wird jeder logisch Denkende mir zugeben —, so muß man
ihnen eben Rechnung tragen. Dadurch, daß Herr L. findet,
ich gehöre zu den Ueberproduzenten (weil es ihm ja im
Grunde genommen wenig nahe geht, ob ich meine Sachen ver-
kaufe, wenn er die seinen nur verkauft), dadurch hat dieser
Herr noch lange nicht das Recht, mir durch sein Urteil
den Lebensfaden abzuschneiden. Er behauptet (und hat's
natürlich leichter als ich, denn er ist in der Jury), ich sei
ein Ueberproduzent — ich behaupte das Gegenteil von
ihm. Mir sind beide nicht zu überzeugen, denn wir haben
beide unrecht. Nun soll aber die Sache dennoch ausge-
stritten werden. Denn unser gibt es viel, unser „Ueber-
produzenten". Und wir alle haben das Recht, die anderen
davon zu überzeugen, daß wir keine Ueberproduzenten sind,
ein Recht, das uns niemand verwehren kann, das Recht,
zu leben, was vor 25 Jahren noch möglich war — geht
heute nicht mehr: Eine ganz kleine Anzahl Künstler ent-
schied damals über eine verhältnismäßig (zu unserer Zeit)
geringe Anzahl von Kunstwerken. Gerade die Ueber-
produktion macht das heute unmöglich. Die kleine Anzahl
der entscheidender: Herren ist geblieben — das ihnen zur
Beurteilung vorgelegte Material ist so riesenhast, daß eine
gewissenhafte Sichtung nicht einmal bei Verfünffachung
der Kurierenden möglich ist. vollends jedoch muß man
auf ein gewissenhaftes vorgehen hier verzichten, wenn man
in Betracht zieht, wie ungeheuer die Verschiedenheiten
künstlerischer Auffassungen in diesen letzten 25 Jahren zu-
tage getreten sind, und daß diesen Verschiedenheiten in
jedem Kunstzentrum doch nur zwei, im allerbesten Falle
drei verschiedene (vbdache zur Verfügung stehen, und auch
die nur während eines verschwindend kleinen Teils im
Jahre. Einer ungeheuren Kunstentfaltung oder doch wenig-
stens -Verbreitung von heute steht das alte Kunstbeamten-
Jurysystem von vorgestern gegenüber, ein Unding, das
mehr Gpfer fordert, als die Ueberproduktion.
Das einzige Mittel des Künstlers, sei er nun von den
Ueberproduzenten oder nicht, seinen Schöpfungen Absatz zu
finden, ist und bleibt nun einmal die Geffentlichkeit. Diese
Geffentlichkeit heißt Ausstellung. Dem einen gefällt die
blonde Magere, dem anderen die braune Mollige, der eine
liebt den Whisky, der andere den Himbeersaft, der eine
den Bougereau und der andere den Picasso. Hier läßt sich
nicht rechten. Lin jeder hat das Recht, sich Käufer und
Liebhaber zu suchen, keinem darf u priori die Möglichkeit
entzogen werden, solche zu finden: Der Herr mit der Stimme
möge sich doch einmal des Abends die pariser Boulevards
ansehen, was es da für mancherlei Ware gibt. Mein ver-
gleich ist nicht eben erfreulich, aber er ist treffend. Jedem
muß es selbst überlassen bleiben, ob er sich die Erwerbs-
möglichkeit zu finden getraut, sie zu suchen, darf niemandem
erschwert werden, zumal bei der Verschiedenheit der Ge-
schmäcke ein jeder seinen Liebhaber finden kann. Und der
ihn nicht findet, was kümmert ihr euch um ihn? Er soll

selber sehen, wie er's anstellt, um fertig zu werden. Die
Herren von der Jury werden mir hier (und mit Recht)
entgegenhalten: „Wir wollen aber nicht jedwedem Raum
und Absatzgebiet in den Hallen geben, die wir mit dem
Geld der Kunstmäzene von vorgestern gebaut, mit den alten,
dicken Guadern unserer Anschauungen gepflastert haben!"
Aber, ihr Herren, wir wollen ja diese Räume gar nicht,
denn das Einziehen in sie ist mit einer gewissen Verpflich-
tung, mit dem für manchen genanten Gefühl des Zu-
sammengehörens, des Unter-einen-Hut-steckens verbunden,
etwas wie ein öffentliches Gutheißen alles dessen, was da
drinnen ist und — (das Wichtigste!) mit dem Jdentisch-
erklärt-werden seitens einer gewissen Außenwelt, die wieder
uns mehr bedeutet als euch! Mir wollen nicht Anhänger
und nicht Führer sein, nicht Meister und auch nicht Schüler,
wir wollen mit niemandem identisch sein, keiner Schule und
Richtung angehören — wir wollen bloß das Recht, uns
unseren Erwerb zu suchen, der — wie schon früher ge-
sagt — nun einmal „Geffentlichkeit", „Ausstellen" heißt,
und nicht anders, wir wollen dafür bezahlen — aber wir
wollen keine „Jury", die aus rein physischen Gründen
ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen ist, keine Beschränkung
und Bevormundung und vor allem wollen wir es nicht
mehr, daß ein „angenommener" Künstler über den „refü-
sierten" gestellt wird, was ja leider allenthalben getan
wird, was dem Angenommenen in den meisten Fällen
weniger nutzt, als es dem Refüsierten schadet, und was
doch — und da sind Sie ja mit mir eines Sinnes — bei-
leibe nicht gerecht ist!
wie vieler junger Leute Wohl und wehe hängt da-
von ab, ob sie in einer oder der andern Ausstellung unter-
gekommen sind! Wie vieler materielle Beihilfe hört auf,
wenn sie „refüsiert" sind, wie viele sinken in den Augen
derer, von denen sie sich was erhoffen —- (ich spreche natür-
lich nicht von jener Minorität unter uns, die „es nicht
nötig hat") — wie vielen ist „das Refüsiert-werden" ein
Grund, Kompromisse zu schließen, gegen ihre künstlerische
Ueberzeugung von dem Wege abzuweichen, den sie bis heute
für gut hielten, Kompromisse nach der einen oder der andern
Seite, die nur selten zu ihrer Förderung beigetragen haben
— wie vielen ist die Angst vor der Jury ein Anlaß, un-
lautere und unwürdige Wege einzuschlagen, nach jenen
„guten" Verbindungen, an denen es uns heute leider nicht
fehlen darf, wenn wir's zu etwas bringen wollen, wie
vieles Sich-bloßstellen, manchmal Erniedrigung hängt mit
diesem Jurysystem zusammen, wie viel unsaubere Eitelkeit
und kränkende Schadenfreude hat dieses System groß-
gezogen! Wir sind ja unter uns, wir wollen voreinander
nichts beschönigen, wir wissen, was hier steht, alle samt
und sonders bei uns, also soll es uns nicht kränken, es zu
hören, wir wissen alle, daß bei dem heutigen Zudrange,
dem nun einmal kein Damm gesetzt werden kann, den
vielen „Richtungen" und „Nuancen", dem beschränkten
Raume usw. usw., der Begriff „jurieren" nicht mehr das
bedeuten kann als ehedem: einem Kunstwerk seinen «Duali-
täten und seinem Niveau entsprechend den weg in die
Geffentlichkeit ebnen. Ls müssen da eben Raum- und
persönliche Rücksichten genommen werden, die ein gerechtes
Verfahren nahezu ausfchließen. Und auf Kollektivaus-
stellungen kann man uns nicht verweisen. Dazu hat
der Künstler höchstens alle H — 5 Jahre Material genug,
auch ist das eine Sache, die sich ein jeder materiell nicht
leisten kann (und was soll er in der Zwischenzeit mit seinen
Bildern tun?). Die Existenzmöglichkeiten jedoch sind Heutigen-
tages zu schwache, als daß das stereotype Trostwort: „das
wirkliche Talent bricht sich trotz aller Hindernisse Bahn"
angebracht wäre — in unseren Tagen, da der Erwerb täg-
lich beschwerlicher, das Leben täglich teurer wird — ist
diese Hungerromantik falsch und deplaziert. Das
System der Ausstellungsjury hat sich einfach über-
lebt und der Moment ist gekommen, da wir zur Selbst-
hilfe greifen müssen.
Heraus n»it -en juryfreien Ausstellungen!
ä.. Kll.
 
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