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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 19.1927

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Heft 1
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Schneider, Arthur von: Ein frühes Versperbild vom Oberrhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.39946#0035

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Freiburger Vesperbildes sein. Die Gruppe ist, wie erwähnt, vollständig aus einem
Stück gearbeitet, wodurch die Geschlossenheit ihrer Silhouette bedingt erscheint,
während bei den anderen oberrheinisch-schwäbischen Exemplaren die Körper
Mariae und Christi für sich gearbeitet waren, um dann zusammengeleimt oder
durch Dübel verbunden zu werden. (Der Bamberger Christus soll flach auf
den Knien der Maria aufliegen.) Ohne eigentliche Parallele ist endlich die
stilistische Formgebung. Am nächsten steht ihr noch die schöne Madonna aus
Radolfzell im Erzbischöflichen Museum in Freiburg (Abb. 5), die um 1550 an-
gesetzt wird. Eine gewisse Verwandtschaft hei beiden Figuren zeigt das Relief
der Faltenbildung des Mantels von den Knien abwärts, wenn dieses bei der
Radolfzeller Madonna auch noch feiner durchgeführt ist und wie kanneliert
wirkt; und ebenso darf auf die gemeinsame Verwendung goldglänzender Bor-

düren verwiesen werden. Wesentliche
Unterschiede lassen sich aber an der
Statur und der Gesichtsbildung beider
Frauen erkennen: die Radolfzeller Ma-
donna ist breit und untersetzt, ihr Ge-
sicht zart und edel geformt, fast an-
tikisch und wie eine Reminiszenz aus
der ritterlichen Kunst des 15. Jahr-
hunderts; die Freiburger Mutter Gottes
wird man umgekehrt als zart und
schlank von Figur ansprechen, während
ihr Gesicht die derberen Züge bürger-
licher Abstammung trägt. (Verwandt in
Auffassung und Aufbau mit unserem
Stück ist auch das Vesperbild des Baye-
rischen Nationalmuseums Nr. 270, das
allerdings wesentlich später [um 1370]
entstanden ist. Vgl. die Bildwrerke des
Bayerischen Nationalmuseums. 1. Ab-
teilung. Von Ph. M. Flalm und G. Lill.
Augsburg 1924. S. 67 und 13g, hier
als schwäbisch [?] bezeichnet, wohl ober-
rheinisch.)
Ist also die Eigenart unseres Vesperbil-
des nach Erhaltungszustand, technischer
Behandlung und stilistischer Formge-
bung innerhalb der bekannten Beispiele
des oberrheinisch-schwäbischen Vesper-
bildes der Mitte des 14. Jahrhunderts
festgestellt, so läßt sich doch eine Ge-
meinsamkeit der Auffassung des seeli-
schen Vorgangs nicht verkennen, die
hier wie dort zutage tritt. Sie ist als
»lyrisch« bezeichnet worden. Maria
wird bei diesem Typus in wehmütiger


Abb. 3. Madonna aus Radolfzell, um 1530
Freiburg, Erzbischöfliches Museum

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