Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 8.1908/1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0041
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Heft 3 (19. Oktober 1908)
DOI article:Schmidkunz, Hans: Das Porträt
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.52076#0041
Die Werkstatt der Kunst
Organ für die Interessen cter bilclenäen kiünktter
I^eäakteur: ^ritz yellv-ag.
VIII. Jakrg. I)ekt 3. 19. Oktober 1908.
von Or. Pans Schmidkunz-Berlin-Palensee.
Vas Porträt.
„Der dumme Maler hat mich vollständig verpfuscht.
Mein Porträt ist ja nicht im geringsten ähnlich; und wie
alt er mich gemacht hat, ist gar nicht zu sagen. Kann
man sich da nicht an das Gericht wenden?"
Derartige Reden und Klagen hört man nur allzu
häufig dort, wo porträtiert wird. Ja selbst Gerichtsverhand-
lungen sind nicht selten, in denen ein porträtierter das
Künstlerhonorar nicht bezahlen will, weil er sich nicht ähn-
lich porträtiert glaubt; wobei allerdings die nötigen Be-
lehrungen von Sachverständigen etwas spät in Empfang
genommen werden.
Allein nicht nur diese Beschwerden über Unähnlichkeit
interessieren uns hier, sondern auch der Umstand, daß in
weitesten Kreisen bei einem Porträt, einem „Bildnisse",
nur nach seiner Ähnlichkeit gefragt wird; wozu etwa noch
die Frage nach der Schönheit des dargestellten Modells
kommt. Dieses Interesse für die Aehnlichkeitsfrage verlangt
nun einige Aufklärung, die vielleicht auch dazu beiträgt,
das oft so unselige Verhältnis zwischen Künstler und Be-
steller zu verbessern.
Einerseits erinnern wir uns daran, daß wir schon
aus dem gewöhnlichsten Leben die weitgehende Wirkung
auch ganz kleiner Variationen kennen, die an einem Ge-
sichte geschehen. Erscheint ein guter Bekannter selbst nur
mit anders gekämmten paaren oder dergleichen, so sieht er
für uns „ganz anders" ans; und den Verwandlungskünstlern
gelingen die überraschendsten Effekte durch verhältnismäßig
kleine und schnelle pandgriffe. Folglich werden auch in
einem Porträt die unvermeidlichen oder auch vermeidlichen
kleinen Abweichungen vom (Originale bereits unverhältnis-
mäßig große Wirkungen auf unseren Eindruck der Ähn-
lichkeit ausüben.
Andererseits aber führt uns gerade das Wort von
den unvermeidlichen Abweichungen dazu, daß wir der
Aehnlichkeitsfrage durch einen Einblick in das Wesen eines
darstellenden Kunstwerkes als solchen verständiger entgegen-
kommen.
wem es beim Porträtieren schlechtweg auf Ähnlich-
keit ankommt, der soll sich nicht an die Kunst, sondern an das
pandwerk wenden, soll sich also entweder photographieren oder
in Gips abformen lassen — oder was sonst etwa noch für
Reproduktionen der Ratur vorkommen mögen. Jedermann
hat das Recht, sich klipp und klar auf diese nnkünftlerische
Leite zu schlagen; nur mag er es nicht unklar und miß-
verständlich tun. Die Vorherrschaft solcher mechanischer
Verfahrungsweisen in unserer Zeit ist aber ein Unsegen
nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Personen,
d-ie sich darstcllen lassen.
Mag auch in mancher Beziehung und mancher Gesell-
schaft das Porträt überschätzt werden, so leiden wir heute
im großen Ganzen doch unter einer Ueberschätzung der
Photographie und einer Unterschätzung der Porträtkunst.
Darauf hat mit Recht 5. Staudhamer in seinem hübschen
Essay „Etwas vom Porträtieren" hingewiesen („Die
Christliche Kunst", IV/z, (. Dezember l907) — ein Essay,
der allerdings nur ein „Etwas" sein will und uns Er-
gänzungen wie die folgenden nahelegt.
Wer dazu aufgerufen wird, die Porträtkunst zu be-
günstigen, wird vielleicht und mit manchem Recht antworten,
daß dies seine finanzielles! Kräfte überschreite. Tatsächlich
kann man jedenfalls dem Künstler sucht die Entlohnung
zumuten, um welche Photographien bereits zu haben sind,
obschon manchmal für solche ein Aufwand gemacht wird,
den ein beginnender oder schlechtgestellter Künstler recht
gerne für feine Leistung nehmen würde. Indessen ist es
damit ähnlich, wie mit ärztlichen Diensten, wer sich offen
und direkt an einen Künstler wendet, mit der Frage nach
der Möglichkeit eines Porträts ohne solche Kosten, die der
Betreffende nicht mehr tragen kann, wird wahrscheinlich
irgendeinen Ratschlag bekommen, mit welchem immerhin
das Ziel zu erreichen ist. vor allem muß es ja nicht immer
Malerei oder Plastik sein, was ein Porträt entstehen läßt;
vielleicht hilft sich der Künstler mit einfacheren Techniken,
wie der Zeichnung, der Plakettenkunst oder dergleichen;
schlimmstenfalls kann man sich den freilich nicht sehr emp-
fehlenswerten Ausweg erlauben, daß man nach einer vor-
handenen möglichst großen Photographie eine vergrößerte
Zeichnung — allein nur von einem wirklichen Künstler —
Herstellen läßt. Muß doch für das neue Porträt eines Verstor-
benen jedenfalls ein derartiger heikler weg gefunden werden!
In der Bildhauerei hängt der Preis eines Porträts
natürlich auch von dein Materiale der Ausführung ab. Die
Modellierung durch den Künstler bleibt sich in ihrem über-
irdischen und irdischen, also in ihrem unbezahlbaren und
bezahlbaren werte gleich. Die Ausführung kostet dann in
dem allerdings nicht sehr begeisternden Gips wenig, in
Bronze mäßig viel, in Marmor am meisten; und ist nur
einmal das Tonmodell bezahlt, so lassen sich ja Abgüsse
um den für das rein Mechanische zu zahlenden Preis so
gut wie ins Unendliche Herstellen. Freilich ist es nicht
gleichgültig, in welchem Materiale man die Ausführung
machen läßt. Für manche Personen verlangt das Porträt
Marmor, zumal bei schöneren Franenköpfen; für mehr
charakteristische Köpfe sowie für Ernsteres dürfte die Bronze
günstiger fein als der Marmor; und der Schutz des Gipses
durch irgendeine Tönung, Patinierung, Bronzierung, der
überhaupt empfehlenswert ist, mag ebenfalls feine mehr
oder minder vorteilhaften Möglichkeiten besitzen.
Indessen sind alle diese Fragen verschwindend gering
gegenüber den Pauptsorgen. Unter diesen steht zu höchst
wohl die, daß dem Künstler um so Schwereres und Un-
passenderes zugcmutet wird, je fremdartiger für ihn die
Bestellung ist. Der Künstler arbeitet steißig und lange an
der Entfaltung seines Könnens, an der Ausgestaltung seiner
Ideen usw. Kommt nun wie vom Pimmel geschossen eine
Person in sein Atelier und will rasch porträtiert sein, so
kann dies den Künstler zwar finanziell freuen, künstlerisch
aber nur tief betrüben. Denn in diesem Augenblicke fehlt
noch alles an Vorarbeit und Entfaltung und Ausgestaltung
gerade für diese eine Aufgabe. Je echter und gewissen-
hafter der Künstler ist, desto mehr Zeit und Gelegenheit
verlangt er, um sich in die ihm gestellte Aufgabe wirklich
und naturgemäß hineinzuleben; der Fleiß, welcher etwas
Neues in H8 Stunden erzwingen läßt, das sonst weit länger-
dauern würde, ist durchaus kein Verdienst eines produktiv-
Schaffenden.
Also kurz: das „bestellte" Porträt ist von vornherein
weniger günstig, als das „gewordene", d. h. als das, welches
Organ für die Interessen cter bilclenäen kiünktter
I^eäakteur: ^ritz yellv-ag.
VIII. Jakrg. I)ekt 3. 19. Oktober 1908.
von Or. Pans Schmidkunz-Berlin-Palensee.
Vas Porträt.
„Der dumme Maler hat mich vollständig verpfuscht.
Mein Porträt ist ja nicht im geringsten ähnlich; und wie
alt er mich gemacht hat, ist gar nicht zu sagen. Kann
man sich da nicht an das Gericht wenden?"
Derartige Reden und Klagen hört man nur allzu
häufig dort, wo porträtiert wird. Ja selbst Gerichtsverhand-
lungen sind nicht selten, in denen ein porträtierter das
Künstlerhonorar nicht bezahlen will, weil er sich nicht ähn-
lich porträtiert glaubt; wobei allerdings die nötigen Be-
lehrungen von Sachverständigen etwas spät in Empfang
genommen werden.
Allein nicht nur diese Beschwerden über Unähnlichkeit
interessieren uns hier, sondern auch der Umstand, daß in
weitesten Kreisen bei einem Porträt, einem „Bildnisse",
nur nach seiner Ähnlichkeit gefragt wird; wozu etwa noch
die Frage nach der Schönheit des dargestellten Modells
kommt. Dieses Interesse für die Aehnlichkeitsfrage verlangt
nun einige Aufklärung, die vielleicht auch dazu beiträgt,
das oft so unselige Verhältnis zwischen Künstler und Be-
steller zu verbessern.
Einerseits erinnern wir uns daran, daß wir schon
aus dem gewöhnlichsten Leben die weitgehende Wirkung
auch ganz kleiner Variationen kennen, die an einem Ge-
sichte geschehen. Erscheint ein guter Bekannter selbst nur
mit anders gekämmten paaren oder dergleichen, so sieht er
für uns „ganz anders" ans; und den Verwandlungskünstlern
gelingen die überraschendsten Effekte durch verhältnismäßig
kleine und schnelle pandgriffe. Folglich werden auch in
einem Porträt die unvermeidlichen oder auch vermeidlichen
kleinen Abweichungen vom (Originale bereits unverhältnis-
mäßig große Wirkungen auf unseren Eindruck der Ähn-
lichkeit ausüben.
Andererseits aber führt uns gerade das Wort von
den unvermeidlichen Abweichungen dazu, daß wir der
Aehnlichkeitsfrage durch einen Einblick in das Wesen eines
darstellenden Kunstwerkes als solchen verständiger entgegen-
kommen.
wem es beim Porträtieren schlechtweg auf Ähnlich-
keit ankommt, der soll sich nicht an die Kunst, sondern an das
pandwerk wenden, soll sich also entweder photographieren oder
in Gips abformen lassen — oder was sonst etwa noch für
Reproduktionen der Ratur vorkommen mögen. Jedermann
hat das Recht, sich klipp und klar auf diese nnkünftlerische
Leite zu schlagen; nur mag er es nicht unklar und miß-
verständlich tun. Die Vorherrschaft solcher mechanischer
Verfahrungsweisen in unserer Zeit ist aber ein Unsegen
nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Personen,
d-ie sich darstcllen lassen.
Mag auch in mancher Beziehung und mancher Gesell-
schaft das Porträt überschätzt werden, so leiden wir heute
im großen Ganzen doch unter einer Ueberschätzung der
Photographie und einer Unterschätzung der Porträtkunst.
Darauf hat mit Recht 5. Staudhamer in seinem hübschen
Essay „Etwas vom Porträtieren" hingewiesen („Die
Christliche Kunst", IV/z, (. Dezember l907) — ein Essay,
der allerdings nur ein „Etwas" sein will und uns Er-
gänzungen wie die folgenden nahelegt.
Wer dazu aufgerufen wird, die Porträtkunst zu be-
günstigen, wird vielleicht und mit manchem Recht antworten,
daß dies seine finanzielles! Kräfte überschreite. Tatsächlich
kann man jedenfalls dem Künstler sucht die Entlohnung
zumuten, um welche Photographien bereits zu haben sind,
obschon manchmal für solche ein Aufwand gemacht wird,
den ein beginnender oder schlechtgestellter Künstler recht
gerne für feine Leistung nehmen würde. Indessen ist es
damit ähnlich, wie mit ärztlichen Diensten, wer sich offen
und direkt an einen Künstler wendet, mit der Frage nach
der Möglichkeit eines Porträts ohne solche Kosten, die der
Betreffende nicht mehr tragen kann, wird wahrscheinlich
irgendeinen Ratschlag bekommen, mit welchem immerhin
das Ziel zu erreichen ist. vor allem muß es ja nicht immer
Malerei oder Plastik sein, was ein Porträt entstehen läßt;
vielleicht hilft sich der Künstler mit einfacheren Techniken,
wie der Zeichnung, der Plakettenkunst oder dergleichen;
schlimmstenfalls kann man sich den freilich nicht sehr emp-
fehlenswerten Ausweg erlauben, daß man nach einer vor-
handenen möglichst großen Photographie eine vergrößerte
Zeichnung — allein nur von einem wirklichen Künstler —
Herstellen läßt. Muß doch für das neue Porträt eines Verstor-
benen jedenfalls ein derartiger heikler weg gefunden werden!
In der Bildhauerei hängt der Preis eines Porträts
natürlich auch von dein Materiale der Ausführung ab. Die
Modellierung durch den Künstler bleibt sich in ihrem über-
irdischen und irdischen, also in ihrem unbezahlbaren und
bezahlbaren werte gleich. Die Ausführung kostet dann in
dem allerdings nicht sehr begeisternden Gips wenig, in
Bronze mäßig viel, in Marmor am meisten; und ist nur
einmal das Tonmodell bezahlt, so lassen sich ja Abgüsse
um den für das rein Mechanische zu zahlenden Preis so
gut wie ins Unendliche Herstellen. Freilich ist es nicht
gleichgültig, in welchem Materiale man die Ausführung
machen läßt. Für manche Personen verlangt das Porträt
Marmor, zumal bei schöneren Franenköpfen; für mehr
charakteristische Köpfe sowie für Ernsteres dürfte die Bronze
günstiger fein als der Marmor; und der Schutz des Gipses
durch irgendeine Tönung, Patinierung, Bronzierung, der
überhaupt empfehlenswert ist, mag ebenfalls feine mehr
oder minder vorteilhaften Möglichkeiten besitzen.
Indessen sind alle diese Fragen verschwindend gering
gegenüber den Pauptsorgen. Unter diesen steht zu höchst
wohl die, daß dem Künstler um so Schwereres und Un-
passenderes zugcmutet wird, je fremdartiger für ihn die
Bestellung ist. Der Künstler arbeitet steißig und lange an
der Entfaltung seines Könnens, an der Ausgestaltung seiner
Ideen usw. Kommt nun wie vom Pimmel geschossen eine
Person in sein Atelier und will rasch porträtiert sein, so
kann dies den Künstler zwar finanziell freuen, künstlerisch
aber nur tief betrüben. Denn in diesem Augenblicke fehlt
noch alles an Vorarbeit und Entfaltung und Ausgestaltung
gerade für diese eine Aufgabe. Je echter und gewissen-
hafter der Künstler ist, desto mehr Zeit und Gelegenheit
verlangt er, um sich in die ihm gestellte Aufgabe wirklich
und naturgemäß hineinzuleben; der Fleiß, welcher etwas
Neues in H8 Stunden erzwingen läßt, das sonst weit länger-
dauern würde, ist durchaus kein Verdienst eines produktiv-
Schaffenden.
Also kurz: das „bestellte" Porträt ist von vornherein
weniger günstig, als das „gewordene", d. h. als das, welches