Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers (20.1928)

Sandro Botticelli Die Verkündigung
i Pappelholz. 24x56,5 cm
Früher sprach man gern von den Museen als den Grabstätten und feierte die
glückliche Verteillheit der Kunstwerke in Kirchen, Klöstern und Palästen.
Heute wird es niemand mehr wagen, diese Weise zu wiederholen. Wie stände
es um unseren Kunstbesitz, wenn es keine Museen gäbe? Die Klöster (siehe
Österreich) stoßen in Zeiten wirtschaftlicher Not alles Kunstgut ab. In den
Kirchen sind die Kunstwerke einer jammervollen Erneuerungssucht ausgesetzt,
gegen welche Gefahr die staatlichen Konservatoren praktisch nichts auszurichten
vermögen. Nur die Museen — selbst in Österreich, selbst in Rußland — haben
die ärgsten politischen und wirtschaftlichen Wirren überstanden, nur in den
Museen ist für sachkundige Konservierung der Monumente einigermaßen Ge-
währ geleistet.
Wieder fällt ein schwerer Schlag. Im kommenden Frühjahr soll in Berlin bei
Paul Cassirer die Sammlung Oscar Huldschinsky versteigert werden. Durch
Bode angeregt, gesteigert und gereinigt, hatte sich in Berlin unter den begüterten
Kunstfreunden die Lust zum Sammler alter Kunst in bestimmter Art orientiert.
Herr Huldschinsky war besonders wählerisch vorgegangen, besonnen und doch
gelegentlich freigebig. So wird niemand mehr sammeln. In Deutschland nicht,
schon weil die Mittel fehlen, aber auch anderswo schwerlich. DerZeitcharakter
offenbart sich in den Richtungen, welche die Sammelpassion jeweilig ein-
schlägt. Ansätze zu Neuem zeichnen sich ab. Überdrüssig der satten, bürger-
lichen vertrauten Wirklichkeit, begeistert man sich für primitive, exotische und
hieratische Dinge. Und dann: die Zeitgrenze von 1 800 ist gefallen, jene Grenze,
durch die in der Welt der deutschen Sammler zwei Parteien sich fremd gegen-
überstanden.
Herrn Huldschinskys Haus umfaßt einen stattlichen Oberlichtsaal mit hollän-
dischen Gemälden, ein Herrenzimmer im Stile der italienischen Hochrenaissance

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