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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 1
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Schneider, Arthur von: Ein frühes Versperbild vom Oberrhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0034

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zeigt über einem Kreidegrund die alte
Polychromie in ausgezeichneter Erhal-
tung. Von dem Blau des Mantels
Marias, dem Karminrot ihres Gewan-
des und dem Gold glanz der Bordüren
hebt sich die Karnation beider Figuren
in feinen gelbrosa Tönen ab. Das Haar
Marias ist kastanienbraun, Haar und
Bart Christi sind dunkelbraun getönt.
Eine spätere grauweiße Übermalung
wird am Lenden tuch und den Beinen
des Heilands sichtbar.
Die Entstehung unseres Vesperbildes
wird man sich wohl noch vor der Mitte
des 14. Jahrhunderts, um 1540, zu den-
ken haben. Dafür spricht: die Falten-
bildung des Mantels und Gewandes der
Maria, der hieratisch strenge Aufbau
und reliefartige Charakter der ganzen
Gruppe, die noch ganz ornamentale Be-
handlung der Haare Marias und ebenso
der Gewand- und Mantelborten, end-
lich die im naturalistischen Sinne der
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
noch zu wenig anatomisch detaillierte
Durchbildung der Gliedmaßen Christi.
Dagegen kündet der kindlich herbe
Ausdruck im Gesicht der jugendlichen
Mutter Gottes in seiner Entfernung
vom »mystischen Marientyp« das na-
hende »bürgerliche«Zeitalter der zwei-
ten Hälfte des 14. Jahrhunderts an.
(Vgl. W. Pinder, Die deutsche Plastik
des 14.Jahrhunderts. München 192g.)
Lokalisiert ist unsere Gruppe durch ihre Provenienz aus dem oberrheinisch-
schwäbischen Kunstkreis, wo sie unter den bisher bekannten Vesperbildern
eine eigenartige Stellung einnimmt. (Vgl. die Aufzählung bei W. Noack,
Frühe Vesperbilder im Augustinermuseum. Berichte aus dem Freiburger
Augustinermuseum, Heft I, S. 8.) 1 )iese sind nämlich mit Ausnahme einer
wahrscheinlich vom Bodensee stammenden Gruppe in der Martinskirche in
Bamberg (vgl. W. Passarge, Cicerone 1925) alle fragmentiert auf uns gekom-
men, d. h. es haben sich nur die Figuren der sitzenden Mutter Gottes allein
ohne den toten Sohn auf ihrem Schoß (im Freiburger Augustinermuseum auch
ein einzelnes Bruchstück eines Christuskörpers) erhalten. Hier aber steht eine
ganze Gruppe in alter Fassung und mit nur geringen Verstümmelungen vor
uns, die dadurch unsere Kenntnis des oberrheinisch-schwäbischen Vesperbildes
wesentlich bereichert. Einzigartig dürfte ferner die technische Behandlung des


Abb. 2 Oberrheinisches Vesperbild
In Freiburger Privatbesitz
 
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